Wer an der Uni das Sagen hat: „Mitbestimmung ist für uns sowas von selbstverständlich“
In NRW schlägt die Entmachtung der Professoren durch das neue Hochschulgesetz kaum Wellen/Die TU Berlin geht den ersten Schritt zur Viertelparität: Der Akademische Senat spricht sich dafür aus
Der Akademische Senat (AS) der TU Berlin empfiehlt dem Erweiterten Akademischen Senat (EAS) der Uni, die Viertelparität einzuführen. Nach langen Debatten stimmten dafür in der Sitzung am Mittwoch 13 AS-Mitglieder, acht stimmten dagegen. Vier Mitglieder fehlten. Damit scheint ein entsprechender Beschluss im EAS mit 61 Mitgliedern am 6. Juli wahrscheinlich. Klar abgelehnt wurde mit 20 Stimmen und einer Enthaltung der Vorstoß von TU-Präsident Christian Thomsen, die Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre anzuheben.
Weg mit der Professorenmehrheit im EAS! – Für manche sind die aktuellen Bestrebungen an der TU Berlin ein Traum, für andere ein Albtraum. Wird die Viertelparität eingeführt, könnte jemand zur Präsidentin oder zum Präsidenten gewählt werden, ohne auch nur eine einzige Stimme aus der Professorengruppe zu bekommen. Da der EAS auch die Grundordnung beschließt, könnten die neuen Machtverhältnisse schließlich das gesamte akademische Leben betreffen, warnte TU-Präsident Thomsen unlängst. Man werde damit noch weit über das Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen hinausgehen.
In Nordrhein-Westfalen hat eine rot-grüne Koalition im Jahr 2014 die Viertelparität in den Gremien gesetzlich verankert – in der Bundesrepublik hat es das seit Jahrzehnten nicht gegeben. Dass die Rektorate viertelparitätisch gewählt werden, wird im Gesetz nicht ausgeschlossen. Die Hochschulen sollen selbst verfassungskonforme Lösungen finden. Vorgeschrieben ist jedoch, dass die Professoren immer die Stimmenmehrheit haben müssen, wenn Ordnungen zur Forschung erlassen werden und die Hälfte der Stimmen, wenn Rahmenprüfungsordnungen erlassen werden.
Offenbar leisten die Professoren des Landes bislang keinen spürbaren Widerstand gegen die Viertelparität: „Wir haben nichts auf den Tisch bekommen“, sagt Michael Hartmer, in NRW Geschäftsführer des Deutschen Hochschulverbands. „An den Unis scheint das bislang kein Thema zu sein.“
Auch den Rektoren scheint die Sache nicht unter den Nägeln zu brennen. Die Leitungen der Unis Bonn und Münster haben keinen Bedarf, sich dazu äußern. Ein Kenner von einer weiteren Uni, der anonym bleiben will, sagt: „Das ist nicht unser vordringliches Thema.“ Allerdings hätten die Debatten über die neuen Grundordnungen den Betrieb aufgehalten. „Und besser wird die Hochschule davon nicht.“
An der Universität Köln, mit 48 000 Studierenden Deutschlands größte Uni, ist man gelassen. Patrick Honecker, der Pressesprecher, sagt: „Mitbestimmung ist bei uns sowas von selbstverständlich.“ Rektor Axel Freimuth, der die Uni Köln seit zehn Jahren leitet, moderiere Konflikte regelmäßig. Entscheidungen würden vor den Senatssitzungen in Arbeitskreisen und Kommissionen vorbereitet. So seien sie später auch wirklich umsetzbar – anders als solche, die in der Vergangenheit vielleicht top down getroffen wurden, sagt Honecker. „Das nimmt einfach viel Wut und Frust aus dem System.“
Die Möglichkeiten der Mitsprache seien in Köln aber schon lange deutlich erweitert worden, bevor das neue Hochschulgesetz in Kraft trat. Darum habe die Uni mehr Gremien als im Gesetz vorgeschrieben, etwa ein studentisches Konzil, das sich regelmäßig mit dem Rektor austausche, oder eine Universitätskonferenz. Denn vor der Bewerbung im Exzellenzwettbewerb sei es darum gegangen, breite Unterstützung für die geplanten Reformen zu gewinnen.
Tatsächlich kam Köln im Jahr 2012 unter Deutschlands elf Exzellenzunis. Dass die Exzellenz-Jury die vielen Möglichkeiten zur Mitsprache in Zukunft negativ bewerten könnte – immerhin hat die Imboden-Kommission sich für mächtige Uni-Leitungen ausgesprochen – kann man sich in Köln nicht vorstellen: „Wir leben in einer Zeit, wo alle mitreden wollen, zum Beispiel über die sozialen Medien. Das kann man doch sowieso nicht eindämmen“, sagt Honecker.
Allerdings weichen nach Angaben des Wissenschaftsministeriums in NRW 24 von 37 staatlichen Hochschulen vom Gesetz ab. Sie haben sich gegen die dort im Regelfall vorgesehene Gruppenparität entschieden. Diese Hochschulen mussten aber ein anderes Modell finden, das zusätzliche Beteiligungsmöglichkeiten der Nicht-Professoren-Gruppen sicherstellt.
So war die Viertelparität an der RWTH Aachen nicht mehrheitsfähig, sagt deren Prorektorin Doris Klee. Die RWTH, wie die Uni Köln „Exzellenzuni", entschied sich stattdessen für ein neues Vetorecht. Legt eine der Gruppen ein Veto ein, kann sie in der nächsten Senatssitzung nur mit einer Drei-Viertel-Mehrheit überstimmt werden – es sei denn, es handelt sich um eine Angelegenheit, bei der die Professoren aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Mehrheit haben müssen.
Eine Situation, in der das neue Vetorecht zum Einsatz kam, sei noch nicht entstanden, sagt Klee. Traditionell kooperierten die Gruppen sehr gut miteinander, auch die Studierenden, „weil wir sie auf gleicher Ebene mitnehmen“. Konflikte würden möglichst schon vor den Senatssitzungen im Ältestenrat „breit diskutiert“ und gelöst. In Aachen sollen Entscheidungen einvernehmlich und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse aller Gruppen gefasst werden: dieser „Aachen Way“ ist in den Grundsätzen des Senats beschrieben.
Doch Aachen ist nicht Berlin, wo politische Hitze Tradition hat. Wie geht es also weiter, wenn der Erweiterte Akademische Senat (EAS) der TU sich am 6. Juli wirklich dafür entscheidet, die Professoren zu entmachten?
Kommt es wirklich zu dem Beschluss, hätte dieser mehrere Hürden zu überwinden. Schon einmal ist die TU Berlin mit der Viertelparität gescheitert. Im Jahr 2013 erklärte der damalige Präsident Jörg Steinbach den Beschluss für unvereinbar mit dem Berliner Hochschulgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dabei konnte Steinbach sich auf eine Einschätzung der Berliner Wissenschaftsverwaltung stützen. Die Befürworter der Viertelparität klagten zwar, wurden aber aus formalen Gründen abgewiesen.
Auch Präsident Thomsen wäre verpflichtet, einen rechtswidrigen Beschluss aufzuheben oder ihn zumindest mit aufschiebender Wirkung zu beanstanden. Aber auch, wenn Thomsen nichts davon tun sollte, weil er die rechtliche Lage für uneindeutig hält, wäre die Viertelparität noch nicht in trockenen Tüchern. Denn da sie vom Berliner Hochschulgesetz abweicht, kann sie überhaupt nur eingeführt werden, wenn man dafür die Erprobungsklausel im Hochschulgesetz beansprucht, die mehrere Paragraphen zum Experimentieren frei gibt. Darunter ist Paragraph 62, in dem die Zusammensetzung des Konzils geregelt ist. Auch mit der Zusammensetzung des Akademischen Senats darf experimentiert werden. Doch müsste zuerst jeweils das Kuratorium der TU zustimmen. Dass die jetzigen Mitglieder dies mehrheitlich tun, ist keineswegs sicher. Das letzte Wort hätte die Berliner Senatsverwaltung.
Selbst wenn sie keine Einwände hätte, könnte die Viertelparität aber trotzdem nicht in allen weiteren Gremien eingeführt werden. Denn laut Berliner Hochschulgesetz müssen die Professorinnen und Professorinnen in allen Gremien, die über Angelegenheiten der Forschung und der Lehre und über Berufungen beschließen, die Mehrheit der Sitze und Stimmen haben. Damit geht das Berliner Gesetz weiter als das Bundesverfassungsgericht. Es hatte im Jahr 1973 erklärt, die Professoren müssten bei Entscheidungen, die „unmittelbar“ die Lehre betreffen, über die Hälfte der Stimmen verfügen, bei Entscheidungen, die „unmittelbar“ Fragen der Forschung oder die Berufung von Professoren betreffen, die Mehrheit.
Viel zu beschließen bliebe den viertelparitätisch besetzten TU-Gremien also nicht. Natürlich könnte sich die TU in der Folge gleichwohl darüber streiten, was überhaupt „Angelegenheiten der Forschung und der Lehre“ sind. Je nach Sichtweise wären das fruchtbare oder furchtbare Debatten. Anja Kühne
Die TU Berlin veranstaltet am 5. Juli eine Podiumsdiskussion zum Thema (12 Uhr, Hauptgebäude). Näheres und Anmeldung unter: www.tu-berlin.de/?172706