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Interview: „Keine Abtreibungspille“

Die „Pille danach“ ist in 79 Ländern rezeptfrei – das sollte auch bei uns so sein, fordert der Gynäkologe Horst Lübbert.

Herr Professor Lübbert, am heutigen Mittwoch geht es im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages um die Frage, ob die Rezeptpflicht für die „Pille danach“ fallen soll. Auch von Ihnen liegt den Abgeordneten eine Stellungnahme vor. Spricht etwas dagegen, das Mittel zur Notfallverhütung mit dem Wirkstoff Levonorgestrel rezeptfrei zugänglich zu machen?

Aus medizinischer Sicht nichts. Es wird in 79 Ländern einschließlich der USA rezeptfrei abgegeben, in Frankreich sogar in Schulen, weil es besonders wichtig ist, unerwünschte Schwangerschaften von jungen Mädchen zu verhindern. Keines dieser Länder hat seine Entscheidung rückgängig gemacht. Inzwischen gibt es Erfahrungen aus über zwanzig Jahren mit Millionen Anwendungen. In dieser Zeit sind keine bedrohlichen Nebenwirkungen oder gesundheitlichen Schäden bekannt geworden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft diese „Pille danach“ dementsprechend als gesundheitlich unbedenklich ein.

Gegner der Freigabe wie der Berufsverband und die Fachgesellschaft der Gynäkologen argumentieren, dass die „Pille danach“ die Gefahr erhöht, Blutgerinnsel zu entwickeln, die die Gefäße verstopfen.
Das entspricht weder den Beobachtungen noch den geltenden Behandlungsleitlinien: Selbst für Frauen, die bekanntermaßen eine erhöhte Thrombosegefahr haben, ist die „Pille danach“, die das Hormon Levonorgestrel enthält, erlaubt. Auch Pillen zur normalen Empfängnisverhütung, die nur Gestagene enthalten – zu denen auch Levonorgestrel gehört –, gelten im Unterschied zu östrogenhaltigen Anti-Baby-Pillen als ungefährlich.

Warum geht dann Deutschland einen Sonderweg?
Mir ist es nicht recht erklärlich, warum unsere Fachgesellschaften den Eindruck erwecken, dass hier Gefahren lauern. Weil ich keine stichhaltigen Argumente erkennen kann, habe ich ein leichtes Unbehagen. Es könnten sich berufspolitische Gründe dahinter verstecken.

Wie gehen Frauenärztinnen und Frauenärzte vor, wenn eine junge Frau in einem solchen Notfall zu ihnen kommt?
Prinzipiell steht natürlich ein Gespräch über die individuell passende Form der Empfängnisverhütung und die Gefahren sexuell übertragbarer Krankheiten an. Die Frage ist nur, ob es in der Notsituation und angesichts einer vollen Praxis wirklich geführt werden kann. Dazu kommen möglicherweise ein Schwangerschaftstest, eine Blutuntersuchung, die Aufschluss darüber gibt, ob bereits ein Eisprung stattgefunden hat und eine Einnahme sinnlos wäre, und eine Untersuchung auf sexuell übertragbare Krankheiten. Ich wage allerdings zu bezweifeln, dass Kosten und Nutzen hier in einem vertretbaren Verhältnis zueinander stehen.

Inzwischen gibt es eine neue „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Ulipristal. Diese kann auch in anderen Ländern nur der Arzt verordnen. Ist Levonorgestrel damit veraltet?
Nein, das kann man nicht sagen. Es ist nach wie vor Standard, schon weil es die meisten Erfahrungen damit gibt. Es kommt allerdings darauf an, Levonorgestrel möglichst bald nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr einzunehmen. Eine Freigabe kann dazu beitragen. Es gibt genug Länder als Vorbilder, nach denen wir uns richten können, auch wenn es um flankierende Regeln dazu geht. Bei starker Verzögerung, also 72 Stunden nach dem ungeschützten Verkehr, ist Ulipristal wohl das wirksamere Präparat. Das gilt besonders für deutlich übergewichtige Frauen.

Wenn das neuere Mittel Ulipristal länger wirkt: Ist es eigentlich sicher, dass es nur den Eisprung verschiebt?
Das ist noch nicht ganz klar. Es gibt die Vermutung, dass Ulipristal je nach Dosierung die Einnistung der befruchteten Eizelle hemmen könnte. Der Wirkstoff wird auch zur Behandlung von Myomen – also von gutartigen Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut – eingesetzt. Wir wissen deshalb, dass er die Struktur der Gebärmutterschleimhaut verändert.

Gibt es dann überhaupt noch einen Unterschied zur „Abtreibungspille“?
Eindeutig ja! Mit der „Pille danach“ verhindern wir eine Schwangerschaft, wir brechen sie nicht ab. Hat der Embryo sich bereits in der Gebärmutter eingenistet, dann wirkt keine „Pille danach“. Für die ältere Substanz Levonorgestrel ist durch lange Erfahrung belegt, dass sie das Ungeborene nicht schädigt. Und in einem besteht weltweit Einigkeit: Verhütung für den Notfall soll die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche verringern, ob nun mit der einen oder der anderen Substanz oder mit der „Spirale danach“, die in den USA sehr gebräuchlich ist.

Horst Lübbert leitete bis 2007 die Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin der Charité. Nun arbeitet er in der Praxisgemeinschaft Gynäkologikum Berlin.

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