Lichtverschmutzung: Macht’s mal ein bisschen dunkler!
Beleuchtung rund um die Uhr macht Menschen zu schaffen. Es ist an der Zeit, die Folgen genauer zu erforschen. Und unnütze Lampen auszuschalten. Ein Kommentar.
Was für ein Ausblick! Keine Wolke, kein Mond am Himmel, stattdessen funkeln hunderte Sterne. Lichtjahre entfernt, und doch erscheinen sie zum Greifen nah. Es klingt paradox: Je dunkler es ist, umso mehr sieht man. Doch das ist vielerorts kaum mehr möglich, weil es so viele störende Lichtquellen wie Straßenlaternen oder Leuchtreklame gibt. Allenfalls die hellsten Sterne sind dann noch zu erkennen. Mehr als ein Drittel der Menschen kann von seinem Heimatort aus nicht mehr die Milchstraße sehen, in Europa sind es mehr als die Hälfte.
„Lichtverschmutzung“ sagen Experten dazu. Der Begriff klingt negativ – und das ist von manchen durchaus gewollt. Es gibt auch andere Meinungen, die Beleuchtung als kulturelle Leistung schätzen, als Maßnahme, die – gefühlt oder real – das Leben sicherer macht.
99 Prozent der US-Amerikaner und Europäer leben unter einem „verschmutzten“ Himmel
Wie hell das Fremdlicht global strahlt, haben Forscher um Fabio Falchi vom Institut für Lichtverschmutzung im italienischen Thiene und Christopher Kyba vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam ermittelt. Vor wenigen Tagen veröffentlichten sie ihren Atlas im Magazin "Science Advances". Demnach sind 80 Prozent der Weltbevölkerung von Lichtverschmutzung betroffen, mehr als 99 Prozent der US-Amerikaner und Europäer leben unter einem „verschmutzten“ Himmel. Das klingt dramatischer, als es ist. Ein paar Lichtstrahlen aus ein paar Lampen tun nichts. Wenn beispielsweise im Oderbruch einige Laternen leuchten, dürfte das für Mensch und Natur folgenlos bleiben.
Ganz anders in dicht besiedelten Regionen. Dort gibt es Licht im Überfluss, rund um die Uhr. Dadurch wird beispielsweise die Produktion des Schlafhormons Melatonin vermindert, man schläft weniger und schlechter.
Über langfristige Auswirkungen ist wenig bekannt
Untersuchungen von Schichtarbeiterinnen deuten darauf hin, dass nächtliche Helligkeit Krankheiten begünstigen kann wie zum Beispiel Brustkrebs. Solche Befunde sollten mit der nötigen Skepsis betrachtet werden – und dazu anregen, mögliche Zusammenhänge genauer zu ergründen. Tatsächlich steht die Forschung zu den Folgen der hellen Nächte noch am Anfang. Vor allem über die langfristigen Auswirkungen auf Menschen, (nachtaktive) Tiere und Ökosysteme, aber auch mögliche Anpassungen ist wenig bekannt.
Es ist noch nicht einmal aufgeklärt, wie sich das Fremdlicht mit der Zeit verändert. Die Behauptung „überall wird’s heller“ ist schnell gemacht. In Ballungsgebieten scheint das zu stimmen. Doch es gibt regional gegenläufige Entwicklungen. In Teilen Großbritanniens wurde es dunkler, weil Industrie ins Ausland abgewandert ist, in vielen Orten wird aus Spargründen die Straßenbeleuchtung zumindest zeitweise abgeschaltet.
Gehwege müssen nach Mitternacht nicht in Licht gebadet werden
Hinzu kommt, dass sich das Lichtspektrum drastisch verändert, je mehr stromsparende LEDs eingesetzt werden. Diese haben einen größeren Anteil an blauem Licht als Natrium-Dampflampen, die noch häufig in Straßenlampen montiert sind. Ob sich die viel gepriesene LED-Revolution am Ende tatsächlich als so positiv erweisen wird oder zu mehr lichtbedingten Problemen führt, ist offen. Klüger wäre es, nur dort zu beleuchten, wo es wirklich sinnvoll ist. Die erhellten Autobahnen in Belgien zum Beispiel erwiesen sich als nutzlos. Auch Straßen und Gehwege müssen nach Mitternacht nicht in Licht gebadet werden. Das Sicherheitsbedürfnis ist verständlich, nur: Wer läuft um diese Zeit dort überhaupt?
Wien dimmt die Lampen eine Stunde früher - und kaum einer merkt es
Selbst am Abend, wenn Menschen auf der Straße sind, denen die Beleuchtung nützt, wird oft zu viel des Guten getan. Sind die Lampen schlecht eingestellt, blenden sie, und dahinterliegende Areale sind kaum zu erkennen. Kyba bringt es auf den Punkt: „Wir brauchen nicht mehr Beleuchtung, sondern gute Beleuchtung.“ Also Lampen, die auf den Boden beziehungsweise auf Fassaden bis in Augenhöhe leuchten. Und keine Lampen, die auf Gewässer oder in Grünanlagen hineinstrahlen. Zumindest das klappt in Berlin schon recht gut, die Stadt hat eigens ein umweltfreundliches Lichtkonzept entwickelt.
Weniger Licht, das heißt auch weniger Stromkosten. Bei größeren Kommunen kommen da im Jahr rasch mehrere zehntausend Euro zusammen. So zum Beispiel in Wien, wo die Dimmschaltung für Nebenstraßen eine Stunde nach vorn verlegt wurde. Gemerkt hat es kaum jemand, denn das Auge passt sich an. Die Astronomen aber sehen nun deutlich mehr. Und natürlich auch alle anderen, die in den Himmel schauen wollen.
Ralf Nestler