Ursachen von Dyslexie und Dyskalkulie: Lesen, Rechnen und die Gene
Genvarianten, die die Fähigkeit zum Lesen kontrollieren, beeinflussen auch mathematisches Können.
Dass nicht nur das Können des Lehrers sondern auch Gene mit beeinflussen, wie gut ein Mensch Lesen und Rechnen lernt, ist so bekannt wie trivial. Doch wie viel bestimmt das geerbte Talent und wie viel die Lernbedingungen? Bei einer Untersuchung an Zwillingen stellte sich nun laut Fachblatt „Nature Communications“ nicht nur heraus, welche Gene Sprachlernen und mathematisches Können beeinflussen, sondern dass offenbar rund die Hälfte dieser Gene beide Fähigkeiten steuert.
Forscher der Universität Oxford, des King’s College und des University College in London hatten Daten aus der „Twins Early Development“ Studie verwendet, in der Informationen über 13000 Zwillingspaare gesammelt werden, die zwischen 1994 und 1996 geboren wurden. 2794 dieser Zwillingspaare im Alter von 12 Jahren wurden auf Leseflüssigkeit und -verständnis getestet und mussten Mathematikaufgaben lösen. Die Ergebnisse wurden dann mit den Erbgut-Proben der Zwillinge verglichen. Dabei suchten die Forscher nach Zusammenhängen zwischen besonders guten (oder schlechten) Testergebnissen und Variationen in einzelnen Erbgut-Bausteinen der Zwillinge. Sie fanden einen Zusammenhang zwischen Lesefähigkeit und 98 solcher Erbgutvariationen. Mathematisches Können wird von 135 Genvarianten im Erbgut mitbestimmt.
Gen lässt Zellen wandern
„Die Analysen zeigen, dass sowohl für das Lernen als auch für das Rechnen ein gleicher Satz feiner Unterschiede im Erbgut wichtig ist“, sagt Oliver Davis vom University College London. „So etwas ist auch zu erwarten, denn um Rechenoperationen durchführen zu können, braucht es ein gewisses Sprachvermögen“, sagt der Dyslexie- und Dyskalkulie-Experte Gerd Schulte-Körne von der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität. Er entdeckte schon letztes Jahr ein solches Gen, Myosin-18b, das sowohl die Sprach- als auch die Rechenfähigkeiten beeinflusst. Offenbar reguliert es die Größe einer Hirnregion, die dafür bekannt ist, bei Rechenoperationen eine Rolle zu spielen. Myosin-18b wird auch mit Dyslexie in Verbindung gebracht, auf welchem Wege, ist jedoch bislang unbekannt.
In der Liste der Gene, die die Londoner Studie fand, tauchten 39 wieder auf, die bereits auf anderen Wegen entdeckt wurden. Darunter auch eines namens DCDC2, das Schulte-Körne seit 2006 erforscht. Während bei den meisten jetzt entdeckten Genvarianten ihre genaue Funktion für das Lesen oder Rechnen nicht bekannt ist, gibt DCDC2 zumindest Anhaltspunkte. Es reguliert offenbar die Wanderung von Nervenzellen an deren Bestimmungsort und spielt so im Embryo und auch später im heranwachsenden Menschen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Sprachzentrums im Gehirn.
„Komplexe Merkmale, wie die Fähigkeit oder Unfähigkeit zu lernen, werden von sehr vielen Genen beeinflusst, deren jeweiliger Beitrag sehr gering ist“, sagt Studienleiter Robert Plomin vom King's College. Dennoch könnten solche Studien helfen, die Ursachen von Dyslexie und Dyskalkulie besser zu verstehen, sagt Schulte-Körne. „Wenn wir besser wissen, ob eine Lernbehinderung eine biologische Basis hat oder in der Lernumwelt begründet ist, dann können wir die Kinder auch besser unterstützen.“ Nur so könnten die richtigen Methoden zur Hilfestellung ausgesucht werden.
Schule und Eltern müssen genetische Unterschiede ausgleichen
Die Studie bestätigt frühere Untersuchungen, laut denen genetische Unterschiede zwischen Kindern einen Großteil der Leistungsdifferenzen beim Lesen und Rechnen erklären. „Wir müssen diese Unterschiede anerkennen und respektieren“, sagt Plomin. Das heiße aber nicht, dass man nichts tun könne, um sie auszugleichen. „Es bedeutet nur, dass sich Eltern, Schulen und Lehrer vielleicht mehr anstrengen müssen.“ Und das gelte auch für viele andere Fähigkeiten des Menschen, die teils durch Gene, teils durch die Umwelt ausgebildet werden.
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