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Naturgewalt. Nach einem Zyklon, der im März 2015 den pazifischen Inselstaat Vanuatu verwüstet hat, durchsuchen Einwohner der Hauptstadt Port Villa die Trümmer ihrer Häuser. Vielen Inselstaaten geht das 2-Grad-Ziel nicht weit genug. Sie fordern, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
© imago stock&people

Klimawandel: Löst die Zwei-Grad-Fessel in der Klimapolitik!

Das Zwei-Grad-Ziel ist willkürlich und zunehmend unrealistisch. Wenn überhaupt, so ist es allenfalls mit fragwürdigen Mitteln zu erreichen. Es ist Zeit, endlich ehrlich zu sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ralf Nestler

Emotional, einfach zu begreifen, einschneidende Konsequenzen androhen – so muss eine Botschaft sein, damit sie ankommt. Insofern haben Klimaaktivisten alles richtig gemacht, als sie die (etwas zugespitzte) Mahnung formulierten: „Begrenzt die Erderwärmung auf zwei Grad, sonst bricht das Chaos aus mit überfluteten Metropolen und Millionen Klimaflüchtlingen.“ Etwas so Komplexes wie die Entwicklung des Weltklimas und deren Folgen in eine so knappe Formel zu bringen, ist genial. Aber ist sie auch sinnvoll?

Ein Begriff macht Karriere

Das Zwei-Grad-Ziel bezieht sich auf den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur im Vergleich zu der Zeit vor der Industrialisierung. Es hat seinen Ursprung in den siebziger Jahren bei dem Yale-Ökonomen William Nordhaus. Der sah den Wert allerdings eher als grobe Richtschnur und beklagte große Wissenslücken bei dem Thema. In den neunziger Jahren wurde er erneut aufgegriffen, etwa vom Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung. Die Zwei-Grad-Formel machte Karriere und ist längst eine Marke geworden. Viele Staaten haben den Wert zum Ziel ihrer Klimapolitik erklärt. Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Paris, die am 30. November beginnt, taucht der Begriff allenthalben auf. Mitunter auch im Zusammenhang mit Worten wie „Grenze“ oder „Schranke“, als ob es gar nicht weiter gehen dürfe.

Natürlich kann die Erderwärmung darüber hinausgehen. Und es ist wahrscheinlich, dass sie das tun wird. Um 0,8 Grad Celsius sind die Temperaturen im Schnitt schon gestiegen. Zwar gibt es seit der Jahrtausendwende eine Pause bei der Erderwärmung, doch es ist ziemlich sicher, dass sie nicht ewig dauern wird. Auf kürzere Sicht ist die Temperaturkurve etwas zappelig. So, wie der Thermostat derzeit auf „kühl“ steht, wird er eines Tages auch wieder auf „warm“ gehen. Derweil nimmt der Gehalt an Treibhausgasen in der Atmosphäre weiter zu. Langfristig wird es wärmer. Ob am Ende des Jahrhunderts ein Plus von 1, 2, 4 oder noch mehr Grad gemessen wird, hängt von mehreren Faktoren ab. Neben natürlichen Klimavariationen, die teilweise erst im Ansatz erkannt und verstanden sind, spielt der CO2-Ausstoß eine maßgebliche Rolle.

Wissenschaftler, die an der Beschwörungsformel festhalten, machen sich unglaubwürdig

Dort ist aber keine Wende in Sicht, sodass es zunehmend unrealistisch wird, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Wir sollten uns davon verabschieden – das fordert jetzt, wieder einmal, Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Der statistische Spielraum, das Ziel zu erreichen, werde von Jahr zu Jahr kleiner. Wissenschaftler, die wider besseres Wissen die Beschwörungsformel „Es wird knapp, aber wir können es schaffen!“ weiterverbreiteten, machen sich unglaubwürdig, kritisiert Geden – und provozierte damit heftigen Widerspruch.

Doch er hat recht. Zunächst muss man sich klarmachen, dass es eine politisch motivierte, aber kaum eine wissenschaftlich begründete Zahl ist, wie immer wieder suggeriert wird. Je höher die Erwärmung ausfällt, umso drastischer die Folgen, das ist richtig. Aber den Grenzwert bei zwei Grad anzusetzen, ist ähnlich willkürlich wie die Body-Mass-Index-Grenzen für Übergewicht und Fettleibigkeit, die „zufällig“ bei Vielfachen der Zahl Fünf liegen.

Das umstrittene CCS-Verfahren soll die Rettung sein

Um die gelobte Zwei zu schaffen, müssen in die Berechnungen mittlerweile „negative Emissionen“ einbezogen werden. Damit ist vor allem Bio-CCS (Carbon Capture and Storage) gemeint: etwa der Anbau schnell wachsender Holzarten, die CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen und zur Energiegewinnung verbrannt werden. Das dabei erneut frei werdende CO2 soll aufgefangen und im Untergrund endgelagert werden. Mithilfe also jener Technik, die hierzulande aufgrund heftiger Widerstände in der Bevölkerung und der Politik kläglich scheiterte. Und um die selbst Barbara Hendricks als für Klimaschutz zuständige Ministerin einen Bogen macht. Es ist zu bezweifeln, dass andere Länder Hurra! schreien, wenn ihnen die Klimaverhandler Bio-CCS verordnen. Laut Geden sind 500 Millionen Hektar Anbaufläche nötig, um die zwei Grad zu halten. Das ist die anderthalbfache Fläche Indiens. In einer Welt, die dann wohl acht bis neun Milliarden Menschen ernähren muss.

Es ist höchste Zeit, die Zwei-Grad-Fessel zu lösen. Um frei zu sein, über sinnvolle CO2-Einsparungen und nötige Anpassungen an den Klimawandel zu diskutieren. Wir haben keine Zeit zu verlieren.

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