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Mehr als 4000 Kinder sind schon mit Mikrozephalie zur Welt gekommen.
© Ueslei Marcelino/REUTERS

Zika-Epidemie: Kampf der Mücke

Das Zika-Virus, das vor allem für Schwangere gefährlich ist, verbreitet sich explosionsartig in Amerika. Die WHO rechnet mit drei bis vier Millionen Infizierten. Am Montag könnte sie den internationale Gesundheitsnotfall ausrufen.

Wenn irgendetwas in Rio de Janeiro mal wieder schlecht oder gar nicht funktioniert, beispielsweise das elektronische Ticket im Bus, dann sagen sie in Rio jetzt: „Hat auch Zika!“ Es ist der übliche Galgenhumor angesichts der Unzulänglichkeiten ihres Landes, das seinen Ansprüchen als Wirtschaftsmacht selten gerecht wird und das im Moment verzweifelt gegen Aedes-Mücken kämpft. Denn diese übertragen nicht nur Dengue und Chikungunya, sondern zusätzlich ein Virus, das gerade von Brasilien aus jeden warmen und feuchten Winkel Amerikas erobert: Zika. Drei bis vier Millionen Menschen könnte es dort im Laufe der nächsten zwölf Monate infizieren, schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Ab Montag soll ein Komitee beraten, ob die explosionsartige Zika-Ausbreitung ein internationaler Gesundheitsnotfall ist.

Eigentlich eine harmlose Infektion - nur nicht für Schwangere

Das Virus galt lange als harmlos. 1947 bei Affen im Zika-Wald Ugandas entdeckt, fielen Forschern erst vor zehn Jahren Ausbrüche unter den Bewohnern pazifischer Inseln auf. Sie waren nicht beunruhigt. Drei bis zwölf Tage nach dem Stich einer infizierten Aedes-Mücke bekommt nur einer von fünf Erwachsenen überhaupt Symptome: leichtes Fieber, Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen, Ausschlag, rote Augen. Nach einer Woche ist alles überstanden. Nur vereinzelt wurde von Lähmungen berichtet.

Unbeachtet zog Zika von Französisch-Polynesien aus weiter nach Brasilien. Im Mai 2015 bemerkten Ärzte die ersten Fälle, seit Herbst hegen sie einen furchtbaren Verdacht: Das Virus dringt zu Föten im Mutterleib vor und behindert die Entwicklung ihres Gehirns. Die Kinder kommen mit zu kleinem Kopf (Mikrozephalie) und somit schwer behindert zur Welt. Mehr als 4000 solcher Mikrozephalie-Fälle zählt das brasilianische Gesundheitsministerium seit Beginn der Epidemie, jede Woche kommen 200 hinzu. Im Jahr 2014 waren es lediglich 147.

23 Gebiete in Amerika sind betroffen

„Dass das Virus verantwortlich ist, ist noch eine Vermutung“, sagt Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Allerdings verdichten sich die Hinweise. Zika wurde in Fruchtwasser und Plazenta gefunden; bei toten Neugeborenen im Blut und im Gehirn. Weitere Studien sollen nun Gewissheit bringen. „Das Risikoprofil hat sich von mild zu alarmierend gewandelt“, sagt Margaret Chan, Generalsekretärin der WHO in Genf. Die Konsequenzen für die Familien seien „herzzerreißend“. Dennoch dürfe man die betroffenen Länder nicht isolieren.

Allein in Amerika sind es bisher 23 Staaten und Inseln, die Liste wird in jeder Woche länger. Nur Chile und Kanada werden verschont bleiben, sagt das panamerikanische WHO-Büro voraus. Jede Region, in der es Aedes-Mücken gibt, ist gefährdet. Wird es eingeschleppt, kann sich das Virus theoretisch auch auf Madeira oder den Kanaren ausbreiten. Nach Deutschland kommen zwar seit 2013 vereinzelt infizierte Touristen, fünf zählte das Bernhard-Nocht-Institut seit Beginn der Epidemie in Brasilien. Doch hierzulande fehlt der Überträger, zumal im Winter. Aber ähnlich wie die amerikanische Seuchenbehörde CDC warnt das Auswärtige Amt Schwangere und Frauen, die schwanger werden wollen, vor Reisen in die Ausbruchsgebiete. Sollte die Reise zwingend notwendig sein, müsse die Frau konsequent auf ihren Mückenschutz achten.

Schlechte Aussichten für den Karneval in Rio

In Brasilien breitet sich Aedes aegypti, der Hauptverdächtige, vor allem in den heißen und feuchten Sommermonaten Dezember bis März aus. Die Epidemie habe daher ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht, sagen brasilianische Experten. Diese Vorhersage kommt ausgerechnet kurz vor dem Karneval. Nun geht die Angst vor einem Einbruch des Tourismus um. Durch das Sambódromo in Rio de Janeiro zogen in dieser Woche Trupps und versprühten Insektenvernichtungsmittel, Soldaten sollen im ganzen Land Gefahrenherde inspizieren. Zu den Olympischen Spielen sollen Spielstätten besprüht und Mücken-Brutstätten konsequent ausgetrocknet werden. Allerdings weisen die Brasilianer zu Recht daraufhin, dass während der Olympischen Spiele in Rio der trockene Winter herrscht. In dieser Zeit werden kaum Mücken gesichtet.

Die Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff hat Aedes aegypti zum Staatsfeind Nummer eins erklärt. In einer großen Medien-Kampagne sollen die rund 200 Millionen Brasilianer über die Mücken-Gefahr aufgeklärt werden, Slogan: „Ein Moskito ist nicht stärker als ein ganzes Land!“

Ein langwährender Kampf

Aedes aegypti ist jedoch kein Unbekannter. Seit drei Jahrzehnten fürchten Brasilianer die Mücke als Überträger des Dengue-Virus. Im Jahr 2015 registrierten die Behörden in Brasilien 1,65 Millionen Fälle von Dengue-Fieber, mehr als jemals zuvor. Im Vergleich zum Vorjahr war das ein Anstieg um 181 Prozent. Die Zahl der Todesfälle lag bei 863. Wie man also plötzlich eine Mücke ausrotten will, gegen die man schon lange ankämpft, bleibt rätselhaft. Alle Jahre wieder in den Sommermonaten gehen etwa in Rio de Janeiro Angestellte der Gesundheitsverwaltung von Haus zu Haus, um über Gefahrenherde aufzuklären – offene Behältnisse mit wenig Wasser, in dem die anspruchslose Aedes-aegypti-Larve heranwächst. Außerdem werden in bestimmten Stadtteilen Rios, etwa den dicht bewohnten Favelas, Insektenvernichtungsmittel versprüht. Da dies jedoch nicht systematisch und konzentriert stattfindet, führen die Bemühungen zu nichts.

Die Chemiekeule soll helfen. Städtische Mitarbeiter versprühen Insektizide in El Salvador.
Die Chemiekeule soll helfen. Städtische Mitarbeiter versprühen Insektizide in El Salvador.
© Jose Cabezas/REUTERS

In diesem Sinne ist der Satz von Gesundheitsminister Castro zu verstehen, der meinte, dass Brasilien „die Schlacht gegen Aedes aegypti“ krachend verliere. Für die defätistische Bemerkung handelte er sich eine Rüge aus dem Präsidentenpalast ein. Castro, der seit drei Monaten amtiert, gilt als politische Besetzung, weil er Präsidentin Rousseff stützt, der ein Absetzungsverfahren im Kongress droht. Ob er der qualifizierteste Mann für den Job des Gesundheitsministers in Zeiten von Zika und Mikrozephalie ist, darf bezweifelt werden.

Warnung für Schwangere

Zika trifft Brasilien zudem mitten in einer Wirtschaftskrise, der Regierung fehlt Geld. Geld, das für die öffentliche Gesundheitsversorgung ohnehin nie vorhanden war. Die Kapazitäten reichen nicht, um sich um die Babys mit Mikrozephalie, deren Mütter sowie die Schwangeren zu kümmern, die an Zika erkrankt waren oder sind, sagen Ärzte.

Minister Castro rät Frauen, die schwanger werden wollen, „Vorsicht walten zu lassen“. Während die Regierungen von Kolumbien, Jamaika, El Salvador, Ecuador und der Dominikanischen Republik von einer Schwangerschaft in den kommenden Monaten und Jahren abraten, will die brasilianische Regierung eine solche Empfehlung nicht aussprechen. In El Salvador, wo Abtreibung unter Strafe von bis zu 40 Jahren steht, wird sogar deren Legalisierung im Fall von nachgewiesener Mikrozephalie diskutiert. Brasilien, das ebenso ein absurd striktes Abtreibungsverbot hat, steht diese Diskussion noch bevor.

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