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Wissen: Kohlendioxid als Rohstoff

Das Treibhausgas könnte die Basis einer neuen Chemieindustrie werden. Jetzt sind neue Verfahren gesucht

Die Verbrecher haben sich gut versteckt: in ganz gewöhnlichen Haushalten. Auf den Küchenstuhl haben sie sich geschmiegt, unterm Sofabezug verkrochen, sie liegen sogar im Bett. Die Rede ist von Kohlendioxid-Molekülen, die dank neuer chemischer Verfahren zukünftig nicht mehr in die Atmosphäre geblasen, sondern zur Herstellung von Polyurethan genutzt werden, dem Grundstoff für Schaumstoffpolster und Dämmmaterialien. „CO2 – vom Klimakiller zum Rohstoff der Zukunft“, hatte das Bundesforschungsministerium (BMBF) den Pressetermin gestern in Berlin überschrieben, bei dem es sein 100 Millionen Euro schweres Forschungsprogramm vorstellen wollte.

„Kohlendioxid wird vielfach als reines Abfallprodukt wahrgenommen, wir wollen es auch als Rohstoff nutzen, das ist eine völlig neue Philosophie“, sagte Thomas Rachel, Staatssekretär im BMBF. „So lässt sich auch die Abhängigkeit von Erdöl verringern, Kohlendioxid könnte also zu einem echten Wertstoff werden.“ Vielleicht werden eines Tages die geplanten unterirdischen CO2-Lager sogar wieder geöffnet, um an den begehrten Stoff zu kommen, führte Reinhold Ollig vom Referat Ressourcen und Nachhaltigkeit die Idee begeistert fort.

Bis dahin ist es aber noch ein sehr weiter Weg. Derzeit werden hierzulande gerade 0,3 Prozent des ausgestoßenen CO2 in der Industrie verwendet. Bis zum Ende des Jahrzehnts könnten es ein paar Prozent sein. Rechnet man das Potenzial des Kohlendioxids für die Energiespeicherung hinzu, dürften nach Experteneinschätzung bis zu zehn Prozent genutzt werden. Der große Rest bleibt aus der Perspektive des Klimaschutzes ein ungelöstes Problem.

Doch um die Erderwärmung geht es der Chemieindustrie auch gar nicht, zumindest nicht vordringlich. Sie sucht Alternativen zum Erdöl, das immer knapper und teurer wird. Schaut man sich die Formeln der Kohlenstoffchemie näher an, so drängt sich CO2 als massenhaft verfügbarer Ersatzstoff regelrecht auf. Doch so leicht wie auf dem Papier lassen sich die einzelnen Elemente in der Praxis nicht hin- und herschieben.

„Wir müssen klären, welche Stoffe überhaupt mit einem CO2-Molekül zur Reaktion gebracht werden können“, erläuterte Walter Leitner, Chemiker an der RWTH Aachen, die an dem Forschungsvorhaben beteiligt ist. „Weiterhin brauchen wir geeignete Katalysatoren, um diese Reaktionen zu ermöglichen und vor allem energieeffizient zu machen.“

Bei vielen chemischen Prozessen bestehen noch erhebliche Defizite, weshalb sie gelegentlich als „dream reactions“ bezeichnet werden. Doch es gibt auch Erfolge. Bayer hat ein Verfahren entwickelt, bei dem Kohlendioxid für die Herstellung von Polyurethan genutzt wird. Im Februar wurde in Leverkusen eine entsprechende Pilotanlage eingeweiht. Sie nutzt CO2, das im Kohlekraftwerk Niederaußem aus dem Rauchgas abgetrennt wurde. Die RWTH Aachen erstellt eine Ökobilanz für das Verfahren, einschließlich aller Prozessschritte und Transport der Rohstoffe. Noch gebe es kein abschließendes Ergebnis, sagte Wilfried Köplin, Leiter der Konzernenergiepolitik bei Bayer Material Science. „Aber im Vergleich zur herkömmlichen Produktion, die allein auf Rohöl basiert, ist die neue Technik auf alle Fälle besser.“ Der Effekt ist groß, denn allein Bayer stellt jedes Jahr 1,4 Millionen Tonnen Polyurethane her.

Ganz ohne Erdöl geht es aber trotzdem nicht. „Je nach Einsatzzweck der Schäume, sprich ob sie hart oder weich sein sollen, lässt sich rund ein Drittel des Öls durch den Einsatz von Kohlendioxid sparen“, sagt Christoph Gürtler, Projektleiter bei Bayer Material Science.

Ein weiteres Einsatzfeld für CO2 ist die Energiespeicherung, die mit dem erwarteten Ausbau erneuerbarer Energien immer wichtiger wird. Mit überschüssigem Strom, der zum Beispiel nachts von großen Windkraftanlagen ins Netz gedrückt wird, lässt sich per Elektrolyse Wasserstoff erzeugen. Aus dem Gas sowie Kohlendioxid kann Methan hergestellt werden, das einfach in das vorhandene Erdgasnetz gespeist wird.

Grundvorraussetzung für eine erfolgreiche CO2-Chemie ist aber, dass der Grundstoff mit wenig Aufwand aus dem Abgas der Kraftwerke entfernt werden kann. Zwar gibt es bereits einzelne Pilotanlagen, etwa in Schwarze Pumpe in Brandenburg. Doch die Prozedur ist energieintensiv, so dass der Wirkungsgrad der Kohlekraftwerke teilweise um mehr als zehn Prozentpunkte sinkt. Eine Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zur „Elektrizität als Schlüssel für ein nachhaltiges und klimafreundliches Energiesystem“ kommt zu dem Schluss, dass die CO2-Abscheidung sowohl die Investitionskosten als auch die Stromerzeugungskosten etwa verdoppelt.

Insofern unterscheidet sich der mögliche Rohstoff der Zukunft nicht von den bekannten. Er muss bezahlt werden.

Ralf Nestler

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