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Schnelle Nummer. Eissegeln hat auf der Masurischen Seenplatte Tradition. Urlauber können es dort lernen oder als Passagier einfach mitsausen.
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Masuren: Landschaft im Hermelin

Winterurlaub in Masuren kann sportlich ausfallen. Für Romantiker aber wird er zum Traum.

Still ruhen die masurischen Seen. Mann und Maus hat der Winter verschluckt. Seit Tagen bläst scharfer Nordwind, trägt Schnee von den Äckern auf die Straßen, hat Wasser, Bäume und Boote mit einer Eisschicht überzogen. Nur ein paar Männer am „Gasthaus zum Schwarzen Schwan“ in Milken (Milki) machen sich mit bloßen Händen an ihren Riggs zu schaffen. Eissegeln ist ein Markenzeichen der Region. Weltmeister und Vizeweltmeister kommen aus dem nahen Nikolaiken. Gerade mal 150 dieser Boote gibt es in Polen. In denen sitzen die Fahrer wie in einer Schote und fliegen geradezu über die gefrorenen Seen.

„Yankee“ ist die ferrarirote Limousine unter den Eissegelbooten. Eine Art Taxi mit gepolsterten Sitzen für Touristen. In dem fährt uns Jurek auf dem Lötzener See bei Gizycko spazieren. Der 59-Jährige ist amtierender polnischer Meister und Inhaber des urigen Gasthauses. Langsam gleitet das schnittige Gefährt auf das blanke Eis und nimmt schnell Fahrt auf. Ein Eissegler kann schon mal 150 Stundenkilometer erreichen. Mit Sommersegeln auf dem Wannsee hat das wenig gemein. Durch das Visier des Helmes sieht es aus, als würde der windgetriebene Schnee einen Schleiertanz aufführen. Das harte Kratzen der Kufen verursacht Gänsehaut. Nach diesem Spektakel schmeckt das Essen noch mal so gut. Die Piroggen sind mit Buchweizengrütze, Zwiebeln und Ei gefüllt. Sie kommen unter einer Decke aus saurer Sahne in dampfenden Schüsseln auf den Tisch.

Wir waren bis Warschau geflogen und dann mit dem Auto zuerst nach Kernsdorf ins Ermland gefahren. Den masurischen Sommer kannten wir schon. Nun wollen wir den Winter erleben und sehen die Stämme der Lindenalleen statt im Wiesenschaumkraut in Schneestiefeln stehen. Nein, Masuren ist keine Wintersportdestination. Aber zur kalten Jahreszeit kann es dort bizarr schön sein. Vorausgesetzt, man hat das richtige Quartier, liebt die Stille und vermisst nicht irgendeine Art von Après-Ski.

Schlitten, Spa und Apfelkuchen

Im Wellnesshotel von Kosmetik-Ikone Irena Eris am Fuße der Kernsdorfer Höhen bei Ostróda (Osterode), mitten in Wäldern gelegen, baden wir, lassen uns ayurvedisch massieren, speisen in Polens erstem Slow-Food-Restaurant – und genießen die Ruhe. Wenn wir auf den Balkon treten, stehen wir knöcheltief in weißen Winterdaunen.

Irena Eris, die an der Berliner Humboldt-Universität Chemie studierte und auch promovierte, hat der nach dem Krieg entvölkerten Landschaft vor acht Jahren wieder ein wenig Leben eingehaucht. Sie ließ eine Gaspipeline zum Hotel legen. Davon haben nun alle Kernsdorfer etwas. Auch Jaczek und seine Frau Ewa, die in einer ehemaligen Schule die Pension Masurzky etablierten. Jaczek führt Besucher schon mal auf Langlaufskiern durch die Landschaft oder stapft mit ihnen auf Schneeschuhen vom Haus weg bis hinauf auf den Hügel im Wäldchen, wo die Toten aus 150 Jahren begraben sind.

Was in der Pension Masurzky auf den Tisch kommt, ist selbst gemacht: das Brot, die Butter, die Marmeladen, sauer eingelegte Gurken und Paprika aus dem eigenen Garten, sogar der Käse. Die wenigen Zimmer im Haus sehen ein wenig so aus wie Kammern im Märchen.

Vor der Abreise bekommen wir noch ein Stück ofenwarmen Apfelkuchen zur Stärkung, denn die Fahrt zieht sich. Bald hinter Allenstein gelangen wir an die masurische Seenplatte, wo sich im Sommer die Touristen stauen und das Städtchen Lötzen wie auf dem Ausguck zwischen zwei Wassern siedelt. Auf dem einen gleitet ein dick vermummtes Paar auf Schlittschuhen Hand in Hand übers Eis. Auf dem andern ist mittendrin ein Boot eingefroren. Bilder wie aus alten Tagen. Von der Ferienanlage Mazurskie Siedliesko Kruklin aus, die als Ferienhotel mit sehr schönen Zimmern in der flachen Kruglinner Landschaft liegt, lassen wir uns im Schlitten von einem stämmigen Polnischen Kaltblut durch den Wald ziehen.

Pferdeliebhaber lockt es auf Gut Galiny

Masuren ist Pferdeland, zu jeder Jahreszeit.
Masuren ist Pferdeland, zu jeder Jahreszeit.
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Die Region befindet sich im Aufbruch. Das einzige wirkliche Wellnesshotel in Ermland ist das in Kernsdorf. Doch dem stehen die persönlich geführten, behaglichen Herbergen wie das einst heruntergewirtschaftete Schloss Eichmedien aus dem 17. Jahrhundert kaum nach. Piotr Ciszek und seine Frau Johanna, ein Warschauer Paar, haben das Anwesen nach dem Kauf 1998 liebevoll restauriert. Inzwischen lässt es sich dort fein wohnen.

Das Essen in Masuren ist köstlich, deftig manchmal und fast immer regional. Wir verputzen scharf eingelegte Zucchini und Roulade mit Klößchen. Auf hartgekochte Eier häufeln wir geraspelte Rote Bete mit Meerrettich, kosten vom Hähnchen in Gelee und genießen saure Heringe. Auch den obligatorischen Wodka verschmähen wir nicht. Alles, was serviert wird, ist irgendwie heimatverbunden und auf moderne Weise „Slow Food“, wie auch im Schlosshotel Galiny, wo wir die letzten Tage verbringen.

Gallingen hießen Ort und Gutshof noch im Zweiten Weltkrieg. Der „Palast“, wie in Polen Herrenhäuser gern genannt werden, wurde 1589 für den Baron Botho zu Eulenburg erbaut. Der letzte Graf des Eulenburg’schen Adelssitzes wurde schließlich nach ’45 von der Roten Armee verschleppt. Heute ist das prächtige Gut in polnischem Besitz und so aufsehenerregend wie früher. Auch die Nachfahren der Eulenburgs sind den neuen Machern sehr verbunden. Pferdezucht und Reitschule machen Galiny insbesondere für Pferdeliebhaber interessant. Erst jüngst wurden die Gästezimmer im Haupthaus fertig. Vom Bett aus hört man das Wasser über das Wehr in den Schlossgraben rauschen.

Abends noch ein Spaziergang durch den Winterwunderland

Und da Winter ist, trägt die Landschaft festlich Hermelin. Wer die lange Anreise und wahrlich niedrige Temperaturen nicht scheut, landet im masurischen Winterwunderland. Wir sitzen am Nachmittag mal wieder im Schlitten. Das Gespann trabt hügelan. Auf dem Kamm sehen wir ein Scherenschnittbild: Rappe mit Reiter zieht Skifahrer hinter sich her.

Kaum haben wir die Höhe erreicht, staunen wir über noch ein Winterbild, so schön wie gemalt. Den Teich in der Senke hat die Sonne wie mit Gold geflutet. Menschen laufen Schlittschuh. Zwei Langläufer verschwinden gerade hinterm Knick. Heute feiert der Winter die Landschaft. Messerscharf stehen die Ligusterbüsche und Kopfweiden gegen den abendlichen Himmel. Der Nordwind pfeift und reißt ungeduldig am Mantelsaum. Vor die Pferdeställe am Gut ist mannshoch Mist als Schutz gegen die Kälte gehäuft.

Da freuen wir uns, dass im Gutsrestaurant der Kamin knistert, vor dem wir schließlich sitzen, bis das Kribbeln in unseren Eisfüßen nachlässt. Außerdem lockt noch die Russische Banja, für die Paulina schon die Birkenreiser geschnitten hat. Während die Pferde zur Nacht in die Ställe geführt werden, ziehen wir noch mal den Schal fester, die Mütze über die Ohren und vergraben die Hände tief in den Taschen. Wir spazieren die nahe Allee bergan, wo die Sonne als glühender Ball untergeht. Dort hinten, bloß 50 Kilometer gen Norden, ist schon Königsberg.

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