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Im Internet bleibt der Therapeut unsichtbar - das kann es Ratsuchenden erleichtern, Hilfe anzunehmen.
© picture-alliance/ gms

Therapie am Computer: Immer mehr Menschen werden Online behandelt

Drogensucht, Depressionen - wer psychologischen Rat sucht, kann sich immer öfter auch im Internet helfen lassen. Ein Vorteil für manche Menschen ist dabei die größere Anonymität.

„Es huschen auch viele bei uns rein, die nur mal gucken wollen“, erzählt Peter Tossmann. Kein Wunder. „Quit the Shit“ ist schließlich keine Beratungsstelle, an deren Tür man klingeln müsste, es ist eine Anlaufstelle im Netz. Wer die Seite aufruft, sucht trotzdem wahrscheinlich nach Hilfe. Er oder sie will etwas gegen den Cannabis-Konsum unternehmen, der den Alltag beeinträchtigt.

Wie der 28-Jährige, der zuletzt jeden Tag kiffte, meist 20 bis 25 Gramm. Auf der Skala für Cannabis-Abhängigkeit hat er 13 von 15 Punkten. Er ist schwer abhängig. Bisher hat er keine Hilfe in Anspruch genommen. Das Web-Angebot aber konnte er annehmen. Nach der Registrierung, mit einer anonymen E-Mail-Adresse, hat er einen Termin für das 50-minütige Online-Chat-Gespräch mit den Beratern ausgemacht. Es folgten sieben Wochen, in denen er am Rechner Tagebuch über seinen Konsum führte. Jede Woche bekam er dazu eine Rückmeldung vom Beraterteam, am Schluss gab es noch ein Abschlussgespräch im Chat.

Wer Vorbehalte gegen eine Therapie hat, legt sie online leichter ab

Tossmann ist Psychotherapeut und Geschäftsführer der Delphi-Gesellschaft, die das Programm „Quit the Shit“ zusammen mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung seit 2004 anbietet. In einer Studie hat sich inzwischen gezeigt, dass die Teilnehmer ihren Konsum von durchschnittlich 24,9 auf zwölf Tage im Monat reduzieren konnten. Sie schnitten damit deutlich besser ab als eine Kontrollgruppe ohne Psychotherapie. „Wir erreichen mit dem Programm eine Personengruppe, an die wir sonst nicht herankommen würden, weil sie große Vorbehalte gegenüber Beratung und Therapie hat“, berichtete Tossmann auf einer Veranstaltung der Psychotherapeutenkammer Berlin zum Thema „Psychotherapie online: ein Konzept der Zukunft?“.

90 Prozent der Internetnutzer betrachten das Netz als gute Quelle für gesundheitsbezogene Informationen, 26 Prozent haben dort schon wegen psychischer Probleme nach Hilfe gesucht. Das hat eine repräsentative Befragung von 2411 im Schnitt 51 Jahre alten Bundesbürgern ergeben, die die Psychologin Christiane Eichenberg von der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien anstellte. Es liegt also nahe, die neuen Medien gezielt für die Beratung und auch für die Therapie bei seelischen Leiden zu nutzen. In den Niederlanden, in Schweden und im dünn besiedelten Australien sind solche Therapien schon Teil des Versorgungssystems.

Von Online-Psychotherapie im engeren Sinn kann dabei nur die Rede sein, wenn ein Programm komplett im Netz absolviert und von einem Psychotherapeuten begleitet wird. Kontrollierte Studien, in denen solche echten Online-Therapien mit herkömmlichen, gleich langen und gleich intensiven „Von Angesicht zu Angesicht“-Psychotherapien verglichen wurden, hätten keine Unterschiede in der Wirksamkeit gezeigt, sagte auf der Tagung Christine Knaevelsrud von der Freien Universität Berlin. Sie widmet sich seit Jahren Online-Behandlungen.

Eines der Projekte war das „Lebenstagebuch“, in dem alte Menschen weit zurückliegende Traumatisierungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs aufarbeiteten, ein anderes das im Irak laufende Online-Therapieprogramm für Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die wissenschaftliche Leiterin des Berliner Behandlungszentrums für Folteropfer nannte als Vorteile neben der zeitlichen Flexibilität, der leichteren Verfügbarkeit und der aktiveren Einbindung der Teilnehmer noch einen weiteren Punkt: „Für viele Teilnehmer ist es wichtig, in der Scham niemandem ins Gesicht sehen zu müssen.“

Dass es hilfreich sein kann, auf diese Art überhaupt einen Kontakt zu psychisch Erkrankten herzustellen, dass es auch gut ist, wenn die Behandlungsmöglichkeiten ergänzt und erweitert werden, findet man auch bei der Psychotherapeutenkammer Berlin. „Man muss jedoch bedenken, dass in der Unmittelbarkeit des gesprochenen Wortes die Beziehungssituation anders ist“, gab Kammerpräsident Michael Krenz zu bedenken. Dass nonverbale Signale fehlen, wenn Psychotherapeuten mit ihren Patienten chatten oder im zeitlichen Abstand längere Textbotschaften austauschen, empfindet auch Christine Knaevelsrud als Nachteil. Krisensituationen zu erkennen und schnell auf sie zu reagieren, sei in einer Schreibtherapie schwieriger.

Regelmäßige SMS helfen magersüchtigen Frauen, nicht rückfällig zu werden

In das Programm „Depressions-Coach“, das die Forscherin zusammen mit der Techniker-Krankenkasse testet, werden bewusst nur Versicherte mit leichteren Formen einer Depression aufgenommen. Zudem sei genau festgelegt, wie bei Warnzeichen vorzugehen ist, die auf eine Verschlechterung des Befindens hindeuten, berichtete Knaevelsud.

Stephanie Bauer, Leiterin der Forschungsstelle für Psychotherapie an der Uniklinik in Heidelberg, sieht die neuen Medien auch als mögliche Brücke zu den Patienten, die sich sonst nach einem Klinikaufenthalt selbst überlassen wären. In Zusammenarbeit mit der AHG Psychosomatischen Klinik in Bad Pyrmont hat sie die Wirkung einer solchen Brücke untersucht. 165 junge Frauen, die wegen einer Essstörung in stationärer Behandlung waren, wurden danach für einige Wochen regelmäßig von Psychotherapeuten per SMS kontaktiert. Die Ex-Patientinnen sollten berichten, wie sie sich fühlten und wie sich ihr Essverhalten entwickelte, sie bekamen Feedback und wurden an die Strategien erinnert, die sie in der Klinik erlernt hatten.

Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die keine Textbotschaften bekommen hatte, waren sie einige Monate später deutlich gesünder. „Einmal in der Woche einen Bericht abzugeben, zu sehen, wo man steht, und eine Rückmeldung zu bekommen, ist ausgesprochen hilfreich“, folgerte Stephanie Bauer. Sie sieht dieses Angebot nicht als Konkurrenz zu einer ambulanten Psychotherapie.

Kein Zweifel, die neuen Medien bieten auch für die umfassende Betreuung von Menschen in psychischen Krisen und mit seelischen Erkrankungen neue Optionen. Allerdings wachsen mit den Schreibtherapien und Chats auch die Anforderungen an den Datenschutz. Und weil Texte, ob nun online oder offline versendet, nicht so flüchtig sind wie das gesprochene Wort, sollten Psychotherapeuten hier ihre Worte noch sorgfältiger wählen.

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