Humboldt-Universität ohne Präsidentschafts-Kandidat: Martin Lohse: "Ich bin nicht der Richtige"
Warum der Kandidat für das Präsidentenamt der Humboldt-Universität abgesprungen ist: Hat Martin Lohse Angst vor dem Amt - oder ein besseres Angebot?
„Überrascht, erstaunt und eigentlich sprachlos.“ So reagierte Rolf Emmermann, Vorsitzender des Kuratoriums der Humboldt-Universität, am Montag auf den Rückzug Martin Lohses, der Präsident der HU werden sollte. Das Kuratorium und die Findungskommission hätten Lohse mit gutem Recht als sicheren Kandidaten gesehen, denn dieser habe seine Kandidatur schriftlich zugesagt. Als Gründe für einen Rückzug habe ihm Lohse in einer E-Mail Sonntagnacht mitgeteilt, die Aufgabe, die HU zu leiten, habe sich doch anders dargestellt, als er zunächst angenommen hätte. Dies bestätigte Lohse auf Anfrage: „Ich habe die Situation falsch eingeschätzt.“
Lohse: Nicht Wissenschaft, Verwaltung ist gefragt
Seine Rolle als künftiger Präsident habe er darin gesehen, die wissenschaftliche Exzellenz der Uni weiter voranzubringen. Nach Gesprächen mit HU-Vertretern in der vergangenen Woche sei ihm dann klar geworden, „dass vor allem eine Verwaltungsreform und die Sicherstellung der Finanzierung der HU“ anstünden. „Dafür bin ich nicht der Richtige.“ Lohse widersprach der Darstellung, er habe seine Kandidatur fest zugesagt. Vereinbart gewesen sei, dass eine Festlegung auf beiden Seiten erst nach Sondierungsgesprächen erfolgen solle.
Lohse sollte am 17. November gewählt werden, an diesem Dienstag wollte ihn das Konzil, das Wahlgremium der Universität, anhören. Der Rückzug Lohses ist ein Schock für die HU. Schließlich war man froh, mit dem Mediziner nach langer Suche und inneren Verwerfungen doch noch einen Kandidaten mit einer glanzvollen Vita gefunden zu haben. Seine Nominierung Ende Oktober war an der HU und in der Stadt durchweg positiv aufgenommen worden. Allseits wurde er wärmstens als künftiger Präsident begrüßt. HU-Professoren trauten ihm die schwierige Aufgabe zu, die Universität zu einen und etwa hinter einen neuen Antrag in der Exzellenzinitiative zu bringen.
Aussicht auf einen anderen Posten in der Wissenschaft
Lohse ist ein gestandener Wissenschaftler und Forschungsmanager, der an seiner Uni in Würzburg und an vielen anderen Einrichtungen zahlreiche Leitungsfunktionen innehat. Kann es wirklich sein, dass er die Aufgabe an der HU zunächst unterschätzte? Emmermann bestätigt, dass Lohse seiner Mail zufolge hinsichtlich der Herausforderungen an der HU „zu denselben Schlüssen gekommen sei, mit denen Amtsinhaber Jan-Hendrik Olbertz im Konzil nicht durchgedrungen sei“. Dieser hatte eine erneute Kandidatur von einer Verfassungsreform der HU abhängig gemacht, nach der die Universitätsfinanzen von einem Kanzler und nicht wie bisher von einem Vizepräsidenten verwaltet werden sollten.
Womöglich steckt hinter Lohses Rückzieher aber auch die Aussicht auf einen anderen renommierten Posten in der Wissenschaft.
"Allgemein bekannt ist, dass ich auf dem Markt bin"
Bekannt war, dass er auch am Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin als Vorstandsvorsitzender im Gespräch war. Dort soll man ihm aber zunächst eine eigene Forschungsgruppe verweigert haben. Glaubte Lohse womöglich, mit dem Ruf an die HU nachverhandeln zu können? Lohse selbst bestätigt, dass weitere Einrichtungen im In- und Ausland an ihn herangetreten seien. Er habe aber seit seiner Nominierung durch die HU „diese Aufgabe ganz im Mittelpunkt gesehen“. „Ich bin davon ausgegangen, dass ich sie übernehmen werde“, sagt Lohse. „Allgemein bekannt ist aber, dass ich auf dem Markt bin.“ Aus dem Umfeld des MDC ist indes zu hören, man sei mit Lohse durchaus noch im Gespräch. Die Pressestelle wollte dies auf Anfrage weder bestätigen noch dementieren.
180-Grad-Wendung eines kooperativen und souveränen Kandidaten
An der Humboldt-Universität ist am Montag das Entsetzen groß, als die Neuigkeit die Runde macht. „Ich bin schockiert und zutiefst enttäuscht“, sagt Julia von Blumenthal, Dekanin der Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät. Die Historikerin Gabriele Metzler sagt: „Ich bedauere das.“ Auch Larissa Klinzing aus der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter, die auch zur Findungskommission gehört, reagiert „zutiefst enttäuscht“. Sie habe für den Rückzug nur einen Tag vor der geplanten Anhörung im Konzil „überhaupt kein Verständnis“. Ein Unimitglied spricht von einer „180-Grad-Wendung von dem kooperativen und souveränen Verhalten Lohses in der vergangenen Woche“.
Gruppen in der Uni signalisierten Veränderungsbereitschaft
An der Universität ist man umso überraschter, als bisher nichts darauf hindeutete, Lohse könne auf einmal unüberwindbare Hürden für eine Präsidentschaft sehen. Ganz im Gegenteil seien die Gespräche des Kandidaten mit Vertreterinnen und Vertretern der Uni ausgesprochen positiv verlaufen, heißt es aus allen Statusgruppen. „Man hatte den Eindruck, Lohse passt sehr gut zur Humboldt-Universität“, sagt Blumenthal. Es habe „keine Ecken, nichts Negatives“ gegeben – auch nicht bei den Themen Finanzen und Verwaltung, die Lohse jetzt als Begründung für seinen Absprung anführt. Lohse habe vielmehr „gelassen“ gewirkt und der Uni vermittelt, gemeinsam etwas verändern zu können, sagt Blumenthal. Die Gruppen der Universität hätten ihm auch viel Veränderungsbereitschaft signalisiert. Für Klinzing ergab sich aus den Gesprächen „die berechtigte Hoffnung, gemeinsam vorwärtsgehen zu können“. Wenn Lohse nun so kurzfristig abspringe, liege das nicht an der HU.
Beim Thema MDC wirkte Lohse transparent
´Studierendenvertreter João Fidalgo sagt, Lohse wirkte „informiert über die Lage an der HU“: „Er schien sich darauf vorzubereiten, Präsident zu werden.“ Unter Verwaltungsmitarbeitern heißt es, man habe mit ihm zwar über viele Probleme gesprochen. „Das schien ihn aber nicht zu erschrecken.“ Er habe auch durchaus andere Ansichten als Olbertz vertreten. Und beim Thema MDC, so ist zu hören, sei bei allen Unimitgliedern der Eindruck entstanden, Lohse habe dort abgesagt. Lohse habe bei dem Thema transparent gewirkt, was viele ihm als besonders vertrauenswürdig auslegten.
Plan B: Wer will schon als zweite oder Wahl dastehen?
Mit der Absage Lohses dürfte es für die HU jedenfalls nicht leichter werden, einen neuen Präsidenten oder eine neue Präsidentin zu finden. Schon dass Olbertz Anfang des Jahres die Uni mit einer möglichen Kandidatur lange hinhielt (und dann zunächst verzichtete), hatte die Suche erschwert. Neben Lohse gab es wohl dennoch weitere potenzielle Kandidaten. Die dürften jetzt eher abgeschreckt sein, sagt ein Unimitglied: „Wer will schon als zweite oder gar dritte Wahl dastehen?“ Wie geht es jetzt weiter bei der Präsidentensuche? Das sei noch offen, sagt Emmermann. Er wolle sich am Dienstag mit einer Kerngruppe der Findungskommission darüber verständigen.