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Umstrittene Philosophin: Judith Butler: "Israel repräsentiert nicht alle Juden"

Seit Wochen wird Judith Butler "Israel-Hass“ und Antisemitismus vorgeworfen. Jetzt erklärt die umstrittene jüdische Star-Philosophin, warum sie Israel boykottiert und wie sie zum Zionismus steht.

Da sitzt sie nun, Judith Butler, und scherzt mit den Fotografen, die das Bild machen wollen: Die vermeintlich „bekennende Israel-Hasserin“ und angebliche „Antisemitin“ auf einem Sofa mitten im Jüdischen Museum – bereit, gleich über die provokante Frage zu diskutieren: „Gehört der Zionismus zum Judentum?“ Ein heikler Auftritt, nach allem, was passiert ist.

In der vergangenen Woche ist Butler, Professorin für Rhetorik und Komparatistik in Berkeley und wegen ihrer Geschlechtertheorie seit 25 Jahren ein akademischer Star, nach Deutschland gereist, um den Adorno-Preis der Stadt Frankfurt am Main entgegen zu nehmen. Doch die Ehrung, die vor ihr Größen wie Norbert Elias, Jürgen Habermas, Jacques Derrida oder György Ligeti erhalten haben, aber noch nie eine Frau, wurde für die amerikanische Philosophin zu einem Spießrutenlaufen. Stephan J. Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, nannte die Jüdin eine „Israel-Hasserin“, die wegen ihrer „moralischen Verderbtheit“ des Preises nicht würdig sei. Auch der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsman bedauerte den Preis für Butler. Ein Bündnis mit dem Namen „Kein Adorno-Preis für Antisemiten“ protestierte vor der Frankfurter Paulskirch

In Zeitungen wurde über Butlers Sympathien für Hamas und Hisbollah debattiert. Sie werde es fortan „schwer haben, von Humanisten ernst genommen zu werden“, schrieb Sonja Vogel in der „Taz“. Marko Martin erklärte in der „Welt“, die Palästinenser hätten „bessere Fürsprecher“ verdient als die „selbstbestimmt ignorante“ „Miss Butler“ („Fräulein Butler“). Und „Welt“-Autor Henryk M. Broder, der bei Butler eine „Affinität zu Terrororganisationen“ erkennt, zog einen Vergleich zwischen ihren geschlechtertheoretischen Schriften und einem Pamphlet aus dem Jahr 1900 „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“.

Seit sechs Jahren klebt eine mündliche Äußerung bei einem Teach-in in Berkeley an Butler. Aus dem Publikum gefragt, ob sie Hamas und Hisbollah zur „globalen Linken“ zähle, hatte Butler geantwortet, es handle sich um soziale Bewegungen, die progressiv und Teil einer globalen Linken sind. Das klingt nach einer Sympathiebekundung – wenn man den Kontext der Bemerkung und Butlers Werk ignoriert. Tatsächlich hatte sie unmittelbar vorher erklärt, sie lehne jeden gewaltsamen Widerstand ab, auch den der Palästinenser.

Das passt zu Butlers gesamtem wissenschaftlichem Werk, das zutiefst humanistisch ist. Seit Jahrzehnten kreist ihr Denken um das Thema Gewalt, um die Verletzbarkeit des Einzelnen und um die Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um das Individuum in seinem Ausgesetztsein zu schützen. Trotzdem musste sie nun in langen Zeitungsartikeln erklären, sie werde niemals ein Bündnis mit einer Person oder Gruppe eingehen, „die antisemitisch, gewalttätig, rassistisch, homophob oder sexistisch ist“. Außerdem bedeute „links“ nicht immer „gut“. Im Übrigen gebe es eine „globale Linke“ überhaupt nicht: „Das hätte ich einfach sagen sollen.“

"Ich hasse die Zionisten. Ich hasse die Antizionisten."

Im Jüdischen Museum ist am Sonnabend von dem Skandal nicht viel zu spüren. Der Glashof am Altbau in der Lindenstraße strahlt Offenheit und Ruhe aus. Cilly Kugelmann, die Programmdirektorin, ist trotz der Hysterie gelassen geblieben und hat nicht daran gedacht, Butler wieder auszuladen – die Einladung war ohnehin schon lange vor der Verleihung des Preises ausgesprochen worden. Kugelmann hat Butler für das Gespräch mit dem jüdischen Pädagogikprofessor Micha Brumlik gepaart. Der widerspricht Butler zwar immer wieder, streckt ihr dabei aber entspannt im Sofa lehnend seinen Bauch entgegen. Im Publikum dominieren die typischen Butler-Groupies: Akademisch gebildete Leute zwischen 20 und 30. Sie applaudieren, als der Moderator Andreas Öhler sagt: „Wir haben beschlossen, an diesem Abend keine Angst zu haben.“

Dann will er von Butler wissen: „Gehört der Zionismus zum Judentum?“ „Yes“, antwortet sie, „der Zionismus ist Teil der jüdischen Geschichte, wie könnte er also nicht zum Judentum gehören?“ Dann lacht sie verschmitzt: Die Frage sei ja aber normativ gemeint: „Soll der Zionismus zum Judentum gehören?“

Die Antwort darauf findet Butler schwierig. Denn heute sei es kaum möglich einen „antinationalistischen“, nämlich kulturellen oder spirituellen Zionismus zu vertreten, einen Zionismus also, wie ihn noch vor der Staatsgründung Israels 1948 Hannah Arendt oder Martin Buber gewollt hätten. Heute werde man dafür als „Antizionistin“ wahrgenommen, die Israel das Existenzrecht abspricht und bereit ist, die Juden noch einmal der Vernichtung preis zu geben. Eine nationalistische Zionistin will Butler aber nicht sein. Sie zitiert Franz Kafka: „Ich hasse die Zionisten. Ich hasse die Antizionisten.“ Dass das witzig ist, muss Butler ihrem grübelnden Publikum erst erklären: „Gäbe es noch jüdischen Humor in Deutschland, würden Sie jetzt lachen.“

Butler lehnt die Gleichung „Judentum gleich Israel“ ab, das hat sie schon oft gesagt. Überall auf der Welt hätten die Juden unterschiedlichste Beziehungen zu Israel. Darum könne Israel auch nicht für sich in Anspruch nehmen, das gesamte Judentum zu repräsentieren. Im Übrigen sei Israel ja auch nicht nur ein jüdischer Staat: 30 Prozent seiner Bevölkerung sind Palästinenser, sagt Butler. Aus der Diaspora folge der nationalistische Zionismus nicht zwingend. Im Gegenteil: Gerade weil die Juden die Erfahrung der Vertreibung gemacht haben, müssten sie besonders sensibel mit anderen Menschen umgehen, erklärt Butler, die selbst Familienangehörige im Holocaust verloren hat. Als über die Welt verstreutes Volk wüssten die Juden auch, wie es ist, mit Menschen anderer Religionen und Traditionen zusammenzuleben, sagt sie, und wirbt für eine jüdische „Ethik der Kohabitation“, also des Zusammenlebens: „Das heißt nicht, dass alle einander lieben müssen.“ Aber man müsse die ethischen und politischen Notwendigkeiten an der Lage ausrichten. Die Juden hätten sich in Israel ihren Schutzraum geschaffen, indem sie fast 800 000 Menschen vertrieben hätten: „Nicht nur Juden haben ein Recht auf einen Schutzraum.“

„Aus Ihrer Sicht ist Israel also nichts als ein performativer Selbstwiderspruch?“, fragt Brumlik, nun doch etwas verärgert. Brumlik meint zwar selbst, dass die Staatsgründung „dumm gelaufen ist“, weil sie „zu spät und nicht weit weg genug“, etwa „in Neuseeland oder auf dem Mond“ erfolgte. Theodor Herzl habe sich den Judenstaat ja auch in Argentinien vorstellen können. Doch das habe nun einmal für die Mehrheit der Zionisten „keine Attraktivität“ gehabt. Und für den von Butler gewollten „kulturellen Zionismus“ habe es in Palästina nun einmal keine Partner gegeben. Ihm sei es „unangenehm“, ständig über die Legitimität Israels diskutieren zu müssen: „Wir diskutieren auch nicht ständig über die Legitimität Deutschlands.“

Brumlik hat Butler in dem aktuellen Sturm der Empörung als Erstunterzeichner der Petition „Adorno-Preis für Butler“ im Internet beigestanden. Und er hat öffentlich darauf hingewiesen, nicht nur Butler, eine wachsende Zahl angesehener jüdischer Intellektueller wolle sich nicht mehr „bedingungslos dem jeweiligen Kurs israelischer Regierungen anschließen“. Doch dass Butler und andere Juden Boykottmaßnahmen gegen Israel unterstützen, hält er für verantwortungslos: „Für mich als Jude in der Diaspora ist doch die Frage: Wo ist die Ernsthaftigkeit, für die Folgen aufzukommen?“

Auch aus dem Publikum wird gefragt, warum Butler ausgerechnet Israel boykottiert, die einzige stabile Demokratie in der Region. „Ich bin gar nicht der Meinung, dass Israel ganz besonders schlimm in Sachen Menschenrechten ist“, antwortet Butler. Sie empfinde aber nun einmal eine besondere Beziehung zu Israel, eben weil es für sich in Anspruch nehme, alle Juden zu repräsentieren: „Darum sage ich: Nicht in meinem Namen.“ Der Boykott solle Israel dazu zwingen, die Besatzung zu beenden und allen Bürgern gleiche Rechte zu gewähren. Im Übrigen boykottiere sie Einrichtungen, nicht aber Individuen.

Brumlik findet Butler idealistisch. Butler hält dagegen. Ihre Ideen hätten vielleicht etwas Utopisches. Aber völlig unrealistisch seien sie nicht. In Israel gebe es ja Inseln echten binationalen Lebens, etwa in Schulen, in denen sowohl Hebräisch als auch Arabisch unterrichtet werde: „Man kann sagen, dass ist alles nicht machbar. Aber es muss ja jemanden geben, der für das Nicht-Machbare eintritt.“ Dafür, dass Butler das tut, wird sie verehrt: Ihr junges Publikum applaudiert stürmisch.

Anja Kühne

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