Fliegen mit Sonnenenergie: Mit 17 000 Solarzellen um den Globus
Ohne einen Tropfen Kerosin wollen zwei Piloten 35 000 Kilometer in der Luft zurücklegen. Besonders anstrengend werden die Flüge über Pazifik und Atlantik.
Läuft es wie geplant, wird die „Solar Impulse 2“ Ende Juli wieder in Abu Dhabi landen. Sicher ist das keineswegs. Nicht mal die exakte Flugroute steht fest, denn die Maschine hält weder Sturm noch Gewitter aus. Deshalb werden die drei Dutzend Mitarbeiter im Kontrollzentrum in Monaco rund um die Uhr nach optimalen Routen suchen.
Im Solarflugzeug einmal um den Globus. 35 000 Kilometer ohne einen Tropfen Treibstoff. Zwölf Jahre haben der Schweizer Abenteurer Bertrand Piccard und sein Team in Lausanne an dem Projekt gearbeitet, an der Konstruktion der Maschine getüftelt, Risiken berechnet, Sponsoren gesucht. Die größte Schwachstelle der Unternehmung, das hat Piccard dem Tagesspiegel vorab am Telefon verraten, stellt der Mensch dar. Denn aus Gewichtsgründen ist im Cockpit nur für einen Piloten Platz. Da die längsten Etappen, nämlich die über den Pazifik und später die über den Atlantik, bis zu fünf Tage und Nächte dauern, erwartet den Piloten extremer Schlafmangel. Innerhalb von 24 Stunden darf er zehn Mal für je 20 Minuten einschlafen, wobei er selbst in diesen kurzen Phasen zwischendurch die Augen öffnen muss, um den Kurs zu kontrollieren. Piccard versucht es mit Hypnose. Sein Partner André Borschberg, der die Hälfte der Etappen übernehmen wird, bevorzugt Yoga.
Keine Mutprobe, sondern eine Mission mit Botschaft
Es soll keine Mutprobe und auch kein vergnügliches Abenteuer sein, sagt Bertrand Piccard. Sondern eine Mission mit Botschaft. Sein Team will das Potenzial erneuerbarer Energien aufzeigen: „Wenn 2015 eine Ein-Mann-Weltumrundung ohne Treibstoff möglich ist, wird bald noch ganz anderes machbar sein.“ Vielleicht sogar einst der solarbetriebene Passagierverkehr. Als Piccard seine Idee im November 2003 erstmals der Öffentlichkeit vorstellte, seien viele Skeptiker über ihn hergefallen, sagt er. Von denen seien über die Jahre eine Menge verstummt.
Konstruiert wurde der Viermotorer in Lausanne, hier fanden vergangenen Sommer auch eine Reihe von Testflügen statt. Diesen Januar wurde die „Solar Impulse 2“ demontiert und in Einzelteilen an den Persischen Golf verfrachtet, dort folgten weitere, meist bloß einstündige Testflüge über der Wüstenmetropole Abu Dhabi. Warum sich Piccard ausgerechnet die Vereinigten Arabischen Emirate, einen der zehn größten Öllieferanten der Welt und damit Symbol für Ressourcenverschwendung, als Start- und Zielpunkt aussuchte ? „Weil auch in Abu Dhabi die Erkenntnis wächst, dass man sich aus genau dieser Resourcen-Abhängigkeit befreien muss“, sagt er.
Bertrand Piccard, 57, ist eigentlich Psychiater von Beruf, stammt aber aus einer Familie von Luft- und Seefahrtpionieren. Großvater Auguste war Physiker und Einstein-Vertrauter, stieg in den 1930er Jahren mehrfach mit selbstgebauten Druckluftkapseln in die Stratosphäre auf, experimentierte in bis zu 17 Kilometern Höhe. Mit seinem Sohn Jacques konstruierte er anschließend ein U-Boot, mit dem er drei Kilometer in die Tiefe tauchen konnte. Der Sohn wiederum baute ein Nachfolgemodell, mit dem er es 1960 fast elf Kilometer tief in den Marianengraben schaffte – Tauchweltrekord. Bertrand Piccard selbst ist 1999, nach mehreren gescheiterten Anläufen, mit einem Ballon nonstop um den Globus geflogen, hat dabei fast 3700 Kilo flüssiges Propangas verbraucht. Damals entstand die Idee: das nächste Mal ohne Treibstoff!
Die Maschine „Solar Impulse 2“ hat eine Flügelspannweite von 72 Metern – das entspricht den Maßen einer Boeing 747. Auf den Tragflächen sitzen insgesamt 17000 Solarzellen. Die sind jedoch so dünn, dass sie kaum ins Gewicht fallen. Ganz anders die Batterien, die Strom für die Nachtetappen speichern: Ihre 600 Kilo machen rund ein Viertel des Gesamtgewichts der Maschine aus.
Um überhaupt flugfähig zu sein, mussten die Entwickler deshalb an anderer Stelle sparen. Zum Beispiel im spartanisch ausgestatteten Cockpit: Der Pilotensitz dient gleichzeitig auch als Liege und, nach Verschieben einer Klappe, als Toilette. Um Thrombosen vorzubeugen, müssen die Piloten regelmäßig Gymnastik machen. Das Cockpit hat weder Heizung noch Druckausgleich, weil die Piloten aber in bis zu acht Kilometern Höhe fliegen wollen, brauchen sie Sauerstoffmasken, das Nylonmaterial ihrer Anzüge soll Temperaturschwankungen ausgleichen.
Fallschirm und aufblasbare Rettungsinsel sind an Bord
Da sämtliche Energie aus den Solarzellen für das Flugzeug gebraucht wird, sind die Mahlzeiten in selbsterhitzenden Beuteln verpackt, die wie Handwärmer funktionieren. Sollte die Maschine abstürzen, hat der Pilot immerhin einen Fallschirm und eine aufblasbare Rettungsinsel an Bord. Den Ernstfall haben sie in einem Marinestützpunkt der Deutschen Bundeswehr im niedersächsischen Nordholz geprobt.
Bis in den Februar hinein waren Piccards Mitarbeiter damit beschäftigt, die letzten Überflugrechte der betroffenen Nationen einzuholen. Die grobe Route: Zunächst soll die „Solar Impulse“ Richtung Indien fliegen, von dort weiter nach China und bis an die amerikanische Westküste. Von New York geht es dann über den Atlantik bis nach Südeuropa oder Nordafrika – von dort zurück zum Ausgangspunkt am Persischen Golf.
Strapaziös, risikoreich und mit vielen Fragezeichen behaftet, so beschreibt Bertrand Piccard die bevorstehende Aufgabe. Aber genau so müsse sie auch sein, denn dies sei nun mal das Wesen eines Pioniers: dass er sich außerhalb der Komfortzone bewege. „Ich bin überzeugt: Wenn der Erfolg einer Unternehmung schon im Vorhinein absehbar ist, bedeutet es nur, dass die Verantwortlichen zu wenig wollten – und dass die Aktion niemanden inspirieren wird, das zu toppen.“
2013 gab es bereits einen Testflug mit dem Vorgängermodell über die USA. Dabei entstand ein zweieinhalb Meter langer Riss in einer der Tragflächen. Der Pilot flog einfach weiter.
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