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Die Spur der Keime. Unter speziellem Licht werden potenzielle Krankheitserreger auf den Händen sichtbar. Bessere Hygiene und regelmäßige Desinfektion helfen, die Übertragung von Mensch zu Mensch einzudämmen.
© Jeff Swensen /laif

Resistente Bakterien: Mit leeren Händen

Der Menschheit gehen die Antibiotika aus. Die Folge: Patienten leiden länger und sterben häufiger. Bessere Hygiene kann helfen, aber verhindern lassen sich Resistenzen kaum

Der erste Patient kam 2010, direkt aus dem Urlaub. Er hatte sich auf Rhodos eine Krankheit eingefangen, nun sollten die Ärzte an der Leipziger Uniklinik den lästigen Keimen den Garaus machen. Doch die Mediziner waren machtlos, die Bakterien der Art Klebsiella pneumoniae reagierten nicht auf die üblichen Antibiotika. Selbst die Carbapeneme, in solchen Fällen das Mittel der letzten Wahl, schlugen nicht an. Die Lungenentzündung wurde schlimmer, die Keime streuten ins Blut, der Patient starb. Seitdem haben sich in der Uniklinik offenbar 62 weitere Patienten mit den carbapenemresistenten Erregern, kurz KPC, angesteckt. 30 von ihnen sind tot. Es ist der größte derartige Ausbruch, den es je in Deutschland gegeben hat.

„Leipzig ist nur die Spitze des Eisberges“, warnt Petra Gastmeier vom Institut für Hygiene des Berliner Universitätsklinikums Charité. Erste Studien, die die Verbreitung solcher Resistenzen zeigen, lassen vielen Medizinern Schauer über den Rücken laufen.

Vergangene Woche warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass Tripper, mit 106 Millionen Infizierten pro Jahr eine der häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten der Welt, bald unheilbar werden könnte. Nur einen Tag später erschien im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ ein Artikel, der zeigte, dass zehn Prozent aller Tuberkulose-Fälle in China von Bakterien verursacht werden, die gegen zahlreiche Antibiotika resistent sind. Auch in deutschen Krankenhäusern tauchen immer häufiger Keime wie KPC auf.

Der Menschheit gehen die Antibiotika aus, die Wunderwaffen werden stumpf. Die Folge: Die Behandlung wird teurer. Die Patienten leiden länger und sterben häufiger. Margaret Chan, Generaldirektorin der WHO, warnt gar vor dem „Ende der modernen Medizin, wie wir sie kennen“. Neue Antibiotika seien nicht in Sicht, mahnte sie kürzlich bei einer Rede in Kopenhagen und malte die Zukunft in düsteren Farben: „So alltägliche Dinge wie eine Mandelentzündung oder das aufgeschürfte Knie eines Kindes könnten wieder töten.“

„Wir bewegen uns zurück in eine Zeit, in der es keine wirksamen Antibiotika gibt“, sagt auch Stefan Kaufmann, Direktor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie. Der Albtraum wird längst Realität - und die Gefahr kommt aus einer anderen Richtung, als lange gedacht.

Die Welt der Bakterien lässt sich durch eine einfache Färbung, die der Däne Hans Christian Gram entwickelt hat, in zwei Klassen teilen: Die einen haben eine dicke äußere Schicht aus dem Eiweiß Murein und färben sich blau (grampositiv). Zu ihnen gehören etwa Staphylokokken, Listerien und Clostridien. Die Zellwand gramnegativer Bakterien, wie Klebsiella penumoniae oder Pseudomonas aeruginosa, ist anders aufgebaut, darum bleiben sie farblos.

Viele Jahre galten methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) als Musterbeispiel gefährlicher Krankenhauskeime. In den USA infizieren sich jedes Jahr 94 000 Menschen mit dem Keim, 19 000 sterben daran. Politiker und Journalisten starrten auf das MRSA-Problem, sagt Gastmeier. „Dabei sind die gramnegativen Bakterien die viel größere Bedrohung.“ Denn gegen MRSA haben die Mediziner noch einige Pfeile im Köcher. Mit Linezolid kam 2000 sogar ein neuer Wirkstoff auf den Markt. Dagegen herrschten bei manchen gramnegativen Bakterien jetzt schon postantibiotische Zustände, sagt Tim Eckmanns vom Robert-Koch-Institut.

Begonnen hatte es mit den ESBL-Keimen. Die Abkürzung steht für „extended spectrum beta-lactamase“ und beschreibt ein Eiweiß, dass Bakterien gegen Penicilline und viele andere Antibiotika resistent macht. Von den großen Gruppen der Antibiotika blieben den Ärzten gegen gramnegative Keime nur noch die Carbapeneme als Reserve. Doch Ende der 90er-Jahre tauchten erstmals ESBL-Keime auf, denen auch Carbapeneme nichts anhaben konnten.

Die Häufigkeit von MRSA auf deutschen Intensivstationen blieb zwischen 2007 und 2011 konstant bei 1,4 Fällen pro hundert Patienten. Bei ESBL-Keimen stieg sie in derselben Zeit von 0,3 auf 0,8 an. Immer häufiger sind Keime dabei, die auch gegen die Carbapeneme resistent sind.

Die KPC-Keime aus Leipzig sind nur ein Beispiel, eine andere Resistenz gegen Carbapeneme, Oxa48, verursachte vergangenes Jahr im Maasstad-Krankenhaus in Rotterdam einen Ausbruch. 80 Patienten erkrankten, 27 starben. 2010 machte in Deutschland das Carpanem-Resistenzgen NDM-1 Schlagzeilen. Der „Killerkeim“ war bei einem schwedischen Patienten entdeckt worden, der für eine Schönheits-OP nach Indien gereist war. In Pakistan, Indien und Bangladesch ist die Resistenz offenbar weit verbreitet. Aber auch in England, Belgien und Deutschland wurde sie nachgewiesen.

Hat ein Patient sich mit so einem Keim angesteckt, können Ärzte häufig nur noch auf Antibiotika wie Colistin ausweichen, die wegen ihrer Nebenwirkungem eigentlich seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt werden. „Jetzt ist die Not groß genug“, sagt der Infektiologe Norbert Suttorp von der Charité. Weil die Medikamente bisher kaum eingesetzt wurden, sei die Dosierung aber häufig ein Problem. „Da stochern wir manchmal mit der Stange im Nebel“, sagt Suttorp. „Ich bin kein Alarmist, aber da muss jetzt verdammt viel passieren, sonst möchte ich nicht wissen, wo wir in 20 Jahren sind“, sagt er.

Wie viele Menschenleben schon heute auf das Konto resistenter Keime gehen, ist kaum zu beziffern. Stirbt ein Patient, kann zwar der Erreger nachgewiesen werden, häufig bleibt aber unklar, ob der Patient lediglich mit der Infektion oder wegen der Infektion gestorben ist. Bei multiresistenten Erregern kommt eine weitere knifflige Frage hinzu: Wäre der Patient auch gestorben, wenn er sich mit dem gleichen Erreger nur ohne Resistenzen angesteckt hätte?

Gastmeiers Gruppe hat nun erstmals versucht abzuschätzen, wie viele Menschen mit einer Blutvergiftung nur sterben, weil der Erreger resistent ist gegen gängige Antibiotika. Etwa tausend Menschenleben fordern die Resistenzen demnach in Deutschland jedes Jahr, Tendenz steigend.

Resistenzen lassen sich nicht grundsätzlich verhindern. Denn in der Regel sind weder Antibiotika noch Resistenzen vom Menschen gemacht. Im Krieg gegen Krankheitserreger bedient sich der Mensch der Waffen, die im Kampf Mikrobe gegen Mikrobe entwickelt wurden: Penicillin wird von Schimmelpilzen produziert, Colistin von Bakterien und Erythromycin wurde in einer Bodenprobe von den Philippinen entdeckt. Auch andere Antibiotika sind Naturstoffe. Im Kampf um Lebensraum und Ressourcen sind sie die Nahkampfwaffen von Pilzen und Bakterien gegen andere Bakterien.

Aber im Wettrüsten der Natur haben die Angegriffenen auch gelernt, sich zu wehren: Sie zerstören die Wirkstoffe, pumpen sie aus der Zelle oder schützen sich mit einer dicken Hülle (siehe Grafik). Die Gene, die ihnen diese Tricks beibringen, sind vermutlich uralt. So haben Forscher im vergangenen Jahr Resistenzgene aus 30 000 Jahre altem Eis im Norden Kanadas isolieren können. Und meist sitzen sie auf Plasmiden, kleinen Genringen außerhalb des Erbguts. So lassen sie sich leichter vermehren und weitergeben.

Die meisten Antibiotika liefert die Natur also inklusive Gegenmittel. In der Darmflora des Menschen begegnen sich dann Bakterien aus der Umwelt und Krankheitserreger und können sich austauschen. Normalerweise übernehmen die Erreger solche Resistenzen nicht, weil sie keinen Vorteil bieten.

Passiert das ganze aber zum Beispiel in einem Krankenhaus, wo der Patient gerade mit einem Reserveantibiotikum behandelt wird, so bietet die Resistenz einen Überlebensvorteil. Resistente Bakterien werden regelrecht gezüchtet. „Aus unserem Alltag sind wir eine Vermehrungszeit von 20 Jahren gewöhnt, nicht 20 Minuten. Deswegen können wir uns das so schlecht vorstellen“, sagt Kaufmann.

Es gibt gute Gründe, warum der Verbrauch von Antibiotika steigt. Viele Patienten, die vor 20 oder 30 Jahren gestorben wären, können heute gerettet werden. Häufig haben sie ein äußerst schwaches Immunsystem, ohne Antibiotika wären sie dem Tode geweiht. „Auf manchen Intensivstationen bekommt jeder Patient im Schnitt zwei Antibiotika pro Tag“, sagt Eckmanns.

In anderen Bereichen werden Antibiotika aber viel zu häufig gegeben, bemängeln Experten. Die Medikamente seien weder Schmerzmittel noch fiebersenkend, sagt Gastmeier. Bei Schnupfen oder Grippe etwa, die durch Viren verursacht werden, sind Antibiotika sinnlos. Dasselbe gilt für die meisten Entzündungen von Nebenhöhlen oder Mittelohr.

Hinzu kommt die Globalisierung. Immer mehr Patienten aus anderen Ländern werden in deutschen Krankenhäusern behandelt. Dabei können sie resistente Keime einschleppen. Ursprung vieler Ausbrüche sind Patienten aus Griechenland, Indien oder dem arabischen Raum. Als Patienten aus Libyen im vergangenen Jahr zur Behandlung nach Deutschland gebracht wurden, mahnte das RKI zur Umsicht. „Offenbar gibt es in Entwicklungsländern nicht weniger Resistenzen, wie man lange dachte, sondern viel mehr, weil Antibiotika noch viel weniger gezielt gegeben werden“, sagt Eckmanns.

Bestimmte Patienten sollten deshalb schon vor der Aufnahme in die Klinik auf resistente Erreger untersucht werden, fordert Gastmeier. Und in allen Fällen müsste schneller gehandelt werden. „Das Trauerspiel beginnt häufig schon in der Diagnostik“, klagt die Hygienikerin. Werde dort ein Stamm als resistent erkannt, werde die Probe häufig noch einmal an ein Referenzlabor überwiesen, der Befund am Ende per Post ans Krankenhaus geschickt. Dadurch verstreiche wertvolle Zeit und der Erreger breite sich von Patient zu Patient aus. „Da muss ich sofort im Krankenhaus anrufen, damit die den Patienten isolieren und alle Menschen, die Kontakt mit ihm hatten, auf eine Ansteckung untersuchen.“

Viele Ansteckungen im Krankenhaus ließen sich außerdem durch eine bessere Händehygiene vermeiden, sagt Gastmeier. Bei einer Studie am Uniklinikum Freiburg war die Häufigkeit von Ansteckungen mit ESBL-Keimen um sieben Prozent zurückgegangen, wenn der Verbrauch von Desinfektionsmittel um ein Prozent gesteigert wurde. Mehr Hygiene allein reiche aber nicht aus, sagt Gastmeier. Antibiotika müssten sparsamer und sinnvoller eingesetzt werden, fordert sie.

Natürlich werden auch neue Antibiotika benötigt, aber die sind nicht in Sicht. Die meisten Pharmafirmen haben sich aus der Forschung zurückgezogen, denn die Bakterienkiller haben ein Profitproblem. Sie werden zwar häufig verkauft, aber in der Regel nur wenige Tage lang eingenommen. Deshalb sind sie wirtschaftlich weniger interessant als Mittel, die den Blutdruck senken und ein Leben lang genommen werden. Hinzu kommt, dass ein neues Antibiotikum nur in besonders schweren Fällen eingesetzt würde. So soll verhindert werden, dass auch gegen die neuesten Antibiotika Resistenzen entstehen.

Der freie Markt kann das Problem nicht lösen, sagt Kaufmann. Einige Forscher haben deshalb vorgeschlagen, den Patentschutz für Antibiotika zu verlängern oder eine Antibiotikasteuer einzuführen, die die Forschung finanziert. Doch selbst das neueste, beste Antibiotikum dürfte bald seine Wirkung verlieren, wenn es wahllos verschrieben wird. Dennis Maki, ein US-amerikanischer Experte für Infektionskrankheiten, hat Ärzte einmal mit Alkoholikern verglichen. Ihnen ein neues Antibiotikum zur Verfügung zu stellen, ohne sicherzugehen, dass es richtig eingesetzt wird, sei, als würde man einem Alkoholiker einen besseren Weinbrand geben.

Viele Forscher fordern deshalb ein Umdenken. „Wenn wir Antibiotika nehmen, dann brauchen wir sie letztlich auf“, sagt Kaufmann. „Früher oder später gibt es Resistenzen und dann haben wir das Medikament für die nächsten Generationen kaputt gemacht.“ Das sei nicht anders als beim Ausstoß von CO2 oder der Nutzung von Rohstoffen. „Es geht auch bei diesem Thema um Nachhaltigkeit, aber leider hat die Politik das noch nicht begriffen.“

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