Verhaltensforschung: Mäusespeck und Selbstkontrolle
Menschen, die sich als Kind gut beherrschen konnten, kommen später besser mit Belastungen zurecht. Hirnscans zeigen jetzt: Ihr Gehirn arbeitet stereotyper und effizienter.
Die Qualen waren den Vierjährigen ins Gesicht geschrieben. Auf dem Tisch vor ihnen stand ein Teller mit einem Marshmallow oder einem gefüllten Keks. „Die Süßigkeit kannst du entweder gleich naschen“, sagte ein Erwachsener. „Oder du wartest, bis ich mit einer zweiten wiederkomme. Dann kannst du beide haben.“ Er verließ den Raum, eine Videokamera zeichnete auf, was dann geschah.
Ein Mädchen mit Zöpfen fixierte den Marshmallow, roch daran – und gab sich nach wenigen Sekunden geschlagen. Ein Junge in gelbem T–Shirt drehte sich um, trat immer wieder gegen den Tisch und hielt einige Minuten durch. Andere sangen, erfanden Spiele, taten so als wäre die Süßigkeit ein Ufo. Bis zu 15 Minuten.
500 Kinder zwischen drei und fünf Jahren testete Walter Mischel so Ende der 1960er Jahre am Bing-Kindergarten der Stanford-Universität und ermittelte, dass Kinder ab vier Jahren genug Willensstärke aufbringen können, um eine Belohnung aufzuschieben. Allerdings gelang das nicht allen gleich gut, es bildeten sich zwei Gruppen. Wer sich erfolgreich ablenken konnte, widerstand der Versuchung.
Viele der Kinder waren später Schulkameraden seiner Töchter. Ab und an fragte Mischel: Was macht Jenny? Wie geht es Cecilie? Aus den Antworten ergab sich allmählich ein Bild: Die willensstarken Kinder hatten es in der Schule viel leichter. Mischel lud die 14- bis 15-Jährigen erneut ein und fragte unter anderem ihre Ergebnisse beim amerikanischen Studierfähigkeitstest ab. Die Unterschiede zwischen beiden Gruppen waren enorm. Mischel, der jetzt an der Columbia-Universität in New York forscht, verfolgt das Schicksal seiner Probanden mittlerweile seit über 40 Jahren. Der Zusammenhang zwischen Wartezeit und Erfolg im Leben blieb. Selbstkontrolle hilft, Belastungen wegzustecken, gute Abschlüsse zu machen und im Beruf seinen Weg zu gehen.
Nun ließen die Forscher um Mischel 24 der Teilnehmer im Hirnscanner abermals eine Aufgabe lösen. Zunächst zeigten sie ihnen sechs Wörter mit der Anweisung, sich alle zu merken. Nach kurzer Zeit gaben sie die Anweisung, dass die Probanden drei Wörter wieder vergessen sollten. Dann wurden auf dem Bildschirm einzelne Wörter eingeblendet. Gehörten sie auf die Merkliste, sollten die Probanden „Ja“ anklicken, sonst: „Nein“. Die These der Forscher: Selbstkontrolle hat möglicherweise damit zu tun, wie gut man irrelevante Informationen aus dem Arbeitsgedächtnis löschen kann.
Das Ergebnis gab ihnen recht, schreiben die Forscher im Fachblatt „Nature Communications“. Die zwölf Teilnehmer mit großer Selbstkontrolle aktivierten im Test ein ganz bestimmtes, kleines Netzwerk von Nerven. Bei den zwölf weniger Willensstarken dagegen leuchteten größere und unterschiedliche Teile des Gehirns auf. Sie waren langsamer, machten mehr Fehler. Allein aus den Scans konnten die Forscher mit 71 Prozent Treffsicherheit schließen, zu welcher Gruppe ein Proband gehörte. Das Gehirn der Willensstarken arbeite stereotyper und effizienter, schreiben die Forscher. Das Muster erinnere an Tolstois ersten Satz in „Anna Karenina“: „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Vielleicht sei auch Selbstkontrolle fast immer gleich, ihr Scheitern aber jeweils einzigartig.
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