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Das ganze Bild. Durch die grüne Färbung werden nicht nur die groben Strukturen des Gehirns sichtbar. Forscher können selbst die Verbindungen zwischen einzelnen Nervenzellen nachverfolgen.
© Karl Deisseroth, Kwanghun Chung

Reise durch das Gehirn: In aller Klarheit

Graue Masse war gestern. Mit einer neuen Technik machen Neurowissenschaftler von der Uni Stanford das Gehirn transparent. Große Nervennetzwerke, aber auch kleinste Strukturen kann man nun genauer analysieren.

Das Fett muss weg, es versperrt die Sicht. Das beschloss ein Team um Karl Deisseroth von der Uni Stanford und macht nun Organe transparent. Mit der neuen Technik müssen Forscher nicht mehr die graue Masse in feinste Scheibchen schneiden, bevor sie die Anatomie unter dem Mikroskop analysieren können. Statt der mühseligen Arbeit können sie mithilfe von Licht in 3–D durch Gehirn reisen - ohne es dabei zu zerstören.

Das Ergebnis ist elegant, der Weg dahin jedoch war lang und nicht völlig geradlinig. Denn Fett hält normalerweise die Einzelteile des Hirns zusammen. Entfernt man es aus den Zellen, bricht alles in sich zusammen. Eine weitere Herausforderung: Deisseroth und seine Kollegen wollten eine Technik finden, die weder feinste Strukturen noch die Biochemie des Gehirns verändert. Mit Hydrogel könnte es funktionieren, war ihre These. Es formt eine Art Netz, das das Gehirn durchdringt und mit der richtigen Temperatur an fast alle Moleküle andockt - außer an Lipide. Das Fett wurde dann per Elektrophorese entfernt. Damit alles klappt, mussten die Forscher jedoch die richtige Mischung aus Temperatur, Elektrizität und Lösung finden. Hunderte Mäusehirne schmolzen dahin, während die Chemiker und Neurowissenschaftler nach dem richtigen Rezept fahndeten. Nun veröffentlichten sie es im Fachblatt "Nature" und nannten es Clarity.

Reise ins Innere. Die verschiedenen Zelltypen im Hippokampus - dem Tor zur Erinnerung - färbten die Forscher unterschiedlich an, so dass man ihr Zusammenspiel besser sehen kann.
Reise ins Innere. Die verschiedenen Zelltypen im Hippokampus - dem Tor zur Erinnerung - färbten die Forscher unterschiedlich an, so dass man ihr Zusammenspiel besser sehen kann.
© Karl Deisseroth, Kwanghun Chung

Bis das auch mit kompletten menschlichen Gehirnen klappt, wird noch einige Zeit vergehen. Doch Clarity habe das Potenzial, selbst feinste Details zu offenbaren, die in den Gehirnen von Menschen mit neurologischen Erkrankungen anders sind, sagte Francis Collins, der Direktor der amerikanischen Gesundheitsinstitute NIH. "Und das, ohne dabei die großen Netzwerke aus den Augen zu verlieren!"

Auch die neuen Möglichkeiten, die sich bei der Analyse von kleineren Gehirnen wie dem von Mäusen, Ratten oder Vögeln bieten, begeistern Forscher. "Clarity schafft einen Zugang zu Eiweißen und anderen Molekülen in den Zellen, ohne die räumliche Struktur von kleinen Nervennetzwerken oder auch Langstreckenverbindungen zwischen den Neuronen in unterschiedlichen Hirnteilen zu zerstören", sagt Deisseroth.

Tarnkappe. Nach nur zwei Tagen ist das Mäusehirn für das menschliche Auge kaum noch sichtbar. Unter dem Mikroskop ist nun der Blick tief ins Innere des Hirns möglich.
Tarnkappe. Nach nur zwei Tagen ist das Mäusehirn für das menschliche Auge kaum noch sichtbar. Unter dem Mikroskop ist nun der Blick tief ins Innere des Hirns möglich.
© Karl Deisseroth, Kwanghun Chung

Unterschiedliche Zelltypen oder Strukturen innerhalb der Zellen können unterschiedlich angefärbt werden. Sobald sie angeleuchtet werden, strahlen sie in unterschiedlichen Neonfarben. Später kann man die färbenden Moleküle wieder auswaschen, denn ein anderer Forscher interessiert sich möglicherweise für etwas völlig anderes.

Offene Fragen gibt es genug. Man braucht nicht zu fernen Sternen reisen, um unbekannte Universen zu erkunden. Der Blick ins Gehirn tut es auch.

Jana Schlütter

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