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Das Chiew-Larn-Reservoir in Thailand zerschneidet den Regenwald.
© Antony Lynam/ Science

Regenwald-Ökologie: Inseln ohne Artenvielfalt

Raubbau, Kahlschlag und Siedlungen zerstückeln den Regenwald. Zwei Experimente sollen nun zeigen, wie die Natur langfristig darauf reagiert.

Als erstmals die magische Marke überschritten wurde, war es nur eine Randnotiz. Am 11. Mai 2013 erreichte der Anteil des Kohlendioxids in der Atmosphäre die Grenze von 400 Teilen von einer Million, gemessen wie eh und je am Mauna Loa auf Hawaii. Eine klimaökologisch bedeutsame Schwelle; aber eine, deren Folgen man nicht unmittelbar erkennt.

So beständig die Kohlendioxidkurve seit Jahrzehnten aufwärts zeigt, so unsicher ist die Einschätzung anderer Klimakomponenten. Eine unbekannte Größe ist der tropische Regenwald. Weil die Urwälder riesige Kohlenstoffspeicher sind, haben Raubbau und Kahlschlag globale Folgen. Sie setzen enorme Mengen Kohlendioxid frei und beschleunigen somit die Erwärmung der Erde.

Das Schwinden der Wälder ist einerseits katastrophal, weil es neben dem Verlust der Artenvielfalt zugleich für etwa ein Viertel der Kohlendioxidemissionen verantwortlich sein könnte. Andererseits könnten die verbliebenen Regenwälder vom steigenden Kohlendioxid-Gehalt profitieren. Denn ein erhöhter Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre treibt die Photosynthese in den Zellen der Pflanzen an. Diese können besser wachsen, weil sie ihre winzigen Atemöffnungen auf der Oberfläche der Blätter weniger weit und lange öffnen müssen. So verlieren sie weniger Wasser und können Hitze und Dürre besser überstehen. Klimaexperten können daher nicht vorhersagen, ob etwa der Amazonas-Regenwald im sich aufwärmenden Klima austrocknen und schrumpfen wird, ob dabei weniger Kohlendioxid gebunden wird oder ob der Rest-Regenwald derart „gedüngt“ prächtig gedeiht und den Klimawandel sogar verzögert.

Eine kleine Regenwaldinsel wird künstlich beatmet

Am Amazonas will jetzt ein internationales Forscherteam mit Hilfe der Inter-American Development Bank einen ehrgeizigen Plan umsetzen. Sie wollen in Brasilien, nördlich von Manaus, eine kleine Urwaldinsel von 30 Metern Durchmesser gleichsam künstlich mit Kohlendioxid beatmen. Während des Experiments strömt aus einem ringförmigen Röhrengerüst mit 16 Türmen gezielt Kohlendioxid auf Pflanzen und Boden. Gleichzeitig wird deren Stoffwechselaktivität ebenso kontinuierlich analysiert wie Temperatur, Wind und Kohlendioxidanteil im Wald. Mindestens ein Jahrzehnt, so ein Bericht im Fachblatt „Nature“ (Bd. 496, S. 405), wollen Forscher um Jerry Melillo vom Marine Biological Laboratory in Woods Hole, Massachusetts, die Auswirkungen auf Pflanzen und Boden beobachten und so die dringend notwendigen Daten liefern. Aber allein das Kohlendioxid zu beschaffen und derart gezielt freizusetzen, wird voraussichtlich mehrere Millionen Dollar jährlich kosten.

In den Wäldern der gemäßigten Zone der Nordhalbkugel gab es bereits ähnliche Experimente. Tatsächlich registrierten die Forscher dabei anfangs einen Düngeeffekt. Doch langfristig schwankte dieser Effekt je nach Nährstoffen im Boden. Allerdings gelten diese Wälder als jünger und sind biologisch einfacher strukturiert. In den Tropen wäre die Begasung aufgrund der höheren Temperaturen und des größeren Volumens des Kohlenstoffzyklus wirkungsvoller, die Auswirkungen mithin deutlicher messbar, meinen die Ökologen. Dabei sind sie sich im Klaren darüber, dass ihr vergleichsweise simpler Versuchsaufbau kaum die Vielfalt und die Komplexität im Regenwald simulieren kann. Letztlich kann kein Experiment einen Lebensraum im Freiland abbilden. Mit dieser Unsicherheit müssen sämtliche Klimamodelle also weiterhin leben.

Um Urwaldinseln anderen Ausmaßes geht es in einem zweiten Experiment: Wie groß müssen oder wie klein dürfen Waldrefugien sein, damit sie noch ein Rettungsfloß der Artenvielfalt sind? Ebenfalls im Amazonas-Regenwald nördlich von Manaus hatte der amerikanische Ökologe Thomas Lovejoy bereits in den späten 1970er Jahren gut ein Dutzend Waldstücke – mit Größen zwischen einem, zehn und 100 Hektar – vor dem Kahlschlag bewahrt. Er schuf Urwald-Inseln, die vielen Waldtieren Zuflucht boten.

Lovejoy machte den Urwald zu seinem Laboratorium

Diese Waldinseln sind das am längsten laufende und größte Freilandexperiment der Tropenökologie. Bis heute beobachtet Lovejoy, der inzwischen an der George-Mason-Universität in Fairfax/ Virginia tätig ist, wie sich die Fragmentierung des natürlichen Lebensraumes auf Pflanzen und Tiere auswirkt. So weiß man heute, dass in Urwaldinseln die spezialisierten Arten allmählich verschwinden und den Generalisten und Pionieren unter den Pflanzen und Tieren Platz machen, die mit solchen Lebensräumen besser zurecht kommen. Es sei das wohl wichtigste ökologische Experiment überhaupt, meint sein Kollege Stuart Pimm: „Wir wussten, dass kleine, isolierte Inseln schlecht sind für das Überleben von Arten; wir wollten wissen, wie schlecht".

Lange debattierten Forscher, ob man besser ein großes oder viele kleine Insel-Lebensräume erhalten sollte. Der Raubbau an den Ufern des Amazonas lieferte dazu Anschauungsunterricht: Vor allem an den Rändern der Regenwaldinseln verschwinden wichtige Schlüsselarten. Auf den ersten 100 Metern der Waldränder geht bereits ein Drittel der Biomasse verloren, weil Wind und Sonnenlicht den Rändern zusetzen. Zwar schließen schnellwachsende Pionierpflanzen diese Wunde. Doch die Artendichte in der Randzone geht verloren.

Generationen von Ökologen haben untersucht, was passiert, wenn der Mensch allerorten solche Biotopinseln schafft – sei es durch Abholzung oder durch das Durchschneiden der Lebensräume mit Straßen und Siedlungen. Wie groß ist groß genug? In Lovejoys Amazonas-Laboratorium ging die Hälfte aller Vogelarten, die das Kronendach des Regenwaldes bewohnen, während der ersten anderthalb Jahrzehnte in einem Rest-Urwald von 100 Hektar verloren. Inzwischen haben Lovejoy und seine Kollegen daraus eine Art Halbwertzeit des Artenverlustes ermittelt. Demnach verlängert sich die Zeit, in der die Hälfte aller dort vorkommenden Arten verschwindet, um das Zehnfache, wenn die Fläche des Refugiums um das tausendfache größer ist.

Weniger anspruchsvolle Einwanderer verdrängen die Spezialisten

Anders ausgedrückt: Die ursprüngliche Artenvielfalt eines Gebietes ist bedroht, wenn die Insel kleiner als 100 000 Hektar ist, berichten die Forscher um Thomas Lovejoy in „Nature“ (Bd. 496, S. 286). Doch ist es unmöglich, die Mehrzahl der Schutzgebiete rund um den Globus derart groß zu gestalten. Die Konsequenz: Die meisten isolierten Schutzräume, die wir der Natur einräumen, sind zu klein, um deren Artenvielfalt zu bewahren. Man muss sich nur die Schutzgebiete für Tiger, Elefanten und Nashörner vor Augen führen.

Das bestätigt eine Studie zum zerstückelten Regenwald im Süden Thailands, der vor 25 Jahren durch einen Staudamm – das Chiew-Larn-Reservoir – durchschnitten wurde. In Waldinseln von weniger als zehn Hektar verschwanden innerhalb von fünf Jahren beinahe sämtliche Kleinsäuger, berichten Ökologen um Luke Gibson von der Nationalen Universität Singapur im Fachblatt „Science“ (Bd. 341, S. 1508). In bis zu 56 Hektar großen Waldstücken dauerte es 25 Jahre. Die mittlere Überlebensdauer von Kleinsäugerarten in solchen Refugien beträgt somit 14 Jahre. Schuld war nicht allein die menschengemachte Zerstückelung des Lebensraums. Zugleich war mit der Malaiischen Feldratte eine dort nicht heimische Art in die Wälder gelangt, die die ursprünglichen Säuger verdrängte.

So einem Doppelschlag könnten auch anderswo viele Tierarten zum Opfer fallen, befürchten die Ökologen. Ihre Langzeitstudie macht deutlich, wie wichtig ein Ende der Urwaldrodungen ist. Gleichzeitig müssen die isolierten Waldinseln vernetzt werden. Die Forscher um Gibson fordern daher, die verbliebenen Refugien durch Korridore zu verbinden.

Ob das gelingen kann, soll eine Wiederholung von Lovejoys Experiment auf der anderen Seite der Erde zeigen. Im Norden Borneos, wo bereits große Teile des tropischen Regenwaldes vernichtet wurden, legt ein Team um Rob Ewers vom Imperial College in London ähnliche Waldfragmente an. Das Projekt konzentriert sich allerdings nicht auf unberührten Regenwald, sondern auf bereits degradierte Flächen im nachwachsendem Sekundärwald oder in Ölpalmplantagen. Das repräsentiere die gegenwärtige ökologische Situation, meint Ewers. So entstehe ein besseres Bild, wie Evolution und Ökologie in diesen Rest-Refugien zukünftig zusammenspielen.

Matthias Glaubrecht

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