100 Jahre allgemeine Relativitätstheorie: Matratze für Himmelskörper
Einsteins Theorie ist genial und erfordert zugleich eine Erweiterung. Gelingen wird sie nur in Teamarbeit, die auch bei vielen anderen Forschungsfragen nötig ist. Ein Kommentar.
Albert Einstein Superstar. Dieser Tage gibt es wieder Grund, ihn zu feiern. Vor 100 Jahren, am 25. November 1915, präsentierte er in Berlin seine allgemeine Relativitätstheorie der Öffentlichkeit. Es ist eine Formelsammlung vom Wesen der Welt, die so genial und zugleich so unerbittlich gegenüber früheren Theorien war, dass sie als Revolution der Physik gelten muss. Radikal fegte sie vermeintliche Gewissheiten hinweg. Raum und Zeit, das waren seit Menschengedenken feste Größen. Sie bildeten das Koordinatensystem, in dem jeder Einzelne, jede Tat, sogar jeder Gedanke zu verorten ist: mit einem eindeutigen Platz zu einer eindeutigen Zeit. Gewissermaßen eine Anschrift, die jeder lesen und finden kann.
Raum und Zeit waren nicht länger ein starres Gitter
Eben nicht! Das hatte Einstein im Jahr 1905 mit seiner speziellen Relativitätstheorie gezeigt. Sie erklärt, dass Abstände und Zeitspannen nicht konstant sind, sondern vom Beobachter abhängen. Dass zum Beispiel eine Uhr in einem schnellen Raumschiff ein winziges bisschen langsamer geht als auf der Erde. Zehn Jahre später fügte er noch die Gravitation hinzu. Raum und Zeit waren nicht länger ein starres Gitter, das man in das Universum legen konnte, um sich zu orientieren. Sie wurden zusammengeführt zur „Raumzeit“.
Die kann man sich wie eine karierte Matratze vorstellen, in die Himmelskörper einsinken. Je mehr Masse sie haben, desto tiefer ist die Delle, umso deutlicher ist das ursprünglich ebenmäßige Karomuster der Raumzeit gekrümmt. Das bedeutet beispielsweise: Auf der Erde gehen Uhren einen winzigen Hauch langsamer als auf einer Sonde, die fern der irdischen Schwerkraft draußen im All fliegt.
Kultur des Skeptizismus
Raum und Zeit und Gravitation müssen zusammengedacht werden, so lautete die zentrale Botschaft Einsteins. Aber konnte man ihm glauben? Mit jeder astronomischen Beobachtung, die seine Theorie bestätigte, wurden die Zweifel kleiner, wuchs der Respekt für den Forscher. Hundert Jahre hat sein Konzept nun schon Bestand. Das ist in der modernen Physik, mit ihren weitreichenden Experimentiermöglichkeiten und einer Kultur des Skeptizismus, eine respektable Zeit und damit ein starkes Indiz dafür, dass Einsteins Relativitätstheorie wirklich stimmt.
Sie gilt heute als eine Art Weltformel, zumindest für die makroskopische – kann sie doch beschreiben, wie das Universum im Großen funktioniert. Dass das Weltall mit einem Urknall begann und sich immer weiter ausdehnt, was erst viel später bewiesen wurde. Sie nützt uns aber auch im Alltag, indem sie beispielsweise Korrekturen für GPS-Messungen bereitstellt, ohne die die Satellitennavigation binnen 24 Stunden auf eine Abweichung von elf Kilometern käme.
Einstein, Rockstar der Wissenschaft
Natürlich hat die Relativitätstheorie ihren Ruhm auch ihrem geistigen Vater zu verdanken, dem größten Rockstar der Wissenschaft. Einstein war ein Provokateur, der auf den ehrwürdigen Newton und andere Giganten seines Fachs pfiff. Warum nicht? Schließlich hatte er eine Reihe bahnbrechender Theorien entwickelt, die die Physik entscheidend voranbrachten, was ihn beispielsweise von Stephen Hawking unterscheidet. Er hatte ein leidlich anstrengend-wildes Leben, was die Identifikation mit ihm erleichtert, und politisch-moralisch stand er fast immer auf der richtigen Seite.
Vor allem aber gilt er als das letzte große Universalgenie: Einer, der wirklich noch den Überblick hatte und sich trotzdem in die verschiedensten Themen versenken konnte. Ganz so leicht fiel es Einstein dann doch nicht, zeigen jüngere Forschungen. So flehte er für seine Relativitätstheorie einen jungen Mathematiker an: „Hilf mir, Grossmann, sonst werd ich verrückt!“ Der half, wie auch manch anderer. Im kollektiven Gedächtnis überdauerte Einstein allein.
Einer oder eine allein wird die Lösung nicht finden
Heute sind in der Wissenschaft die Beiträge von Forscherkollegen sichtbarer. Das mag den Glanz des Teamleiters etwas schmälern, entspricht aber eher der Realität. Egal ob es um die Entdeckung des Higgs-Teilchens geht, die mit tausenden Forschern am Teilchenbeschleuniger LHC gelang oder um die Vermessung von Neutrinos in tiefen Bergwerksstollen oder dem Eis der Antarktis – die großen Forschungsfragen dieser Zeit sind derart komplex und erfordern so viel technischen Aufwand, dass große Fortschritte nur mit vielen Menschen gelingen, die mit Herz und Hirn bei der Sache sind.
Das lässt auf eine Erweiterung von Einsteins Relativitätstheorie hoffen. Nötig ist sie in jedem Fall, denn sie kann nur eine von vier physikalischen Grundkräften erklären, die Gravitation. Die elektromagnetische, die starke und die schwache Wechselwirkung, die sich vorrangig auf der Mikroebene abspielen, bleiben außen vor. Eine Lösung ist noch nicht in Sicht. Klar ist aber: Einer oder eine allein wird sie nicht finden.