Fukushima: Insel der Isotope
Das Kraftwerksgelände ist am stärksten radioaktiv belastet. Es wird Jahrzehnte dauern, die Reaktoren abzubauen. Auch im Umland gibt es noch viel zu tun.
Die Sperrzone um Fukushima schrumpft. Schrittweise geben die japanischen Behörden das evakuierte Gebiet frei, tausende Menschen können in ihre Heimat zurückkehren. Doch in jenen Gebieten, in denen damals die meisten radioaktiven Partikel niedergingen, dürfen Vertriebene sich nach wie vor nicht niederlassen. In der Nähe des Kernkraftwerks Fukushima-Daiichi ist das Betreten verboten. In einigen Gegenden werden Beschränkungen wohl über Jahrzehnte bestehen bleiben, da das dominierende und gesundheitlich gefährliche Radionuklid Cäsium-137 eine Halbwertszeit von 30 Jahren hat.
Am stärksten verseucht ist das Kraftwerksgelände. Die Reaktoren sind abgeschaltet und werden weiterhin gekühlt. Die Betreiberfirma Tepco plant, die Anlage zu demontieren. Das soll 30 bis 40 Jahre dauern – wahrscheinlich aber noch länger.
Bereits bei planmäßig heruntergefahrenen Kernkraftwerken vergehen für den Rückbau schnell 15 bis 20 Jahre. Fukushima-Daiichi ist aber schwer beschädigt durch Erdbeben, Flutwelle und Explosionen. In mindestens zwei Reaktoren hat es eine Kernschmelze gegeben, bei der der kochend heiße Brennstoff sich durch die Stahlhülle des Reaktordruckbehälters gefressen hat und jetzt im umgebenden Sicherheitsbehälter schmort, Teile davon vielleicht auch im Reaktorgebäude.
Genauer lässt sich das momentan nicht sagen. Die Strahlenbelastung ist so hoch, dass nur Roboter bis an die Reaktorkerne heran dürfen. Wie der Abriss der Kraftwerksruinen gelingen kann, ist ebenso unklar wie die Frage, wohin die strahlenden Reste gebracht werden sollen. Japan hat wie Deutschland bisher nicht einmal einen Standort bestimmt für ein Endlager für stark radioaktive Stoffe.
Doch im Moment gibt es drängendere Fragen. Die Techniker bemühen sich, die Kühlung der beschädigten Reaktoren sowie der Brennelemente in den Lagerbecken am Laufen zu halten. Zwar sind die Temperaturen in den vergangenen zwei Jahren deutlich gesunken, doch immer wieder kommt es zu Ausfällen des Kühlsystems, es gibt Lecks. Bei einem erneuten Erdbeben oder einem Tsunami könnte die Kühlung versagen und große Mengen Radioaktivität frei werden.
Darum will Tepco im nächsten Schritt die Brennelemente, die den radioaktiven Treibstoff des Kraftwerks enthalten, aus den Lagerbecken bergen und sicher zwischenlagern. Zudem wird eine gut 20 Meter tiefe Stahlwand in den Untergrund zwischen Kraftwerksgelände und Pazifik eingezogen, um zu verhindern, dass radioaktives Wasser dorthin fließt. Das verseuchte Wasser macht immer wieder Probleme, da offenbar Grundwasser in die Gebäude strömt und so die Menge der belasteten Flüssigkeit erhöht. Zwar werden die radioaktiven Bestandteile ständig durch Ionentauscherverfahren aus dem Wasser gefiltert, doch die Anlagen kommen nicht hinterher, so dass neue Lagertanks errichtet werden müssen.
Auch außerhalb des Geländes gibt es Platzprobleme. Um die Strahlenbelastung zu verringern, wurde vielerorts die oberste Bodenschicht abgetragen und in Säcke verpackt, ebenso wie Reste der Hochdruckreinigung von Asphalt und Beton. Doch wohin damit? Bisher sind keine Endlager für diesen schwach radioaktiven Abfall gefunden. Die Menge ist enorm, zwischen 16 und 41 Millionen Kubikmeter dürften bei der Dekontamination in der Region Fuksuhima anfallen, berichtet das Fachmagazin „Science“. Zurzeit liegen die Säcke in 5000 Behelfsdeponien. Die Regierung will nun Zwischenlager einrichten, in denen der strahlende Abfall durch doppelte Betonwände von der Umgebung abgeschirmt wird.
Zudem soll die Menge reduziert werden. Dafür werden derzeit verschiedene Verfahren getestet. Denkbar wäre beispielsweise, kontaminiertes Material auf deutlich über 1000 Grad Celsius zu erhitzen und das strahlende Cäsium chemisch herauszulösen. Aber solche Techniken sind aufwendig und teuer.
Was das Aufräumen im Kraftwerk und den radioaktiv belasteten Gebieten am Ende kosten wird, kann keiner verlässlich sagen. Tepco jedenfalls wäre längst pleite, wenn der japanische Staat nicht vergangenes Jahr in das Unternehmen eingestiegen wäre. Ralf Nestler
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