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Mitgeschleppt. Eltern dürfen für ihre Kinder in vielen Belangen entscheiden. Beim Impfen kann das jedoch der Gesundheit der Kinder schaden.
© picture alliance/dpa

Die Opfer der Impfskeptiker: Kinder nicht impfen zu lassen, grenzt an Körperverletzung

Sich selbst nicht impfen zu lassen, ist falsch. Dass dadurch allerdings die Kinder leiden, ist sorglos. Ein Gastbeitrag von zwei Medizinern.

Jeder Mensch hat das Recht auf eine eigene Meinung. Auch Impfgegner, Anhänger der Homöopathie und anderer alternativer Praktiken führen das immer wieder ins Feld.

Aber Meinungen sind keine Fakten und die Verwechslung ist beim Thema „Impfen“ lebensgefährlich. Hier geht es nicht nur darum, ob ein Mensch sich selbst schaden könnte, sondern dass die Konsequenzen seiner Entscheidung gegen Impfungen seine Kinder treffen.

Wer sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen will, bringt vor allem das eigene Leben in Gefahr. Bei Impfungen gegen Krankheiten wie Mumps, Masern, Röteln, Tetanus, Keuchhusten und andere geht es aber darum, Kinder schon früh im Leben vor zum Teil schwer verlaufenden Infektionserkrankungen zu schützen.

Früh im Leben setzt der Kinderarzt hier den Grundstein für eine sorgenfreie Kindheit. Impfverweigerung grenzt deshalb an Körperverletzung. Verweigern Eltern ihren Kinder die Impfung, so sind die, die sie am meisten lieben, den Erregern ausgesetzt, aber nicht ganz schutzlos.

Denn die Vernunft der Masse sorgt für die viel beschworene Herdenimmunität. Dabei sinkt die Wahrscheinlichkeit, sich an einer bestimmten Krankheit anzustecken, weil der Großteil der anderen Kinder geimpft ist und es auf diese Weise nicht zu Ausbrüchen kommen kann. Wer sagt, er sei als Kind nicht geimpft worden und trotzdem immer gesund gewesen, um gegen Impfungen zu argumentieren, liegt nicht nur falsch, sondern agiert auch rücksichtslos.

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Was bewegt Menschen dazu, ihren Kindern den Impfschutz vor schweren und im schlimmsten Fall tödlich verlaufenden Krankheiten vorzuenthalten? Zwei Argumente halten sich hartnäckig: Impfungen verursachten erstens Neben- und vor allem Langzeitwirkungen. Zweitens sei es kein Problem bestimmte Krankheiten „durchzumachen“. Die Immunität dagegen sei danach sogar besser. Aber beide sind nicht nur wissenschaftlich nicht haltbar, sondern auch gut widerlegt.

Das erste Pseudoargument, durch die Impfung würden Krankheiten, wie Autismus eher ausgelöst, denn verhindert stammt aus den späten Neunzigerjahren.

Der britische Arzt Andrew Wakefield veröffentlichte einen Artikel, mit dem er einen Zusammenhang zwischen der Impfung gegen Mumps, Masern und Röteln, die in der Regel in einem Präparat verabreicht wird, und Autismus bei Kindern belegen wollte. Den genauen Mechanismus konnte er nicht beschreiben, vielen diente der Artikel jedoch als Bestätigung für die Gefährlichkeit der Impfung und die Verwerflichkeit der Pharmaindustrie.

Eine fehlerhafte Veröffentlichung wirkt nach

Wakefield wurde schließlich überführt, fast eine halbe Millionen Pfund von Anwälten angenommen zu haben, deren Auftrag es war, Eltern autistischer Kinder in einer Schadensersatzklage gegen die Hersteller der Impfstoffe zu vertreten. Sein Artikel wurde in der Fachwelt zerrissen, die Mitautoren distanzierten sich fast alle, die Fachzeitschrift „The Lancet“, in der der Artikel erschienen war, zog ihn zurück und Wakefield verlor seine Zulassung als Arzt. Aber die Saat des Zweifels war gesät.

Dass Impfungen leichte Nebenwirkungen verursachen können ist anerkannt. Schmerzen im Arm, vielleicht Fieber, Unwohlsein, im schlimmsten Fall eine allergische Reaktion. In Anbetracht der zu verhindernden Erkrankung kann man diese Nachteile aber gut verschmerzen. Schwere Nebenwirkungen sind sehr viel seltener. Die Datenlage ist eindeutig und es erscheint ironisch, dass sich die Diskussion der Verschwörungstheoretiker an einer der besterforschten medizinischen Maßnahmen entzündet.

Falk Stirkat, Lars Bräuer: Der belogene Patient. Warum Impfkritiker, Wunderheiler und andere Scharlatane gefährlicher sind als jedes Virus. 224 Seiten, 20 Euro, Gräfe und Unzer
Falk Stirkat, Lars Bräuer: Der belogene Patient. Warum Impfkritiker, Wunderheiler und andere Scharlatane gefährlicher sind als jedes Virus. 224 Seiten, 20 Euro, Gräfe und Unzer
© Gräfe und Unzer

Weltweit kommen auf ungefähr 25,2 Millionen verabreichte Impfdosen 33 schwere Nebenwirkungen und kein Todesfall. Die häufig beschworenen Langzeitschäden, deren Spektrum so groß ist, wie das Spektrum der bekannten Krankheiten selbst, existieren nicht. Berichte darüber mögen auf den Wunsch einiger zurückzuführen sein, irgendwem die Schuld für die eigene Krankengeschichte zu geben.

Korrelation und Kausalität werden hier aber auf gefährliche Art und Weise vermischt. Nur weil ein Kind eine Impfung bekommen hat und kurz darauf schwer erkrankt, etwa an Neurodermitis, ist nicht erwiesen, dass die Impfung die Krankheit ausgelöst hat. Das gleiche Kind hat vermutlich auch oft Äpfel gegessen. Niemand käme auf die Idee hier einen Zusammenhang konstruieren.

Zynisch und verantwortungslos

In der Impfdiskussion werden nicht existente Nebenwirkungen als sehr bedrohlich angesehen, die zu verhindernden Krankheiten aber als banal abgetan. Die Verharmlosung der vielen, fast ausgerotteten Kinderkrankheiten ist ein Problem. Einer von tausend Maserninfizierten stirbt. Röteln können bei schwangeren Frauen zu schwerwiegenden Komplikationen führen.

Tetanus in seiner Reinform ist fast immer tödlich. Nur weil wir heute keine Erfahrungen mehr mit diesen Krankheitsbildern haben, weil sie dank Impfungen so gut wie nicht mehr vorkommen, bedeutet das nicht, dass sie an Gefährlichkeit eingebüßt hätten.

„Masernpartys“, bei denen Eltern ihre gesunden Kinder mit erkrankten zusammenbringen, auf dass sie sich mit der potentiell tödlichen Erkrankung infizieren und immun werden, sind schlicht verantwortungslos und zynisch. So viel zum zweiten Pseudoargument.

Die Datenlage ist für alle einsehbar. Ärztinnen und Ärzte informieren die Eltern ihrer Patienten vollumfassend über Impfungen und die Gefahr von Kinderkrankheiten. Es stellt sich also ganz grundsätzlich die Frage, ob der Staat nicht die schützen sollte, die von ihren Eltern im Stich gelassen werden.

Jeder hat das Recht freie Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie einem selbst schaden. Geht die elterliche Freiheit aber so weit, dass Kinder bewusst einer relevanten Gefahr ausgesetzt werden dürfen, nur weil deren Eltern Schwierigkeiten haben, wissenschaftliche Zusammenhänge zu verstehen oder zumindest anzuerkennen? Im Fall der Masern hat der Gesetzgeber das klar verneint. Warum sollte es bei anderen ebenso gefährlichen Krankheiten anders sein?

Falk Stirkat ist Allgemein- und Notfallmediziner und Medizinpublizist. Lars Bräuer ist Biochemiker, Mikrobiologe und Professor für Anatomie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Ihr Buch „Der belogene Patient. Warum Impfkritiker, Wunderheiler und andere Scharlatane gefährlicher sind als jedes Virus“. 224 Seiten, 20 Euro, Gräfe und Unzer

Falk Stirkat, Lars Bräuer

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