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Virusblockade. Neue Medikamente – hier die Tagesration eines Aids-Patienten – machten aus der unheilbaren Krankheit eine chronische Infektion.
© dpa

Aids: „Man erwartete, demnächst zu sterben“

Vor 20 Jahren gelang der Durchbruch bei der Behandlung der Immunschwäche. Ein Gespräch mit dem Berliner Internisten Keikawus Arastéh über den Wandel der Therapie.

Vom 18. bis 22. Juli treffen sich Forscher aus aller Welt zur Welt-Aids-Konferenz im südafrikanischen Durban. Bei dieser Gelegenheit ist auch ein runder Geburtstag zu begehen: Vor 20 Jahren, im Juli 1996, fand im kanadischen Vancouver die elfte Welt-Aids-Konferenz statt, und sie gilt als historischer Meilenstein in der Behandlung der Immunschwäche Aids. Nach Jahren der Frustration gab es endlich eine durchschlagende Behandlung. Zwei Studien hatten gezeigt, dass es nachhaltiger wirkt, wenn mit dem Immunschwächevirus HIV Infizierte gleichzeitig zwei Medikamente aus der Gruppe der Nukleosidanaloga einnehmen. Zusätzlich wurden mehrere neue Mittel aus der Gruppe der Proteasehemmer zugelassen. Die hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART oder ART) war geboren, für die gleich drei Mittel auf einmal verordnet wurden. Und sie wurde so erfolgreich, dass vom Lazarus-Effekt die Rede war. Wie waren die unmittelbaren Auswirkungen dieses Durchbruchs, und was hat sich seitdem getan? Ein Gespräch mit Keikawus Arastéh, Aids-Forscher und Chefarzt der Gastroenterologie und Infektiologie am Vivantes-Klinikum Auguste Viktoria in Berlin-Friedenau.

Herr Dr. Arastéh, Sie waren damals in Vancouver dabei. Herrschte unter den teilnehmenden Medizinern wirklich Partystimmung, wie es nach der Konferenz in verschiedenen Berichten hieß?

Ich habe das durchaus so wahrgenommen – auch wenn wir Internisten vorsichtige Leute sind. Es war wirklich ein Durchbruch, denn mit der bisherigen Behandlung, für die die Mittel nacheinander gegeben wurden, wenn das vorhergehende nicht mehr wirkte, hatten wir nach drei Medikamenten unsere Möglichkeiten ausgereizt. Das Prinzip der Medikamenten-Kombination kannten wir von anderen Infektionskrankheiten wie der Tuberkulose. Man hatte sich aber nicht getraut, die Anti-HIV-Mittel, die manche „das Gift“ nannten, zusammen zu geben.

Die Konferenz in Vancouver war die elfte ihrer Art. Die ersten zehn sind wohl recht deprimierend verlaufen?

Natürlich war die Situation in den 80er Jahren und zu Beginn der 90er für niemanden befriedigend. Wir haben notgedrungen und ganz pragmatisch die Folgen der HIV-Infektion behandelt. Die Lebenserwartung wurde dadurch aber nicht wirklich größer. Bevor es die kombinierte Therapie gab, starben Infizierte im Schnitt 18 Monate, nachdem die Diagnose gestellt wurde. Wir haben unseren Patienten deshalb geraten, ihre letzten Dinge zu ordnen. Die Erwartungshaltung war, demnächst zu sterben.

Keikawus Arastéh ist Internist und leitet die Infektiologie im Berliner Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum. Sie ist das größte deutsche Behandlungszentrum für HIV und Aids.
Keikawus Arastéh ist Internist und leitet die Infektiologie im Berliner Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum. Sie ist das größte deutsche Behandlungszentrum für HIV und Aids.
© Vivantes

Heute ist, wenn nicht besondere Komplikationen auftreten, die Lebenserwartung von HIV-Infizierten annähernd normal. Durch die Kombinationstherapie ist sie aber schon in den Jahren direkt nach Vancouver schnell gestiegen. Im Vergleich zu 1994 gab es 1998 nur ein Zehntel Neuerkrankungen an der Immunschwäche Aids.

HIV-Infizierte hatten plötzlich eine Lebensperspektive, aber es war nicht nur eine Freude. Nun war das große Thema: Wie stelle ich mich einer sozialen Wirklichkeit, die auch mit Kälte einhergeht? Wie schaffe ich es, mich trotz Lücken in der Arbeitsfähigkeit sozial abzusichern? Dazu kamen aus gesundheitlicher Sicht nicht nur die Nebenwirkungen der Therapie, im Lauf der Jahre wurde auch das erhöhte Risiko bedeutsam, an Tumoren oder Herz-Kreislauf-Leiden zu erkranken. Wobei es hier noch viele Unklarheiten gibt. Normale Alterungsprozesse sind schwer von Folgen der Infektion und von Folgen der Behandlung zu trennen. Sicher ist: Die Probleme reißen nicht ab.

Die Medikamente, die das Virus in Schach halten, sind in den letzten Jahren nochmals schonender geworden, die Behandlung kann individueller erfolgen. Was lässt sich da eigentlich noch verbessern?

Die Therapie verzeiht keine Fehler, man muss jeden Tag und in jeder Lebenslage an die Tabletten denken. Die Smart-Studie hat gezeigt, dass es schlecht ist, zeitweise zu pausieren. Bei unseren Patienten gibt es allerdings den großen Wunsch, die Last der täglichen Erinnerung an ihre Infektion loszuwerden. Wir untersuchen derzeit in Studien, ob es gleich wirksam ist, wenn man die Mittel nur einmal im Monat in den Muskel spritzt, wo sie ein Depot bilden. Der Andrang zu diesen Untersuchungen ist sehr viel größer, als wir dachten.

Zur Last der Verantwortung gehört aber auch die Verantwortung für andere. Was hat sich bei der Vorbeugung von Neuinfektionen seit Mitte der 90er Jahre getan?
Die Wahl der Möglichkeiten hat sich in den letzten Jahren zweifellos vergrößert. Wenn das Virus bei jemandem, der die Medikamente nimmt, jahrelang unter der Nachweisgrenze bleibt und er oder sie über ein halbes Jahr lang in fester Partnerschaft lebt, dann ist es verantwortbar, das Kondom wegzulassen. Das haben Studien gezeigt. Inzwischen gibt es aber auch ein Mittel, das zwei der Wirkstoffe enthält, die aus der ART bekannt sind, und das man zur Vorbeugung einnehmen kann. Diese Pille zur Präexpositionsprophylaxe ist in den USA und neuerdings in Frankreich zugelassen. Dort werden die Kosten sogar von den Krankenkassen übernommen. Ich finde, sie handeln damit sehr klug. Bei uns steht die Entscheidung im Herbst an. Es werden weitere neue Mittel folgen, die situationsbedingt eingesetzt werden können. Das heißt nicht, dass Kondome überflüssig würden. Es geht vielmehr um eine zusätzliche Hilfestellung, um sich und andere zu schützen, und das in einer zeitlich meist sehr begrenzten Lebensphase. Trotz dieser Fortschritte bleibt weiterhin eine große Lücke: Menschen, die noch nicht wissen, dass sie sich angesteckt haben, geben HIV weiter.

Die Vereinten Nationen wollen, dass schon 2020 neun von zehn HIV-Infizierten diagnostiziert werden, neun von zehn Infizierten eine Therapie bekommen und bei neun von zehn der Behandelten das Virus dadurch unter die Nachweisgrenze gerät. Können wir HIV nicht ganz verbannen?

Wir werden es wohl nicht so schnell aus der Welt schaffen können. Das heißt aber nicht, dass Menschen sich infizieren oder gar an Aids erkranken müssten. Wir haben die Chance, das mit cleveren Strategien zu verhindern.

Und wie stehen die Chancen für schon Infizierte, das Virus ganz loszuwerden?

Auch wenn wir in der HIV-Therapie im Vergleich zur Behandlung bestimmter Krebsformen gut dastehen, bleibt das Bewusstsein, das Virus in sich zu tragen, für Infizierte eine Last. Für die meisten wäre es ein Traum, wenn man es ganz entfernen könnte. Es wäre toll, wenn die Versuche mit molekularen „Genscheren“ klappen würden, die HIV aus dem Erbgut herausschneiden. Im Labor und bei Mäusen hatten Forscher aus Hamburg und Dresden ja schon Erfolg. Ich arbeite gern daran, dass ich arbeitslos werde.

Das Gespräch führte Adelheid Müller-Lissner.

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