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Mega-Citys wie Peking stellen die Stadtplanung vor Herausforderungen. Hier im Vordergrund der Neubau für die Sendezentrale des staatlichen Fernsehens.
© ipsyfriend/Getty Images

Internationaler Dialog: Konfuzius in Berlin und Nietzsche in Peking

Hans Feger koordiniert ein vom Bundesforschungsministerium gefördertes deutsch-chinesisches Alumni-Netzwerk. Die Geistes- und Sozialwissenschaftler arbeiten zum Thema "Das gute Leben".

Globalisierung besteht nicht nur darin, dass Deutschland Autos nach China verkauft und Computer oder Spielzeug von dort bezieht. Oder dass unsere Erde mit einem immer dichteren Handelsgeflecht überzogen wird. Leiser vielleicht, aber nicht weniger wichtig, vollzieht sich Globalisierung zugleich als weltweites einander Näherrücken, als kultureller Austausch, als Aufbrechen wissenschaftlicher Bezugsrahmen und ihrer Öffnung für ganz andere Wissenstraditionen.

Auch diese Art der Globalisierung entwickelt sich einerseits wie von selbst, unter der Hand, andererseits kann sie politisch gelenkt, intensiviert oder gehemmt werden. In Bezug auf China hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine „China-Strategie 2015-2020“ entwickelt. Zwar nehmen die Geisteswissenschaften darin neben den Schlüsseltechnologien und Lebenswissenschaften noch einen eher kleinen Raum ein. Aber es tut sich etwas.

Hans Feger, Philosoph und Literaturwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, koordiniert ein deutsch-chinesisches Alumni-Netzwerk, das alle Kontakte, die unter Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlern beider Länder bestehen, bündeln soll. Das am Institut für Philosophie der Freien Universität angesiedelte Projekt wird zunächst drei Jahre lang vom BMBF gefördert.

In Zusammenarbeit mit mehreren deutschen und chinesischen Universitäten sollen dabei zu dem thematischen Schwerpunkt „Das gute Leben“ Konferenzen und Austauschprogramme organisiert sowie Forschungsaufenthalte und Publikationen gefördert werden.

Im Fokus stehen handfeste Probleme anstelle von theoretischen Diskussionen

„Das gute Leben“ deshalb, weil sich darunter vieles subsumieren lasse, worum es bei den deutsch-chinesischen Wissenschaftsbeziehungen in der Philosophie, der Politikwissenschaft, den Geistes- und Sozialwissenschaften sowieso schon gehe, sagt Feger. Der internationale Dialog zur politischen Philosophie zum Beispiel, drehe sich nicht mehr, wie noch in den 1990er- und 2000er-Jahren, „vorrangig um theoretische Diskussionen etwa zu Fragen der Menschenrechte, sondern eher um handfeste Probleme: Wie kann man in der Städteplanung, beim Aufbau von Mega-Citys sowohl im Süden Chinas als auch in der Gegend um Peking und Schanghai, eine eigene Binnenstruktur politischer Selbstverwaltung errichten, die effektiv und zeitgemäß ist?“

„Das gute Leben“ scheint sich auch deswegen als Titel anzubieten, weil es Fragen anspricht, die derzeit sowohl in Europa als auch in China, wenn auch mit verschiedenen Schwerpunkten, offenbar im Zeitgeist liegen: Wie soll jeder einzelne Mensch leben, sodass wir am Ende sagen können, wir hätten gut gelebt? Wie sollen und können wir mit anderen zusammenleben, wenn uns keine gemeinsame Weltanschauung (mehr) verbindet? Wie können wir unser Leben gestalten, ohne dass der Planet, die Umwelt, Schaden nimmt? Und schließlich: Was sollen wir dem Staat überlassen, und wo und wann sind wir als Bürgerinnen und Bürger gefordert?

Für Hans Feger selbst ist das Alumni-Netzwerk eine Fortführung von Projekten und Initiativen, die er in den vergangenen 20 Jahren mit asiatischen und vor allem chinesischen Universitäten durchgeführt hat. Leitend war und ist für ihn dabei der Versuch, das, was man „continental philosophy“ nennt, also die Philosophie, wie sie als europäische Tradition an deutschen Universitäten praktiziert wird, zu öffnen: Sie in einen wechselseitigen Austausch zu setzen mit „philosophischen Tendenzen, die bei uns nicht gewachsen oder entstanden sind, die wir aber in einem weiteren Sinne als philosophisch betrachten können“. Dabei seien die Scheuklappen, die verhindern, dass sich der Blick weitet, im Westen oftmals größer als im Osten.

"Nietzsche wird in China hochpolitisch gelesen"

Dass ein solcher Austausch gar nicht so einfach zu realisieren ist, mache die Sache erst interessant: Zu den Herausforderungen zählen Sprachschwierigkeiten, Übersetzungsprobleme und die Aufgabe, „gesellschaftliche, politische und denkstrategische Erscheinungen“ ohne einheitlichen Referenzrahmen für die verwendeten Begrifflichkeiten zu erklären. Das betrifft so Elementares wie den Begriff der Schrift oder den Umstand, dass die chinesische Philosophie ganz ohne Transzendenzbegriff auskommt, während die europäische Philosophie „von Religion durchtränkt ist“, wie Hans Feger das nennt.

Aber wie kann man sich den geisteswissenschaftlichen Austausch mit China konkret vorstellen? Die meisten denken bei China ja wahrscheinlich als erstes an Zensur, an Ein-Parteien-Staat und eine sehr eigene Verquickung von Marxismus und autoritärem Kapitalismus. Feger nennt drei Diskussionszusammenhänge, die zeigen, wie vielseitig die geisteswissenschaftlichen Interkontinental-Debatten sein können: „Nietzsche, zum Beispiel“, sagt Feger, „wird in China hochpolitisch gelesen.“

Als zweites die Phänomenologie – die von Edmund Husserl (1859-1938) begründete philosophische Strömung, nach der Erkenntnis aus den unmittelbar gegebenen Erscheinungen, den Phänomenen, gewonnen werden kann –, die in China wie in anderen Ländern Ostasiens ein „hochgeschätzter Ansatz“ sei, um westliche Philosophie ohne Metaphysik oder Postmetaphysik zu rezipieren. In China gebe es in der Phänomenologie eine so selbstbewusste Forschung, „dass die Chinesen manchmal behaupten, die Phänomenologie in Europa sei schon längst ausgestorben, während sie in China weiter kultiviert werde.“

Und drittens die Ästhetik, die in Europa zuweilen das Dasein einer Randwissenschaft friste, aber in der chinesischen Tradition, vermittelt durch die Kalligrafie und Landschaftsmalerei, einen quasireligiösen Stellenwert habe.

Ein Phänomen allerdings, das dem Austausch entgegenstehe, sei die derzeit in China wachsende Tendenz zur nationalistischen Abschottung, sagt Feger: „Es gibt dort aktuell eine Art der kulturellen Selbstvergewisserung, der Beschäftigung Chinas mit seinem nationalen Wesen, was dazu führt, dass man Texte und Lehren aus der eigenen Tradition erst einmal nur unter sich diskutieren will, ohne vom Ausland beeinflusst zu werden.“ Was allerdings im Nachgang – das vermutet Feger – zu einer selbstbewussteren Auseinandersetzung mit europäischen Denktraditionen führen werde.

Pepe Egger

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