Weltgesundheitsgipfel: Medizin für Migranten
Auf dem Weltgesundheitsgipfel in Berlin fordern Experten: Die Versorgung von Flüchtlingen soll verbessert werden. Fast 80 Prozent der Geflüchteten in Griechenland sei traumatisiert, sagt "Ärzte ohne Grenzen".
Es ist eine lange Liste von Themen, die sich der diesjährige World Health Summit (WHS) in Berlin vorgenommen hat: die Erkenntnisse aus der Ebola- und der Zika-Epidemie, die Bedeutung technologischer Innovationen und medizinischer Forschung, das Problem der Antibiotikaresistenzen, die Auswirkungen von Big Data und Klimawandel, nicht zuletzt aber die Sorge um die Gesundheit der 60 Millionen Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden.
„Diese Themenvielfalt ist eine mögliche Schwäche“, gestand WHS-Präsident Antoine Flahaut, Gründungsdirektor des Institute of Global Health in Genf, denn auch bei der Eröffnungs-Pressekonferenz des Weltgesundheitsgipfels am Sonntag. Angesichts der Vielfalt der Gesundheitsprobleme sei man aber bewusst davor zurückgeschreckt, sich bei dem Treffen von Wissenschaftlern, Politikern, Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und aus der Industrie auf ein einziges Thema zu beschränken. Für den Charité-Mediziner Detlev Ganten, zusammen mit seinem Genfer Kollegen Flahaut Präsident und zudem Initiator des Gesundheitsgipfels, ist die Themenvielfalt deshalb eine Stärke der Veranstaltung, die traditionell unter der Schirmherrschaft der deutschen Bundeskanzlerin, des französischen Staatspräsidenten sowie des Präsidenten der EU-Kommission steht.
Ganten: Gesundheit umfasst weit mehr als Medizin
Der Gipfel, der noch bis zum Dienstag geht, gehört mit mehr als 1500 Experten aus über 80 Ländern zu den weltweit bedeutendsten Foren für globale Gesundheitsfragen. „Wir brauchen ein solches Forum, in dem ohne politische Interessen und über Grenzen hinweg diskutiert wird“, sagte Ganten. Als Arzt habe er begriffen, dass Gesundheit weit mehr umfasst als Medizin – so beschreibt er seine Motivation dafür, den Weltgesundheitsgipfel vor acht Jahren ins Leben gerufen zu haben und nun Jahr für Jahr mit zu organisieren. Mit der Annäherung von Forschung, Politik und Wirtschaft wolle man für die Weltgesundheit etwas Neues schaffen. Wie sehr das nottut, belegt in den Augen von Christian Bréchaut, Präsident des renommierten Institut Pasteur in Paris, das „Desaster“ der Ebola-Epidemie des vergangenen Jahres. Im Kampf gegen Infektionskrankheiten sei Vertrauen das A und O der internationalen Zusammenarbeit.
Eine der zentralen Sitzungen widmete sich am Montag der Gesundheit von Menschen, die sich auf der Flucht befinden. „Die Migration wird in den nächsten Jahrzehnten unsere Politik weiter bestimmen“, sagte dort Yves Daccord, Generaldirektor des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Er forderte nicht nur universellen Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle Geflüchteten, sondern auch Sicherheit für alle, die in diesem Sektor arbeiten. Wissenschaftliche Datensammlungen dürften sich zudem nicht auf Zahlen beschränken, es komme vielmehr darauf an, mehr über einzelne Personen und ihre individuellen Strategien im Umgang mit Gesundheitsproblemen zu erfahren.
Sechs Millionen Kinder sind 2015 an vermeidbaren Krankheiten gestorben
Florian Westphal von der Organisation Ärzte ohne Grenzen verdeutlichte, dass politische Entscheidungen auf allen Ebenen negativen Einfluss auf die Gesundheit von Menschen nehmen könnten. Auf der einen Seite stehe die Politik im Herkunftsland: 79 Prozent der Flüchtlinge, die derzeit in Griechenland leben und warten, sind nach einer Erhebung von Ärzte ohne Grenzen traumatisiert. Hinzu kommen die Gefahren illegaler Fluchtwege und schließlich Probleme der medizinischen Versorgung im aufnehmenden Land, erläuterte Westphal.
86 Prozent der Geflüchteten leben nicht in Europa, sondern in Ländern mit unzureichender, teilweise akut überlasteter Gesundheitsinfrastruktur. Fast sechs Millionen Kinder sind 2015 an vermeidbaren Krankheiten gestorben, wie die ehemalige dänische Premierministerin Helle Thoring-Schmidt von Safe the Children International in ihrem Vortrag darlegte. Vor allem im Interesse der Kleinsten seien Public Private Partnership und die Zusammenarbeit mit Firmen wichtig, die Impfstoffe und Medikamente herstellen.