Abkehr vom Turbo-Abitur: Mehr Zeit für Werte
Das hält kein Kind aus: Wie das Turbo-Abitur gemacht wurde, kann es keiner wollen. Deswegen muss es heißen: Vorwärts zu einem längeren, modernen Gymnasium, das Zeit für die Persönlichkeitsbildung lässt.
Fernab der Krim geht es um etwas, das uns ganz nahe ist. Oder sein sollte: Kinder. Ihre Ausbildung. Erziehung fürs Leben. Vorbereitung darauf. Bei diesem rasanten Wandel der Anforderungen an die, die nach uns kommen, ist es sicher angemessen, sich aufs Neue zu fragen, ob das, was gestern noch galt, morgen richtig ist. Kein Mensch badet im selben Flusse zum zweiten Mal, wusste Heraklit. Auch so ein Überbleibsel an Bildung. Eines aus der Zeit, in der das Gymnasium nicht unbedingt ein Profit Center war, ein Durchlauferhitzer für die Marktgängigkeit zukünftiger Arbeitskräfte zur Steigerung des Bruttosozialprodukts.
Eine reine Schulzeitverkürzung muss nicht sein
Wie, das ist jetzt polemisch? Stimmt. Ein wenig. Aber es spricht zumindest einmal den Schülervertretern aus der Seele, und die sollen auch eine Stimme haben. Die sagen jetzt: „Gute Nacht, G 8“. Initiativen aus fast allen Bundesländern, Gruppen mit Eltern, Schülern, Lehrern, Ärzten und Psychotherapeuten, haben sich in Berlin getroffen, um gegen das „Turbo-Abi“ nach nur acht Gymnasialjahren anzugehen. Grundsätzlich ist schon richtig, dass die Politik darauf reagieren muss, wenn deutsche Schüler im weltweiten Vergleich nur Mittelmaß sind, nicht wettbewerbsfähig erscheinen. Dann liegt die Idee nahe, dass sich etwas ändern muss. Aber muss es zwingend eine reine Schulzeitverkürzung sein? Die Schulminister der Länder wollten sie vor bald einem Jahrzehnt jedenfalls nicht.
Einschlafstörungen und Migräne: So kann das G8 nicht gelingen
Also das kann keiner wollen: Die Pflichtzahl von 265 Lehrplanstunden bis zur Reifeprüfung wurde einfach von neun auf acht Schuljahre umgelegt. Das Volumen des Unterrichts blieb aber gleich. Die Lehrpläne wurden auch nicht durchforstet. Was heißt: nicht knapp 30 Unterrichtsstunden pro Woche, sondern mehr als 33, auf fünf Tage verteilt, mit Stunden am Nachmittag, Sieben- bis Achtstundentage. Welches Kind, welcher Heranwachsende hält das auf Dauer aus, von den Lehrern abgesehen, für die das auch ein Schlauch ist? Psychologen haben bei G-8-Schülern eine auffällige Zunahme von Erkrankungen festgestellt. Einschlafstörungen, Migräne, Magersucht zum Beispiel. Außerdem die viele Nachhilfe. So kann G 8 nicht gelingen!
79 Prozent der Bürger fordern eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. In immer mehr Ländern kommt sie auf die Tagesordnung. 50 hessische Gymnasien bieten schon wieder das Abitur nach neun Jahren an, die versuchsweise in Baden-Württemberg und Nordrhein- Westfalen wieder eingerichteten G-9- Gymnasien laufen über. In Berlin bleiben Plätze an Gymnasien mit Turbo-Abi frei, an Gemeinschaftsschulen mit Abitur nach 13 Jahren müssen freie Plätze wegen der Nachfrage verlost werden. Nur Rheinland-Pfalz ist fein raus: Es hat als einziges Land bei G 8 nicht mitgemacht.
Zeit für Persönlichkeitsbildung und Werteerziehung ist nötig
Es sind keine Weltabgewandten, die sich engagieren. Es sind Anwälte, Psychologen, Mediziner, Lehrer – und wo war das noch zu lesen, ach ja, in der „Zeit“: Es ist das klassische bundesdeutsche Bildungsbürgertum. Dessen Initiativen wenden sich gegen Lernstress; die Kinder sollen Zeit für Spiel, Sport und Kultur haben. Was ist schlimm daran? Oder falsch? Nichts. Deswegen will Niedersachsen ja auch einfach nicht zurück zum alten Abitur nach 13. Schuljahren, sondern vorwärts zu einem modernen neunjährigen Gymnasium. Aber mit dem Bewährten, das zeitlos modern ist: Zeit für Persönlichkeitsbildung und Werteerziehung. Und Werte zählen. Gerade in diesen Zeiten.
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