Ist Theologie eine Wissenschaft?: Lehre unter Denkmalschutz
An zahlreichen staatlich finanzierten Universitäten wird Theologie betrieben. Eine Wissenschaft ist sie allerdings nicht - aus mehreren Gründen. Ein Einwurf.
Die Theologie ist eigentlich ein Kuriosum an modernen Universitäten. Während andere Fachbereiche einen klar abgegrenzten Forschungs- und Lehrbereich haben, ist bei den Theologen nicht einmal klar, ob es den zentralen Gegenstand, der ihrer Wissenschaft Theologie den Namen leiht, ob es diesen Theos überhaupt gibt. Während andere Fachgebiete seit der Aufklärung und dem Entstehen eines modernen wissenschaftlichen Denkens die Welt real verändert haben, wird es in der Theologie schon als Innovation gefeiert, wenn von Zeit zu Zeit ein alter Holzweg mit viel verbalem Aufwand wieder freigeräumt und eine neue „Schule“ gegründet wird.
Wenn die Theologie ihren Gegenstand auch nicht nachweisen kann, so gibt es sie dafür gleich doppelt, nämlich als katholische und als evangelische Theologie – an insgesamt 31 Fachbereichen an deutschen Universitäten. Eine Wissenschaft mit konfessionellem Vorbehalt. Auch das ist eigentlich höchst kurios. Theologie ist ein Relikt, eine „gläubige Wissenschaft“, eine Wissenschaft, die unter Denkmalschutz steht. Doch ist sie überhaupt eine Wissenschaft?
Kirchen nehmen Einfluss auf Besetzung von Professuren
Es sei vorausgeschickt, dass es in der Theologie durchaus wissenschaftliche Forschung gibt. Diese findet vor allem in den Fächern Neues und Altes Testament und der Kirchengeschichte statt, wo in der Regel (im katholischen Bereich nur eingeschränkt) Theologen sich als Historiker verstehen und mit den gleichen Methoden und Prämissen arbeiten wie ihre „profanen“ Kollegen.
Als Ganzes jedoch kann die Theologie keine Wissenschaft sein. Nicht nur weil es ihr nicht gelingt, ihren Gegenstand überhaupt nachzuweisen. Sie ist auch deshalb keine Wissenschaft, weil mit den Kirchen wissenschaftsfremde Faktoren Einfluss auf die Besetzung von Professuren nehmen und damit ein der Kirche genehmes, opportunistisches Verhalten eines Bewerbers vor seiner Berufung provozieren. Man könnte ein theologischer Einstein sein, doch wenn man beispielsweise die falsche Konfession hat oder zu kritisch denkt, bekommt man als Professor keinen Fuß in die Theologische Fakultät.
Theologie will gar keine unvoreingenommene Wissenschaft sein
Theologie kann auch deshalb nicht wissenschaftlich sein, weil sie konfessionell ist, und es eben keine evangelische oder katholische Wissenschaft geben kann. Sie ist auch deshalb keine Wissenschaft, weil in den Dogmatiken selbst freimütig zugegeben wird, dass wissenschaftsfremde Bedingungen (eigene Gläubigkeit, Bibel, Bekenntnisse) die Grundlagen bestimmen, und dass man ohne diese nicht Theologie treiben kann.
Sie will gar keine neutrale und unvoreingenommene Wissenschaft sein, sondern eben „betendes Denken“, wie es der Theologe Horst Pöhlmann nannte. Dogmatik sei nur „als Glaubensakt möglich“, formulierte es der Theologe Karl Barth, einer der einflussreichsten protestantischen Theologen des 20. Jahrhunderts. Die evangelischen Dogmatiken verwahren sich an vielen Stellen regelrecht gegen den „Vorwurf“ der Unvoreingenommenheit und Neutralität. Theologie versteht sich selbst als „Funktion der Kirche“ (so nannte es der Theologe Friedrich Schleiermacher im 19. Jahrhundert) oder als „kirchliche Wissenschaft“ (so Eberhard Jüngel, bis 2003 Ordinarius für Systematische Theologie an der Universität Tübingen). Es ging und geht ihr nie um zweckfreie Forschung. Wo Theologie gelehrt wird, also im Bereich staatlicher Universitäten, „da befindet man sich im Raum der Kirche“, machte Barth klar.
Mythologische Reste in die Beweisführung eingebaut
Der Glaube will zwar höher sein als alle Vernunft, die Theologie jedoch ist untervernünftig und unterschreitet in ihrer Kerndisziplin das wissenschaftliche Niveau einer Universität. Ihre Erkenntnisse – auch das geben Theologen zu – sind nicht intersubjektiv vermittelbar, also für eine größere Zahl an Menschen gleichermaßen nachvollziehbar. Sie sind nicht methodisierbar, weil wissenschaftsfremde Faktoren (man könnte auch sagen mythologische Reste; sehr beliebt sind hier der Heilige Geist oder die Heilige Schrift) mit in die Beweisführung eingebaut werden.
Die Dogmatiker sollen so etwas wie eine Gesamtschau der christlichen Lehre liefern und das christliche Glaubensbekenntnis intellektuell rechtfertigen. Um diese Aufgabe sind sie nicht zu beneiden, denn es waren in den vergangenen 150 Jahren vor allem ihre neutestamentlichen Kollegen, die den dogmatischen, den kirchlichen Jesus durch ihre wissenschaftlichen Forschungen immer weiter zurechtgestutzt und destruiert haben. Heute dürfte kein Professor der Theologie, der an einer staatlichen Universität lehrt, noch der Meinung sein, dass an den Geburtsgeschichten Jesu im Neuen Testament sich mehr findet als christliche Legenden. Es ist jedem Neutestamentler klar, dass Jesus sich in der Erwartung des „Reichs Gottes“, das er als unmittelbar bevorstehend glaubte, schlicht geirrt hat.
Jesus hatte mit dem entstehenden Christentum eher wenig zu tun
Man weiß heute, dass die biblische Verherrlichung ihrem Herrn bald davongaloppiert ist. Es ist allgemein anerkannt, dass er gläubiger Jude war und es bis zu seinem Tode geblieben ist, dass er sich nur gesandt sah „zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“, dass also Nichtjuden einfach nicht seine Adressaten waren. Den Auftrag zur Weltmission hat ihm erst der Evangelist Matthäus in den Mund gelegt. Kaum ein Neutestamentler nimmt heute noch an, dass er sich tatsächlich selbst als Messias verstanden hat. Und jeder Neutestamentler weiß, dass Jesus mit seinem Tod offenbar keine Sühnefunktion verband, wie das später Paulus behauptet hat. Die großen Differenzen zwischen der Lehre Jesu und der Verkündigung des Paulus ist Theologen hinlänglich bekannt.
Jesus hat mit dem entstehenden Christentum eher wenig bis gar nichts zu tun, der eigentliche Protagonist ist Paulus. Jungfrauengeburt, Wunder und Exorzismen gelten als Übernahmen von alttestamentlichen Vorbildern oder der heidnischen Umwelt. Die Auferstehungserzählungen der Evangelien halten wohl alle Neutestamentler für legendär, auch wenn der Auferstehungsglaube selbst sehr alt ist. Erst die altkirchlichen Konzilien haben aus Jesus einen Gott gemacht. Das sind bekannte Fakten unter Theologen, doch immer noch weithin unbekannt beim Kirchenvolk.
Die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob hat es wohl kaum gegeben
Im Alten Testament ist der Kahlschlag fast noch größer. Dort haben die Archäologie und die alttestamentliche Forschung die wenig spektakulären Anfänge des alttestamentlichen Gottes als Wetter- oder Berggott von Nomadengruppen freigelegt, der später noch lange Zeit zusammen mit seiner Ehefrau Aschera verehrt wurde. Der Monotheismus war auch in Israel eine recht späte Erscheinung und hat sich erst nach dem babylonischen Exil durchgesetzt.
Dass es die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob tatsächlich gab, wird von vielen Forschern verneint. Es gab offenbar keinen spektakulären Auszug (Exodus) aus Ägypten. Viele Alttestamentler halten selbst Mose für eine rein literarische Figur. Es gab keine Wüstenwanderung, keine „Landnahme“ und keinen Josua, offenbar auch kein Großreich unter David (obwohl ein „Haus Davids“ nachweisbar ist). Die Israeliten waren offenbar selbst Kanaanäer und verehrten wie diese lange kanaanäische Götter.
Deshalb sind die Glaubensgrundlagen, wie sie in den Bekenntnissen der Kirchen fixiert sind, intellektuell schon lange nicht mehr haltbar. Der dogmatische Gott der Kirchen ist tot, und der übrig gebliebene „historische Jesus“ ist eher spröde und hat erstaunlich wenig zu bieten. Dogmatiker wissen dies, dennoch ist es ihre Aufgabe, die Denkmöglichkeit ihrer eigentlich längst hinreichend widerlegten Religion zu erweisen.
Notorisch überschätzte Kirchenväter und fragwürdige Helden der Reformation
So ist es typisch für ihre Dogmatiken, dass ihr Wirklichkeitsverständnis wie ein Ping-Pong-Ball hin und her springt. Einerseits wollen sie signalisieren, auf der Höhe der Zeit zu stehen und formulieren zuweilen erstaunliche offene Sätze. Andererseits sind sie Gefangene der theologischen Tradition und müssen zurück zu den notorisch überschätzten Kirchenvätern, den fragwürdigen Helden der Reformation und zu Bekenntnissen, die durch nichts als Mythologie zusammengehalten werden. Sie bringen Jesuszitate, denen sie offenbar tatsächlich so etwas wie Beweiskraft unterstellen, auch wenn ihre neutestamentlichen Kollegen diese längst als unhistorisch oder als Fälschungen entlarvt haben. Sie sind qua Amt verpflichtet, die dogmatische Fassade noch aufrechtzuerhalten, an die viele von ihnen sicherlich selbst nicht mehr glauben.
Dennoch lassen sie in ihre Dogmatiken neben kritischen Anmerkungen auch immer wieder ausgesprochen fromm klingende Passagen einfließen, mit denen Gläubigen und wohl auch Kirchenleitungen so etwas wie Rechtgläubigkeit signalisiert werden soll. Ohnehin ist von den eigentlich umwälzenden Ergebnissen der Forschungen zur Geschichte Israels, zu Jesus und zum Urchristentum kaum etwas bei den einfachen Gläubigen bekannt. Dogmatiker tun nichts dagegen, im Gegenteil. Es ist in etwa so, als wüssten die Theologen längst, dass die Erde eine Kugel ist, loben aber weiterhin den Glaubenseifer derjenigen, die sie nach wie vor für eine Scheibe halten.
280 Millionen Euro im Jahr für Mythologie an deutschen Universitäten
Eine „moderne“ Theologie kann es aus Prinzip nicht geben. Denn eine Theologie, die sich den wissenschaftlichen Fakten ehrlich stellen würde, müsste sich eigentlich wegen hinreichend belegter Gegenstandslosigkeit selbst auflösen. Stattdessen tut man geschäftig und bastelt in den theologischen Parallelwelten weiter kreativ an Scheinlösungen für Scheinprobleme. Und unser Gemeinwesen leistet sich aus Tradition auch weiterhin für rund 280 Millionen Euro jährlich an staatlichen Universitäten gelehrte Mythologie, gläubiges Denken und konfessionell gebundene Wahrheiten.
Der Autor ist promovierter Theologe und Autor des Buches „Der Dogmenwahn: Scheinprobleme der Theologie. Holzwege einer angemaßten Wissenschaft“, 400 Seiten, 19,95 Euro, Tectum-Verlag Marburg, 2015.
Heinz-Werner Kubitza
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