Universitätsgeschichte: Isaac Euchel, ein jüdischer Aufklärer in Königsberg
Fast hätte Kant den Hebraisten Isaac Euchel zum Dozenten an der Universität Königsberg berufen. Doch an der christlichen Uni durfte kein Jude lehren. Kant, der selber mittelalterlich-lutherische Vorurteile gegenüber Juden pflegte, beugte sich dem Verdikt über seinen Schüler.
Jüdische Studien an der deutschen Universität zu etablieren, bleibt eine Aufgabe. Ein Schritt in diese Richtung ist die Eröffnung des Zentrums Jüdische Studien Berlin-Brandenburg vor einigen Wochen. Ein weiterer Schritt wäre die Stärkung der jüdischen Studien und der Rabbinerausbildung an der Uni Potsdam. Da bewegt sich etwas, nach Jahrhunderten der schmerzhaften universitären deutsch-jüdischen Annäherung. Anlass genug, eines knapp verpassten Triumphs der deutschen Aufklärung zu gedenken, der 1786 in Betracht gezogenen, nicht erfolgten Ernennung Isaac Abraham Euchels (1756–1804) zum Lehrbeauftragten für Hebräisch an der Universität Königsberg durch deren Rektor Immanuel Kant.
Seit der Humanist Reuchlin Anfang des 16. Jahrhunderts Hebräisch als Lehrfach eingeführt hatte, sind Jüdische Studien, zumindest für protestantische Theologen, ein fester Teil des deutschen Universitäts-Curriculums gewesen. Schon bald hatte man dazu Professoren mit jüdischem Hintergrund berufen, rabbinisch gebildete Männer, die sich seit ihrer Jugend mit dem Hebräischen und dessen grammatikalischen Feinheiten beschäftigt hatten.
Nur dass diese allesamt getauft waren und oft als Kronzeugen gegen ihre ehemaligen Religionsgenossen auftraten. Wie Antonius Margarita, Sohn des Rabbiners von Regensburg, der 1530 ein Buch gegen den !ganzen jüdischen Glauben! schrieb, als er zum „Hebräischen Leser der löblichen Stadt Augsburg“ berufen wurde.
Doch die Querverbindungen zwischen der jüdischen und nicht-jüdischen Welt konnten auch auf freundlichere Weise erfolgen, wie das Beispiel von Raphael Levi (1685–1779) zeigt. Als große Begabung an die Talmudschule in Frankfurt am Main geschickt, hatte er auf einer Reise nach Hannover seinen Vater verloren und musste seine Ausbildung an der dortigen Armenschule fortsetzen. Der gute Rechner wurde Buchhalter und betrieb mathematische und physikalische Studien im Selbstunterricht. Als er Arbeiter davon abhielt, ein Gerüst falsch zu gründen, fielen seine scharfsinnigen Bemerkungen einem zufällig anwesenden Ingenieur auf, der den jungen Juden Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) vorstellte. Levi wurde für die nächsten sechs Jahre dessen Schüler und Gehilfe.
Raphael Levi war aus jüdischer wie nicht-jüdischer Sicht als bedeutender Gelehrter anerkannt: Er verfasste mathematische Tafeln für Schifffahrt und Handel ebenso wie zu Standardwerken gewordene hebräische Kommentare zum Jüdischen Kalender. Die englische Admiralität berief ihn nach London, um der Royal Society eine von ihm entwickelte einfache Rechenmethode zur Standortbestimmung auf See zu erläutern. Auch als Leibniz-Schüler wurde er zur Institution. Er soll späteren Generationen die zunächst vergessene Lage von Leibniz’ Grabstelle in Hannover gezeigt haben.
Er ist zweiundachtzig, als er dem 38-jährigen Moses Mendelssohn (1729–1786) kritische Anmerkungen zu dessen 1767 erscheinendem „Phädon“ schickt. Und jenseits der neunzig nimmt er es auf sich, den zwanzigjährigen Isaac Abraham Euchel privat in die weltlichen Wissenschaften, die „Chochmoth“, einzuführen. Euchel war ein junger Talmudstudent aus Berlin, der zu einer großen rabbinischen Laufbahn bestimmt schien – und diese durch trotziges Beharren auf dem Streben nach Aufklärung verunmöglicht hatte. Nun verdient er sich den Lebensunterhalt als „Hofmeister“, als Privatlehrer einer wohlhabenden jüdischen Familie in Hannover.
Nach drei Jahren bei Raphael Levi bekommt Euchel eine Stellung bei der Familie Friedländer in Königsberg angeboten. Und damit direkten Zugang zu einer der führenden Familien der jüdischen Aufklärung. Der Bruder seines Arbeitgebers, David Friedländer, war ein begeisterter Anhänger von Moses Mendelssohn und hatte 1778 maßgeblich zur Gründung der „Freischule für Jüdische Knaben“ (die heutige Jüdische Oberschule in der Großen Hamburger Straße) in Berlin beigetragen, wo arme wie reiche jüdische Buben Deutsch, Französisch, Schreiben, Rechnen, Buchhaltung, Geografie, Mathematik und Hebräisch lernen können. In Königsberg gründet Euchel Anfang Dezember 1782 die „Gesellschaft der Hebräischen Litteraturfreunde“ – eine Vereinigung junger, sich zur Aufklärung bekennender Juden. Euchel wird zugleich Chefredakteur der Zeitschrift der Gesellschaft, „Hame’asef“ (Der Sammler). Sie ist (mit gelegentlichen Unterbrechungen) von 1784 bis 1811 erschienen, und hat 1788 in mehreren Fortsetzungen Euchels hebräische Biografie von Moses Mendelssohn veröffentlicht. Leben und Werk des Philosophen wurden damit erstmalig einem größeren jüdischen Publikum vermittelt.
1782 kann sich Euchel an der Königsberger Universität für Orientalistik (Hebräisch) und Philosophie einschreiben – bei Immanuel Kant, der von „Hame’asef“ weiß und die aufklärerischen Bemühungen seines Studenten anerkennt. Als 1786 die Stelle des Hebräisch-Professors frei wird, bewirbt sich Euchel, was Kant, am 20. Februar, ausdrücklich gutheißt: Es bestehe „kein Zweifel, daß die theologische Facultaet diese Interimsverwaltung der orientalischen Professur, wenn gleich durch einen Jüdischen Gelehrten, nicht gern sehen sollte, zumal dieser sich von sich selbst bescheidet, keine Exegesis in seine Unterweisung mengen zu wollen, sondern sich blos auf eine gründliche Sprachkenntnis einzuschränken“.
Nächste Seite: Kant empfiehlt Euchel für die Stelle. Doch ein Gutachten der Universität führt zur Kehrtwende.
Am 24. März 1786 stellt Kant „gedachtem Abraham Isaac Euchel ein rühmliches Zeugnis wegen seiner guten Sitten, seines Fleißes imgleichen allerley in Wissenschaften erworbenen Kenntnisse“ aus. Er sei „überdem weit entfernt, aus intoleranten Grundsätzen ihm sein Gesuch abzuschlagen oder zu verweigern“.
Doch als ein Gutachten der Universität auf die Statuten verweist, die nur Protestanten die Magisterprüfung gestatten würden, ohne die wiederum keine Lehrerlaubnis erteilt werden dürfe, macht der zum Universitäts-Rektor aufgerückte Kant eine Kehrtwende. Der große Aufklärer, der seine mittelalterlich-lutherischen Vorurteile gegenüber den Juden nie ganz hat abstreifen können, lässt Euchel am 24. Mai 1786 wissen, „dass sich Studios(us) Euchel von selbst bescheiden daß (sein Gesuch) unserer Seits nicht deferirt (bewilligt) werden könne“. Kurz: weder Abschluss des Studiums noch Einstellung.
Persönlich bleibt Kant Euchel gewogen und nimmt an der ein Jahr später von ihm organisierten Trauerfeier für Moses Mendelssohn teil, wobei er zum ersten Mal seit achtzehn Jahren einen Konzertsaal betritt. An Isaac Euchels beruflichem Scheitern ändert das nichts.
Wohl wird Euchel danach mit großer Energie für die Jüdische Aufklärung und die Wissenschaft vom Judentum tätig sein. Zuletzt leitet er einen der Berliner „Freischule“ angeschlossenen Verlag, wo viele für die jüdische Aufklärung wichtige Werke erscheinen. Er stirbt sehr jung, 1804, ohne dass seine großen Leistungen und Fähigkeiten außerhalb der eng umschriebenen Minderheit, der er durch Geburt angehört, anerkannt worden wären – und auch da nur teilweise.
1819 gründet die nächste Generation jüdischer Aufklärer einen „Verein zur Verbesserung des Zustandes der Juden im deutschen Bundesstaate“, den sie zwei Jahre später in den „Verein für Cultur und Wissenschaft des Judentums“ umbenennen. Dessen Träger etablieren 1854 an einem Institut zur Rabbinerausbildung, dem Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau, einen ordentlichen Lehrbetrieb, und 1869 wird dessen prominentester Vertreter, der Historiker Heinrich Graetz, von der Preußischen Regierung zum Honorar-Professor an der Universität Breslau ernannt – 83 Jahre nach Euchels Bewerbung in Königsberg.
Stephen Tree
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