Genforschung: Licht an, Krankheit aus
Um Leiden wie Diabetes zu behandeln, wollen Forscher einzelne Gene an- oder ausschalten – mit Lichtwellen.
So mancher Forscher hat sich wohl schon gewünscht, er könnte bestimmte Gene einfach wie mit einem Lichtschalter an- oder ausschalten. Genau das hat ein Team von Wissenschaftlern an der ETH Zürich nun bei Mäusen erreicht, die an Diabetes leiden. Indem sie den Tieren Zellen implantierten, die nur bei Bestrahlung mit blauem Licht ein Antidiabetesmittel herstellen, konnten die Forscher den Blutzuckerspiegel der Tiere allein dadurch verändern, dass sie das Licht an- oder ausschalteten.
Dafür nutzten die Forscher um Martin Fussenegger ein lichtempfindliches Molekül namens Melanopsin. Dieses Eiweiß sitzt auf bestimmten Zellen in der Netzhaut und dient dem Gehirn als Taktgeber für die innere Uhr. Wird das Eiweiß über längere Zeit intensiv mit Licht beschienen, ändert es seine Form und löst in den Nervenzellen eine Kaskade von Signalen aus, die schließlich dazu führt, dass Kanäle in der Zellmembran geöffnet werden, Calciumionen einströmen und die Zellen ein elektrisches Signal an das Gehirn weiterleiten. Sinngemäß melden die elektrischen Reize: „Guten Morgen, es ist helllichter Tag.“
Der Schweizer Forscher Martin Fussenegger hat dieses Molekül nun genutzt, um einen ganz anderen Takt vorzugeben. Dazu fügte er das Gen für Melanopsin im Labor in Nierenzellen ein und machte diese so lichtempfindlich. Die veränderten Zellen durchlaufen, wenn sie mit blauem Licht beschienen werden, eine ähnliche Kaskade wie die Nervenzellen. Nur führt der Einstrom von Calciumionen in diesem Fall nicht zu einer elektrischen Erregung, stattdessen wird ein Molekül namens NFAT, das normalerweise im Plasma der Zelle gefangen ist, so verändert, dass es in den Zellkern wandern kann. Dort haftet es sich dann an bestimmte Sequenzen im Erbgut und aktiviert die Gene, die hinter diesen Sequenzen liegen. Fügen die Forscher also ein Gen plus diese Sequenz in die Zellen ein, dann wird das Gen nur dann abgelesen, wenn die Zelle mit Licht beschienen wird. Melanopsin dient als eine Art Lichtschalter für das Gen.
Zum Beweis führten die Forscher um Fussenegger neben Melanopsin noch ein Gen für ein fluoreszierendes Molekül in die Zellen ein. Wie die Forscher im Fachblatt „Science“ (Band 332, Seite 1565) berichten, produzierten die Zellen nur dann das fluoreszierende Molekül, wenn sie intensiv mit blauem Licht beschienen wurden.
Aber die Wissenschaftler gingen noch einen Schritt weiter. Um zu zeigen, dass das Konzept auch klinisch genutzt werden kann, untersuchte Fussenegger Mäuse, die an Diabetes leiden. Er spritzte ihnen einige hundert winzige, durchsichtige Kugeln mit je 10 Millionen der lichtempfindlichen Zellen unter die Haut. Nur dass die Zellen bei Lichtbestrahlung nicht ein fluoreszierendes Molekül produzieren, sondern das Eiweiß GLP-1, das als vielversprechender Stoff im Kampf gegen Diabetes Typ 2 gilt. Tatsächlich konnten die Forscher zeigen, dass die Tiere, wenn sie mit blauem Licht beschienen wurden, mehr Insulin produzierten und den Blutzuckerspiegel besser kontrollierten.
Forscher nutzen Licht bereits seit einigen Jahren, um Zellen zu steuern. Im noch jungen Feld der Optogenetik fügen Wissenschaftler lichtempfindliche Moleküle in die Zellhülle von Nervenzellen ein und können diese dann mit Lichtimpulsen stimulieren, um die Funktionsweise des Gehirns zu entschlüsseln. „Aber hier nutzen die Forscher den Lichtsensor, um durch eine Kaskade gezielt einzelne Gene in der Zelle zu steuern“, sagt Edward Boyer. Der Neurowissenschaftler vom Massachusetts Institut für Technologie (MIT) in den USA schlägt in einem Kommentar im Fachblatt „Science“ sogar einen neuen Namen für das Feld vor: „Synthetische Physiologie“. Immerhin handele es sich um eine neue Art von Biologie, die Optogenetik und synthetische Biologie zusammenbringe.
„Das war für uns ein logischer Folgeschritt“, sagt Fussenegger. Bisher hatten Forscher meist chemische Substanzen wie bestimmte Antibiotika benutzt, um gezielt einzelne Gene ein- oder auszuschalten. Diese Chemikalien haben den Nachteil, dass sie sehr langsam wirken, sich im ganzen Körper verteilen und Nebenwirkungen haben können. „Unser Wunsch war es immer, das, was im Zellkern passiert durch etwas zu kontrollieren, das außerhalb des Körpers passiert. Eine Art Mensch-Ökosystem-Schnittstelle“, sagt Fussenegger.
„Ich glaube es ist noch niemandem gelungen, Gene in Tieren durch Licht einzuschalten“, sagt der amerikanische Forscher Christopher Voigt, der am MIT im Bereich synthetische Biologie forscht. „Das hat unglaubliches Potenzial für Anwendungen.“ So könnten derartige Implantate eines Tages auch beim Menschen zur Anwendung kommen, glaubt Fussenegger. Diabetes-Patienten könnten dann etwa ein Implantat mit veränderten Zellen unter die Haut gesetzt bekommen und es mit einem schwarzen Pflaster abdecken, das LED-Leuchten enthält. „Der Patient könnte dann nach einer Mahlzeit per Knopfdruck die Lämpchen anschalten und so die Bildung von GLP-1 anregen“, sagt Fussenegger. Je nach Dosis könnte er die Lämpchen dann nach einer gewissen Zeit wieder ausschalten.
Noch sei das aber Science-Fiction, sagt Fussenegger. Bis so etwas auf dem Markt erhältlich sei, würden sicher noch viele Jahre vergehen. Grundsätzlich führe an solchen Zellimplantaten aber kein Weg vorbei. „Das wird kommen, weil man immer mehr feststellt, dass man nicht jede Krankheit allein durch kleine Moleküle, die die Patienten nehmen, in den Griff kriegen kann.“
Realistischer ist aber erst einmal eine andere Anwendung: Die Technik könnte in riesigen Tanks eingesetzt werden, in denen Zellen Medikamente produzieren, zum Beispiel bestimmte Krebstherapeutika. „Das Problem ist, dass viele dieser Stoffe, die Zellen, in denen sie produziert werden, im Wachstum hemmen oder sogar töten“, erklärt der Forscher. Lichtempfindliche Zellen könnten das Problem lösen. Die Zellen würden dann erst einmal vermehrt, bis sie in den Tanks eine gewisse Dichte erreicht haben. Durch das Einschalten von Licht könnten sie dann angeregt werden, den gewünschten Stoff in einer bestimmten Menge zu produzieren.
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