South West Coast Path: Immer am Meer entlang
Rund tausend Kilometer führt er durch England, der legendäre South West Coast Path. Wie man ihn Stück für Stück erobern kann.
Was scharrt da auf der Treppe, wo es doch sonst so ruhig im Haus ist? Hatte die Landlady vorhin beim Tee nicht von einem kleinen Mädchen erzählt, das hier vor hundert Jahren wohnte und nun spukt? Huuh. Wer in Cornwall unterwegs ist, hört viel von Seelen, die nicht ruhen, von Sagen und Legenden, von verschwundenen Schiffen, von König Artur und seiner Tafelrunde. Auch im viktorianischen „Moor House“, einem Bed & Breakfast in Portreath, soll es also ein Gespenst geben. Die Landlady sagt, sie sei dem Mädchen meistens tagsüber begegnet. Sie habe eben ein Gespür fürs Übersinnliche.
Ganz irdisch spüre ich etwas anderes: die Blase am rechten Fuß. Sechs Stunden sind wir, zwei Frauen Anfang vierzig, an diesem Mittwoch im August gewandert, 20 Kilometer weit und 750 Meter in die Höhe, der Wind riss und zurrte an uns, ein paar Mal mussten wir über Felsen kraxeln. Wir sind unterwegs auf dem South West Coast Path in England. Gespenst hin oder her, jetzt brauchen wir eine Dusche und Heftpflaster.
Der South West Coast Path ist der Pfad der Pfade in England. Er beginnt an der Westküste in Minehead, im Exmoor in Sommerset, etwa 60 Kilometer südlich von Bristol. Er folgt der Westküste über Devon hinunter nach Cornwall, er windet sich um Land’s End herum und setzt sich an der Südküste fort, bis er nach 1000 Kilometern in der Nähe von Bournemouth endet. Vor Jahrhunderten war es ein Trampelpfad, heute ist es ein gepflegter, gut ausgeschilderter Weg. Dass es so bleibt, darum kümmert sich die South West Coast Path Association. Es gibt Karten, die den Weg detailliert beschreiben, Abhandlungen, die ihn historisieren und psychologisieren, und ein sehr nützliches Buch vom Coast-Path-Experten Paddy Dillon, der die 1000 Kilometer in Tagesetappen von 15 bis 25 Kilometern eingeteilt hat.
Auf dem Pfad geht es hoch und runter, über Steine, Felsen und moorigen Untergrund, der die Füße federn lässt, es geht über Wiesen und Felder, immer am Meer entlang; oft ist der Weg nur hüftschmal, dann wieder so breit, dass zwei Menschen bequem nebeneinander gehen können. Für englische Wanderer ist der Coast Path ein Must. Manche nehmen sich dafür zwei Monate frei, andere beginnen ihn als Jugendliche, wandern weiter, wann immer es das Leben zulässt, und erreichen als Rentner das Ziel; wiederum andere suchen sich die schönsten Stellen für Wochenendausflüge und Kurzurlaube aus.
Wir schnürten vor drei Jahren in Minehead zum ersten Mal die Wanderschuhe. Am ersten Tag spazierten wir über violett und rosa leuchtende Hügel voller Heidekraut und durch Dörfchen mit jahrhundertealten Steinhäusern, in deren Gärten Rosen, Hortensien und Dahlien wuchern. In den Häfen lagen Fischkutter im Modder, weil ihnen die Ebbe das Wasser entzogen hatte. Die zweite Etappe führte durch Märchenwälder mit riesigen Rhododendronbüschen, über Wiesen und Felder und mitten durch Bauerngehöfte. Wir kreuzten den Weg von Ponys und Fasanen und konnten gar nicht genug kriegen von den Brombeeren am Wegesrand. Wir vertrödelten die Zeit und unterschätzten die Länge derEtappe, weil wir noch nicht ahnten, wie anstrengend es ist, Klippen hoch und runter zu gehen. Kurz vor Sonnenuntergang kamen wir völlig erschöpft in unserem Quartier an.
Zu Hause am Schreibtisch hatten wir geplant, nur einzelne Abschnitte des Weges zu erwandern, dann den Bus zu nehmen und im südlichen Cornwall weiterzulaufen. Doch Coast-Path-Experte Paddy Dillon schwärmte in seinem Reiseführer von „dramatischen Ausblicken“ über steile Abgründe, von einsamen Buchten und malerischen Flusstälern. Sollten wir uns die entgehen lassen? Wir wanderten weiter. Die Welt zu Hause, Pläne, Theorien hatten wir sowieso längst hinter uns gelassen wie das Parfüm, für das kein Platz im Rucksack war. Morgens loszulaufen, sich auf das Gurgeln, Zischen und Krachen der Wellen zu konzentrieren, auf die Felsen, die ein Riese vor die Küste geschleudert haben muss, auf Sonne und Wolken, das macht den Kopf schnell frei. Nach ein paar Tagen weiß man auch, dass Möwen nicht nur einfach schreien, sondern heulen, bellen, gurren und sogar singen können.
In diesem Sommer haben wir dort weitergemacht, wo wir vor drei Jahren aufgehört haben, an der Westküste in Cornwall. Wo ein Strand, eine Bucht besonders schön ist, werfen wir den Rucksack ab und springen ins Wasser. Wenn man schwitzt, sind selbst 15 Grad Wassertemperatur für kurze Zeit auszuhalten. Abends kommen wir müde in einem B & B an, duschen, setzen uns zum Sonnenuntergang an den Hafen, trinken Bier oder Cider im Pub, essen Fish ’n’ Chips, Curry oder Lauchsuppe – und sinken glücklich ins Bett.
Unsere Entscheidung, den Coast Path einfach stur weiterzugehen, wird reichlich belohnt. Denn jeder Tag ist anders. An der nördlichen Westküste in Devon war es rauer, steiler und einsamer, in Cornwall ist es in großen Teilen lieblicher, auch touristischer, Dörfer bestehen manchmal vor allem aus Ferienbungalows. Kaum ist man um Land’s End herum, wachsen Palmen, Farn- und riesige Fuchsienbüsche säumen den Weg, das Meer schwappt träge an den Strand. Geblieben sind die häufigen Wetterwechsel. An diesem Mittwochmorgen wandern wir bei 23 Grad und blauem Himmel los, eine halbe Stunde später wird es so neblig, dass wir keine zwanzig Meter weit sehen können. Ab und zu tauchen abgebrochene Türme und Ruinen verlassener Zinnminen aus dem Dunst auf, aber auch über Kobolde und Feen hätten wir uns nicht gewundert.
So unterschiedlich wie Landschaft und Wetter ist auch die Qualität der Unterkünfte. So kann man für 35 Pfund (etwa 42 Euro) pro Person in muffige, umfunktionierte Kinderzimmer geraten oder auch in großzügige, mit Geschmack eingerichtete Suiten mit eigenem Bad, Terrasse und Meerblick. Aber selbst wenn sich die Wahl als Fehlgriff erweist – im Juli, August und September ist eine Reservierung empfehlenswert – es ist doch nur für eine Nacht, am nächsten Tag kann man weitergehen. Außerdem gibt es immer ein „Full English Breakfast“, oft vom Hausherrn persönlich zubereitet, mit Eiern und Speck, gedünsteten Tomaten, Pilzen und Bohnen, Toast und Cornflakes. Empfehlenswert sind auch die Jugendherbergen. Sie sind billiger und liegen oft oben auf den Klippen mit dem schönsten Blick.
Während wir beim ersten Mal noch Brot, Würste und Äpfel von zu Hause mitschleppten, überwiegt diesmal die Sehnsucht nach einem leichten Rucksack. Acht Kilo inklusive einem Liter Wasser ist das Maximum. Zwei Hosen, ein paar T-Shirts, Pulli, Regenhose und Regenjacke – reduziert zu sein auf das Nötigste, auch das gehört zum befreienden Urlaubsgefühl. Manchmal treffen wir andere Wanderer, Engländer, Australier, ein Pärchen aus Dänemark plagt sich mit einem schweren Zelt. Man spricht über Höhenmeter und Wetterprognosen und erfährt, wie weit es ist bis zum nächsten Café. Wir erfahren, dass der South West Coast Path früher weniger der Freizeit diente, hier hetzten Schmuggler entlang, die Küstenwache fahndete nach Schnaps, während des Zweiten Weltkriegs trainierten englische und amerikanische Soldaten hier für den D-Day, die Invasion in der Normandie.
Nachdem wir in Cornwall immer wieder an Turmruinen vorbeigekommen sind, ist die Neugier so gewachsen, dass wir einen halben Tag in einem Bergwerksmuseum verbringen, obwohl wir uns zuvor nie für den Abbau von Zinn interessiert hatten. An einem anderen Tag begeistern wir uns für die Geschichte der Telegrafie, da hier in einem Dorf in Cornwall die ersten Kabel ins Meer verlegt wurden. Nur Gespenster sind uns noch nicht begegnet. Aber wer weiß. 500 Kilometer liegen noch vor uns.
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ANREISE
Von Berlin-Schönefeld mit Easyjet nach Bristol. Von dort mit Bus oder Bahn mühelos zu einem der Orte am Trail.
UNTERKUNFT
In den meisten Dörfern gibt es zumindest ein Bed & Breakfast. Preise zwischen 30 und 60 Euro pro Person pro Nacht. Besonders gut gefallen hat es uns in Clovelly (Devon) bei Chris West (Telefonnummer: 00 44 / 12 37 / 43 16 68), 35 Euro pro Person.
In Port Isaac (nördliches Cornwall) bei Marion Andrews, Haus Hathaway (Telefonnummer: 00 44 / 12 08 / 88 04 16), 40 bis 50 Euro pro Person.
In St. Ives (westliches Cornwall) im Atlantic View Guesthouse (Telefonnummer: 00 44 / 17 36 / 79 88 75), 43 Euro pro Person
und in Trewellard (westliches Cornwall) im Field House (Telefon: 00 44 / 17 36 / 78 80 97), 40 Euro pro Person.
Bei Porthleven (Südküste) empfiehlt sich das Beacon Crag, Tel.: 00 44 / 13 26 / 57 36 90), 40 bis 60 Euro pro Person.
LITERATUR
Hilfreich ist der Wanderführer von Paddy Dillon „The South West Coast Path“, der die 1000 Kilometer in Tagestouren unterteilt und detaillierte Beschreibungen (auf Englisch) liefert. Dazu der „Annual Guide“ der South West Coast Path Association, der den Pfad in noch kleinere Etappen stückelt und zu jedem Ort Unterkünfte beschreibt. Auch auf Deutsch bestellbar für rund 15 Euro bei der South West Coast Path Association (www.southwestcoastpath.com). Hier gibt es auch detailliertes Kartenmaterial.
AUSKUNFT
www.cornwall-devon.de