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Gut geschützt. Um Saatgut vor Krankheiten zu bewahren, wird es oft chemisch gebeizt (rechts im Bild). Elektronenbehandelte Körner zeigen keine Verfärbung.
© dpa-Zentralbild/Parsch

Saatgut: Mit Elektronen gegen Krankheitserreger

Ein neues Verfahren zur Saatgutbehandlung kommt ohne gefährliche Pestizide aus. Aber noch wird es kaum eingesetzt.

Chemisch gebeizte Saatkörner sind in Verruf geraten. An ihrer Oberfläche sind Verbindungen aufgebracht, die verhindern sollen, dass die Körner von Krankheitserregern befallen werden. Doch die Chemikalien können auch Schaden anrichten. So kam es im Frühjahr 2008 am Oberrhein zu einem massenhaften Bienensterben. Untersuchungen ergaben, dass Saatguthersteller die Körner mit zu wenig Haftmittel versehen hatten, weshalb ein Pestizid verstärkt abgerieben wurde und beim Säen in die Umwelt gelangte.

„Solche Probleme sind bei elektronenbehandeltem Saatgut ausgeschlossen“, sagt Andreas Prelwitz von der Nordkorn Saaten GmbH in Güstrow. Er setzt auf ein Verfahren, bei dem die Körner nicht chemisch behandelt werden, sondern mithilfe von Elektronenstrahlung vor Erregern geschützt werden. Dabei kommt dieselbe Technik zum Einsatz wie früher bei den mächtigen Röhrenfernsehern. Entwickelt wurde das Verfahren zur Saatgutbehandlung in den achtziger Jahren in der DDR. Nach der Wende geriet es beinahe in Vergessenheit. Heute wird es häufiger eingesetzt, aber immer noch deutlich seltener als die chemische Beize.

Reiche Ernte. Für hohe Erträge braucht man hochwertiges Saatgut.
Reiche Ernte. Für hohe Erträge braucht man hochwertiges Saatgut.
© picture alliance / ZB

„Saatkörner müssen behandelt werden, vor allem moderne Getreidesorten, die auf hohe Erträge gezüchtet sind“, sagt Prelwitz. Durch ihre Gleichförmigkeit können sich Pflanzenkrankheiten wie Mehltau oder verschiedene Rost-Erkrankungen schnell ausbreiten und zu gravierenden Ernteausfällen führen. Die Saatgutbehandlung verhindert, dass die Erreger bereits mit dem Samen in die Anbaufläche gelangen und schützt so den empfindlichen Keimling. Das Beizen ist keineswegs eine Erfindung der Neuzeit. Bereits vor über 2000 Jahren wurde Lauchsaft als Beizmittel verwendet. Die Menschen der antiken Hochkulturen nutzten unter anderem Zwiebelsud, Zypressensaft und Asche, um die Saatkörner vor Krankheiten zu schützen.

Doch moderne Beizmittel haben auch Nachteile, wie das Bienensterben zeigt. Nicht benutztes Saatgut muss wegen der Schadstoffbelastung teuer als Sondermüll entsorgt werden. Für die elektronenbehandelten Körner hingegen gibt es keine Gefahrstoffauflagen, sie dürfen sogar in Trinkwasserschutzgebieten eingesetzt werden und sind offiziell für den ökologischen Landbau zugelassen.

Die Methode nutzt den Umstand, dass beschleunigte Elektronen Energie übertragen. Je nachdem wie der Elektronenstrahl geregelt wird, kann bis auf einen Tausendstel Millimeter genau eingestellt werden, wie tief die Teilchen in das Samenkorn eindringen. Auf der Oberfläche des Samens und in den obersten Schichten zerstören die Elektronen innerhalb weniger Millisekunden die Lebens- oder Vermehrungsfähigkeit von Pilzen, Bakterien und Viren. Sie haben dadurch ein breiteres Wirkungsspektrum als die chemischen Beizmittel, die häufig auf einzelne Mikroorganismen eingestellt werden müssen. Andererseits wird der Embryo im Samen nicht von den Elektronen getroffen und bleibt keimfähig und unverändert.

Die beschleunigten Elektronen werden erzeugt wie in einer Bildschirmröhre: Eine glühend heiße Kathode wird unter Hochspannung gesetzt und schleudert Elektronen von sich. Durch eine dünne Titanfolie gelangen die Elektronen aus der Vakuumröhre in den 1,40 Meter langen Behandlungsraum. Dort treffen sie auf die Samenkörner, die im freien Fall wie ein Rieselvorhang vorbeirauschen. „So schaffen wir 30 Tonnen Saatgut pro Stunde“, sagt Prelwitz. Zu sehen ist von der Prozedur nichts, die Behandlung der Körner erfolgt in einem geschlossenen Kasten.

Entstanden ist das Verfahren eher aus der Not heraus. Die längste Zeit des 20. Jahrhunderts waren quecksilberhaltige Beizmittel ein wirksamer Schutz gegen Krankheitserreger am Saatgut. Doch weil sich das giftige Metall in Böden und Pflanzen anreicherte, wurde das Quecksilberbeizen 1982 in der BRD verboten. Die Hersteller verwendeten nun Wirkstoffe, die zuvor bei der Blattbehandlung von Pflanzen eingesetzt worden waren. Die DDR hatte jedoch nicht die Mittel für die Entwicklung alternativer Beizchemikalien und nicht die Devisen, um diese im westlichen Ausland zu kaufen. Aber sie hatte einen Tüftler von Weltruf, dessen privates Forschungsinstitut das größte im gesamten Ostblock war: Manfred von Ardenne.

Er war unter anderem maßgeblich beteiligt an der Entwicklung des Fernsehers, des Elektronenmikroskops und des Radars. Die tödliche Wirkung von energiereicher Strahlung auf Mikroorganismen war seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt. Warum also nicht damit das Saatgut behandeln? Die häufig zur Sterilisation verwendeten Gammastrahlen kamen nicht infrage, sie hätten das Samenkorn komplett durchdrungen und es einschließlich des Embryos getötet. Anders die beschleunigten Elektronen, bei ihnen lässt sich die Eindringtiefe genau dosieren.

Das Institut Manfred von Ardenne hatte die Technologie schon recht weit entwickelt, als die Wende kam. Doch dann geriet das Verfahren zunächst in Vergessenheit. 1995 erinnerte man sich am Fraunhofer-Institut für Elektronenstrahl- und Plasmatechnik (FEP) als einem der Nachfolgeeinrichtungen des Dresdener Instituts an die Technologie, entwickelte sie weiter und setzte die Feldversuche fort.

In einem ausführlichen Bericht, der 500 Freilandversuche berücksichtigte, kam bereits 2005 die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft zu folgendem Ergebnis: „Die Elektronenbehandlung kann als alternative Methode zur chemischen Beizung eingesetzt werden. Das Niveau des Feldaufgangs, die Bestandsentwicklung und die Erträge aus elektronenbehandeltem Saatgut sind mit aus chemisch gebeiztem Saatgut aufgewachsenen Beständen vergleichbar.“ Anfang des Jahres stellte die Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern fest, dass hinsichtlich des Krankheitsbefalls und der Erträge keine Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsverfahren bestünden. Auch die Pflanzenschutzorganisation für Europa und den Mittelmeerraum (Eppo) empfiehlt die Elektronenbehandlung. Dennoch konnte sich die Methode bisher kaum auf dem Markt durchsetzen.

Nordkorn-Geschäftsführer Prelwitz erklärt das mit der Struktur der Saatgutproduktion in Deutschland. Es gebe wenige Großbetriebe im Norden und Osten und viele kleine Betriebe in den übrigen Landesteilen. Güstrow sei mit Abstand der größte Produktionsstandort für Saatgut in Deutschland. Die teure Maschine lohne sich jedoch nur für die Herstellung großer Mengen an Saatgut, etwa ab 10 000 Tonnen pro Jahr. „Wer unser Verfahren einsetzt, hat anfangs hohe Investitionskosten“, gibt auch der FEP-Physiker Frank-Holm Rögner zu. „Dafür sind die Betriebskosten gering, denn der eingesetzte Strom kostet immer noch deutlich weniger als die chemischen Beizmittel.“

Die Fraunhofer-Forscher wollen nun gemeinsam mit Industriepartnern ein Modul entwickeln, das in Saatgutbehandlungsmaschinen verschiedener Hersteller eingebaut werden kann. So soll es auch für kleinere Hersteller interessant werden. Zugute komme dem Verfahren auch, dass in der EU ab 2015 Landwirte nachweisen müssen, dass sie den Kohlendioxidausstoß und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verringern, sagt Rögner. „Der Wechsel zur Elektronenbehandlung von Saatgut kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.“

Viele Landwirte im Nordosten haben die Entscheidung längst gefällt. „Anfangs waren sie skeptisch und hatten Angst um ihre Ernteerträge“, berichtet Prelwitz. „Heute wollen viele von ihnen nur noch elektronenbehandeltes Saatgut haben.“ Inzwischen seien 400 000 Hektar Ackerfläche damit bestellt worden. Die Nachfrage steigt, so dass Prelwitz beschlossen hat, die mobile Versuchsanlage, die bisher abwechselnd in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern eingesetzt wurde, nicht mehr zu nutzen. Stattdessen lässt er in Güstrow die erste stationäre Anlage für die Elektronenbehandlung bauen. Im Herbst soll sie einsatzbereit sein.

Stefan Parsch

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