Archäologie-Museum "smac" in Chemnitz: Mit den Urmenschen am Lagerfeuer
Das neue Chemnitzer Archäologie-Museum smac weist mit spektakulären Inszenierungen und interaktiven Angeboten weit über Sachsen hinaus.
Ein mächtiger europäischer Bison und ein Auerochse schauen in kühler Landschaft den Besucher an. Gegenüber schimmern simulierte Eiswände, in der Mitte dreht sich ein Klimaglobus, im Hintergrund zucken CO2-Werte über die Wand. Auch die Verbreitung des Menschen über die Erdteile wird auf einem illuminierten Globus gezeigt, drum herum sind Schädel von Hominiden und Neandertalern auf Plexiglassäulen arrangiert. Der Charakter dieses Museums ist nicht sofort auszumachen – und das ist gewollt im neu eröffneten „smac“, dem Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz. Im ehemaligen Kaufhaus Schocken, einem Monumentalbau Erich Mendelsohns aus dem Jahr 1930, will man alles anders machen als bisher in archäologischen Museen.
Das Konzept für die Ausstellung mit 6200 Exponaten stammt vom Sächsischen Landesamt für Archäologie und vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde. Die innovative Präsentation aber verdankt sich wesentlich dem Atelier Brückner aus Stuttgart, einem Team von Architekten und Designern, die zuvor unter anderem das Darwineum im Rostocker Zoo und das Parlamentarium in Brüssel gestalteten.
Der interdisziplinäre Ansatz des Museums besticht, die Präsentation ist zuweilen atemberaubend. Gekonnt werden Tierpräparate, multimediale Elemente, Touchscreens, bunt beleuchtete Vitrinen, Modelle und Objekte kombiniert. Das ist keineswegs Spielerei, jegliche Gestaltung dient der Information, auch der emotionalen. Die Einbeziehung des Fußbodens und des Treppenhauses mit seinem Profilschnitt durch die Erde von 21 Meter Höhe an der Stirnwand des Treppenhauses bewirken, dass man der Geschichte der Menschheit nirgends entkommt.
Im ersten Stock blickt der Betrachter in einen fächerförmigen Ausstellungsraum, an dessen hinterer Wand ein 40 Meter langes Panorama einer von einigen Tieren spärlich bewohnten Landschaft zeigt. Man erwandert sich den Zeitraum von 220 000 vor Christus bis 7500 v. Chr., einer Periode, in der das Klima Schwankungen unterlag, kältere Zeiten sich mit wärmeren abwechselten. Daher die Ecke mit der Eiszeit und dem Klimaglobus. Ein Glaskubus birgt die ersten Schritte der Tiefenforschung, der Geologie und der Archäologie. Zu entdecken sind auch Objekte, die Ida Wilhelmine von Boxberg gefunden hat, Sachsens erste Archäologin für die Steinzeit. Eisfuchs und Rentier stehen frei im Raum, Pflanzen in Glaskästen und aufgespießte Feuersteine stehen für das, was die ersten Menschen gesammelt und gejagt haben.
Was unterscheidet uns vom Neandertaler?
Zu den interaktiven Stationen der Ausstellung gehört ein gläserner Neandertaler. Auf Augenhöhe lässt sich überprüfen, welche Körperregionen in ihren Proportionen vom heutigen Menschen abweichen. Noch näher kommen die Besucher dem entfernten Vorfahren beim „Morphen“: Ihr frisch geschossenes Porträt wird im Computer des Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in das eines Neandertalers umgerechnet. Da fühlt man sich im Modell eines Lagerplatz der Urmenschen mit Zelten und Beerensammlerinnen gleich zu Hause. Ihrer Kunst ist ein eigenes Kabinett gewidmet – mit Reproduktionen von Wandmalereien und Pferderitzungen auf dem kleinen Schieferplättchen von Groitzsch, Sachsens ältestem Kunstwerk aus der Zeit um 14 000 vor unserer Zeitrechnung.
Schön inszeniert werden selbst die guten alten Museums-Vitrinen, hier sind es Glaskuben, die in bläulichen, grünlichen und wärmeren Tönen wechselnd beleuchtet werden. Selbst der Boden der Ausstellung ist in die Konzeption einbezogen. Unregelmäßige Höhenlinien symbolisieren eine Landschaft, in die der Mensch noch nicht eingegriffen hat.
Das zweite Stockwerk ist den Kulturen der Sesshaftigkeit gewidmet, die über den Orient und die Karpaten in unsere Breiten kamen. Hausbau, Ackerbau, Viehzucht: Wie der Mensch die Natur zu formen begann, zeigt ein weiteres 40 Meter langes Panorama an der Stirnseite. Modelle erläutern die Phasen des Hausbaus – von der archäologischen Entdeckung bis zur Rekonstruktion. Die Bodenlinien erscheinen nun schon geordneter, auf kleinen Erhebungen werden Hortfunde an Metall und Keramik in Glaskuben präsentiert. Ein Höhepunkt sind die Brunnenbalken mit ihren Verzapfungen von rund 7500 v. Chr., die bereits den hohen Stand der Zimmermannskunst erkennen lassen.
In Richtung Treppenhaus zum nächsten Stockwerk hängen kleine Monitore von der Decke, die schon auf die Themen im nächsten Stockwerk neugierig machen. Auf in die Zeit „Von der slawischen Aufsiedlung bis zur Industrialisierung“. Wie sich die Kulturlandschaft entwickelt und verdichtet, nehmen die Ausstellungsgestalter auf, indem sie die Vitrinen, die unzähligen Stadt- und Burgmodelle an der Wand und die darüberliegende Schrift, die slawische und germanische Namen nachweist, enger zusammenrücken. Flankiert wird dies sinnfällig von langgezogenen gläsernen Regalen, in denen Alltagsgegenstände entlang eines Zeitstrahls gezeigt werden. Ein faszinierendes, flexibles System, das dem Museum auch künftig viel Spielraum lässt, Objekte neu zu inszenieren. Mit der Erfindung der Eisenbahn, die das Raum-Zeitgefühl für immer verändert hat, endet die Ausstellung.
Und immer wieder wird die Geschichte der Zivilisation mit Funden aus Sachsen geerdet, der Freistaat verortet sich selbstbewusst im archäologischen Feld. Im Foyer schickt ein interaktives Sachsenmodell die Besucher auf Entdeckungsreisen. Ein 3-D-Modell beantwortet mit Bildern, Grafiken und Texten Fragen, die Besucher auf Touchscreens stellen können. Die riesige Karte kann ganz oder in Teilen bis in das oberste der drei Ausstellungsstockwerke fahren, je nachdem, in welcher Epoche sich der Besucher gerade befindet.
Pilgerort für Architekturliebhaber
Gleichwohl weist dieses Museum weit über Sachsen hinaus, es zeigt Menschheits- und schreibt Museumsgeschichte. Zu Recht nennt Sachsens Ministerin für Wissenschaft und Kunst Sabine von Schorlemmer das smac ein gestalterisches und fachliches Vorbild für den mitteleuropäischen Raum. 32,9 Millionen Euro haben die Sanierung der Bau-Ikone Kaufhaus Schocken und 15 Millionen die Inneneinrichtung gekostet.
Nicht nur für Archäologieliebhaber wird Chemnitz dank des smac zum Pilgerort. Das von den Architekten Auer Weber aus Stuttgart und Knerer und Lang aus Dresden behutsam restaurierte und modernisierte ehemalige Kaufhaus ist ein Musterbeispiel für die moderne Nutzung alter Bausubstanz – und zugleich ein Gedenkort für Erich Mendelsohn und Kaufhausgründer Salman Schocken. Zu finden ist es in den Erkergalerien, die jeweils den Ausstellungsraum der Archäologie vom Tageslicht trennen. Im ersten Stock wird Mendelsohns Werk mit 17 Architekturmodellen gedacht, im zweiten Stock das alte Kaufhaus Schocken vorgestellt und die dritte Galerie ist Salman Schocken, dem Leser und Sammler wertvoller Bücher gewidmet.
Angesichts dieser Museums-Neuerfindung erscheint die angekündigte Schließung der Klassischen Archäologie an der Universität Leipzig paradox. Auch das dazugehörige Museum soll geschlossen werden. Prompt demonstrierten in der vergangenen Woche Studierende zur Eröffnung des Chemnitzer Hauses.
Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz, Stefan-Heym-Platz 1 (Brückenstraße 9–11). Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. Eintritt 7 Euro, ermäßigt 4 Euro (www.smac.sachsen.de).
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