Nobelpreis für Robert Edwards: Lebenswerk
Der Biologe Robert Edwards entwickelte eine Methode, um Eltern den Kinderwunsch zu erfüllen. 1978 wurde das erste Retortenbaby geboren. Nun hat der Brite für seine Methode den Nobelpreis für Medizin bekommen.
Selten hat eine Geburt so viel Aufmerksamkeit erregt, wie die von Joy Louise Brown. Als sie am 25. Juli 1978 um 13 Minuten vor Mitternacht als erstes „Baby aus dem Reagenzglas“ zur Welt kam, war das ein Jahrhundertereignis, das zugleich Frust und Freude hervorrief.
Für Millionen unfruchtbare Paare war es ein Traum, der in Erfüllung geht. Aber für die katholische Kirche war die Retortenreproduktion Teufelszeug und auch viele Wissenschaftler befürchteten, es könnte zu furchtbaren Missbildungen bei den Kindern kommen.
Inzwischen sind mehr als 4 Millionen Kinder geboren worden, die so gezeugt wurden. Allein in Deutschland sind es jedes Jahr rund 12 000. Und nun verleiht das Nobelpreiskomitee, wie es gestern bekannt gab, Louises geistigem Vater, dem 85-Jährigen Robert Edwards, den Nobelpreis für Medizin 2010. Die Ehrung kommt spät. Edwards Mitstreiter Patrick Steptoe ist seit mehr als 20 Jahren tot. Edwards selbst lebt im Altersheim. Ob er zu der Preisverleihung anreisen könne, sei fraglich, sagte ein Sprecher des Nobelkomitees.
Schon früh interessierte sich Edwards für Fragen der Fortpflanzung
Edwards wuchs in Manchester auf, diente während des Zweiten Weltkrieges vier Jahre lang in der britischen Armee und belegte dann erste Kurse an der Universität, unter anderem in Zoologie und Landwirtschaft. Fragen der Fortpflanzung und der Embryologie faszinierten ihn immer mehr. Dann gelang dem Wissenschaftler Min Chang Anfang der sechziger Jahre ein wegweisendes Experiment: Im Labor befruchtete er die Eizellen eines schwarzen Hasen mit Spermien eines schwarzen Hasen und übertrug den Embryo in den Uterus eines weißen Hasen. Die Geburt eines Wurfs schwarzer Hasenbabys war der erste eindeutige Nachweis künstlicher Befruchtung bei Säugetieren und führte zwangsläufig zu der Frage, ob dieselbe Technik beim Menschen angewandt werden könnte.
Edwards wollte diesen Durchbruch schaffen, aber es gab zahlreiche Fragen zu beantworten: Wie kann der Eisprung bei der Frau eingeleitet werden? Wann ist der richtige Zeitpunkt, um die Eier zu entnehmen? Wie müssen Eizelle und Spermien im Reagenzglas zusammengebracht werden, damit es zu einer normalen Befruchtung kommt? Wie wird der Embryo danach am besten bei der Frau eingepflanzt?
Doch die größte Hürde für den Laborforscher Edwards war es, eine geeignete Methode zu finden, ohne eine große Operation Eizellen aus dem Eierstock der Frauen zu gewinnen. Die Lösung fand Edwards in der Bibliothek. 1967 las er einen Beitrag des Chirurgen Patrick Steptoe im Fachblatt „Lancet“. Der Gynäkologe an einem kleinen Krankenhaus in Oldham bei Manchester hatte von Kollegen in Frankreich und Deutschland eine neue Methode erlernt: die Bauchspiegelung. Über ein winziges Loch führte er ein Endoskop in die Bauchhöhle ein, um so unter Sichtkontrolle zu operieren.
Die Geburt von Louise Brown 1978 war ein Jahrhundertereignis
Die nächsten zehn Jahre pendelte Edwards zwischen Oldham, wo er mit Steptoe zusammen an den Patientinnen arbeitete, und seinem Labor in Cambridge hin und her. Obwohl es den beiden schon bald gelang, unfruchtbaren Frauen Eizellen zu entnehmen, diese in der Petrischale zu befruchten und einen lebenden Embryo zu entwickeln, scheiterten sie beim letzten Schritt. Immer und immer wieder pflanzten sie Patientinnen einen Embryo ein, ohne dass es zu einer Schwangerschaft kam. Erst nach 102 missglückten Versuchen gelang ihnen im November 1977 bei der 29-jährigen Lesley Brown eine Schwangerschaft.
Die Geburt von Louise Brown war ein Jahrhundertereignis. Nicht nur, weil jedes zehnte Paar weltweit unter Unfruchtbarkeit leidet. Der Nobelpreisträger Joseph Goldstein vergleicht die Geburt mit der Veröffentlichung von Darwins Werk „Über die Entstehung der Arten“: „Das sind Ereignisse, die uns zwingen, einige der grundlegendsten Ideen des Menschseins zu überdenken.“
Und die Revolution hat weitere hervorgebracht. Inzwischen können junge Frauen, die im Kampf gegen Krebs eine Chemotherapie machen, Embryos einfrieren, um einen späteren Kinderwunsch zu verwirklichen. Eine Methode namens „Icsi“ ermöglicht es Männern mit niedriger Spermienzahl, durch die gezielte Injektion eines Spermiums in die Eizelle doch Vater zu werden. Und auch die Stammzellforschung wäre ohne die Methoden, die Edwards entwickelt hat, nicht denkbar. So stehen hinter den aktuellen Debatten, ob Stammzellgesetz oder Präimplantationsdiagnostik, immer auch Edwards und Steptoe. Denn mit ihrer Forschung haben die beiden die Zeugung aus dem menschlichen Körper ins Labor verlegt – und damit den Embryo in die Petrischale.
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