Die FU vor der Präsidentenwahl: Im Zug nach Berlin
Tanja Brühl, Vizepräsidentin der Uni Frankfurt, will FU-Präsidentin werden – und kommt gut an. Das bringt den Wahlkampf in Schwung
Noch nie hat die FU einen externen Kandidaten an ihre Spitze gewählt. Eine Präsidentin hatte sie in 70 Jahren auch noch nicht. Sollte es diesmal etwa anders kommen? Tanja Brühl, Vizepräsidentin der Universität Frankfurt, bringt den Wahlkampf um das Präsident(innen)amt der FU offenbar in Schwung. Viel Gutes ist aus dem Wahlgremium, dem Akademischen Senat, über sie zu hören. So viel Gutes, dass hier und da bereits Nervosität spürbar ist: Könnte es am Ende etwa sein, dass Brühl den von der größten Professorenliste aufgestellten Spitzenmathematiker Günter M. Ziegler ernsthaft in Bedrängnis bringt? „Das Rennen ist inzwischen offener geworden“, sagt einer, der die FU sehr gut kennt. „Für Ziegler wird es kein Homerun.“
Tanja Brühl wirkt an jenem sonnigen Apriltag bei ihrem Besuch im Redaktionsgebäude des Tagesspiegels zunächst etwas außer Atem. Sie kommt direkt von einer Konferenz an der Friedrichstraße, es ist das 50. Kolloquium der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung, die S-Bahn hat sich verspätet. Brühl ist Politologin, „der tollste Job der Welt“, wie sie sogleich lebhaft erzählt.
Von Brühls Freude an der Wissenschaft kündet nicht zuletzt ihre lange Publikationsliste. Darunter sind viele Beiträge zur internationalen Umweltpolitik sowie zur Rolle der Uno: „Die Uno und Global Governance“, heißt etwa der Titel ihrer jüngsten Monografie. „Der Krieg in Syrien belastet und beschäftigt mich“, sagt Brühl. „Eigentlich wäre ich jetzt in New York bei der UN und würde Hintergrundgespräche führen, um die Puzzlestücke zusammenzusetzen.“
Als Vizepräsidentin an der Goethe-Uni verbucht sie für sich Erfolgserlebnisse
Wenn da nicht die FU-Wahlen wären. Um sich vorzubereiten, liest Brühl sich im Internet so gut es geht in die FU ein und trifft sich mit den Gruppen im AS: „Aus der Lehrveranstaltung heraus hüpfe ich momentan wöchentlich in den Zug nach Berlin“, sagt die 48-Jährige. „Das geht alles.“ Wenig Freizeit ist sie sowieso gewöhnt. Wenn sie die Arbeit doch einmal unterbricht, dann, um sich draußen „auszutoben“, wie sie sagt, mit ihrem Mann und ihrem 15-jährigen Sohn Ski zu fahren, Tennis zu spielen, zu wandern oder es noch mal mit dem Surfen zu versuchen.
Dass Brühl trotz aller Leidenschaft für die Wissenschaft jetzt lieber FU-Präsidentin werden will, beschreibt sie als Effekt ihrer Erfolgserlebnisse als Vizepräsidentin für Lehre an der Goethe-Universität, ein Amt, das sie seit über fünf Jahren inne hat. „Prozesse gestalten, Menschen mitnehmen, gemeinsam die Zukunft gestalten, das liegt mir“, sagt sie.
Zuerst habe sie skeptische Blicke geerntet, als sie an der Uni Frankfurt ein für alle Fächer übergreifendes Lehrkonzept entwickeln wollte. Doch es gelang. Der Uni-Senat stimmte zu, und Brühl ist sicher, dass sich in der Lehre nun etwas bewegt. „Wir wollen keine pure Ausbildung“, sagt sie. „Wir wollen Bildung und Kompetenzerwerb ermöglichen.“ Ihr Konzept verlangt den Fachbereichen Ideen dafür ab, wie forschendes Lernen auch noch mit 60 Seminarteilnehmern möglich ist. Akkreditiert die Uni einzelne Studiengänge neu, ist das seitdem die Messlatte.
Mit Studierenden übt sie Verhandlungstechniken
Brühl hat die Lehre nie verachtet. Als Studentin wollte sie zuerst Lehrerin werden, studierte in Frankfurt Biologie und Sozialkunde. Als Professorin an der Uni Frankfurt bekam sie 2008 den Preis für exzellente Lehre und 2009 den mit 150.000 Euro dotierten „Hessischen Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre“ mit ihrem Projekt „Uni goes Uno“. Zur Vorbereitung für die UN-Model-Konferenzen, bei denen Studierende in New York als Repräsentanten von Staaten auftreten, übt Brühl mit ihnen Verhandlungstechniken und Präsentationen in Englisch. Besonders gerne erinnert sie sich an eine Studentin, die bei ihrer Bewerbung um Teilnahme mit zitternden Händen und ohne Augenkontakt vom Blatt ablas und nur ein halbes Jahr später vor der Generalversammlung eine freie Rede hielt.
Brühl versteht es selbst, sich gut zu präsentieren. Drei Bewerber für das Präsidentenamt hatte der Akademische Senat der FU im Februar zum Vortrag in den Henry-Ford-Bau eingeladen: Die Nominierung des internen Kandidaten Ziegler galt schon vorher als sicher. Die der von außen kommenden Bewerber keineswegs. Brühls Mitbewerber Jan Palmowski ließ der Akademische Senat denn auch durchfallen, wohl, weil der Historiker den Eindruck eines hölzernen Bürokraten vermittelt hatte. Brühl hingegen punktete nicht nur mit ihrem Bild von der FU, sondern auch mit souveräner Freundlichkeit, die sie auch dann noch beibehielt, als der herannahende Protestzug der im Tarifstreit befindlichen FU-Studierenden lautstark ihren Vortrag zu überlagern begann.
"Die FU ist eine sehr dynamische Uni", sagt Brühl
Konflikte stören die Konfliktforscherin nicht, sie interessieren sie: „Hauptsache keine Gewalt“, sagt Brühl. „Mit friedlichen Protesten habe ich kein Problem.“ Denkbar, dass es ihr als FU-Präsidentin gelingen würde, die traditionellen Verhärtungen zwischen dem Präsidium und linken Studierendenvertretern aufzulösen.
Die FU ist für Brühl nicht irgendein Karrieresprungbrett. Sie kennt die Uni aus dem Semester 2006/2007, als sie die Professur ihres Kollegen Thomas Risse am Otto-Suhr-Institut vertrat. „Ich habe mich an der FU und in Berlin sehr wohl- gefühlt“, sagt sie. Die FU sei eine mit ihrem Fächerspektrum „sehr breit aufgestellte Uni“, auch eine „sehr dynamische Uni“ und sicher „ähnlich diskussionsfreudig wie die Goethe-Universität“. Für letztere Bemerkung bekam Brühl bei ihrer Vorstellung im FU-Kuratorium Lacher.
Brühls Uni, die Goethe-Universität, wird es im Sommer 2019 nicht in den illustren Kreis der Exzellenzunis schaffen. Das steht schon jetzt fest, denn dafür muss eine Uni vorher zwei Cluster durchs Ziel bringen. Die Goethe-Universität brachte aber nur einen ihrer acht beantragten Cluster in die Endrunde. „Das war ein riesiger Schock für uns“, sagt Brühl. Die Uni ist dabei, nach den Ursachen zu forschen.
Durch den Exzellenzwettbewerb fallen: Das kann sich die FU, die mit HU und TU im Verbund antritt, unter keinen Umständen leisten. Schlimmer als die finanzielle Lücke wäre der Imageverlust für die gesamte Berliner Wissenschaft. „Die Exzellenzinitiative ist eine große Herausforderung“, sagt Brühl denn auch. „Ich habe deshalb bei meiner Bewerbung an die FU innegehalten und mich gefragt: Ist es möglich, am Tag nach der Wahl sofort mit dem Schreiben des Verbundantrags zu beginnen?“. Brühl kam zu dem Schluss, dass das sehr wohl möglich sei. Schließlich müsse die FU-Präsidentin das Papier ja nicht „im stillen Kämmerlein“ verfassen, sondern werde dabei sicher die Expertise von Arbeitsgruppen und Experten einbinden können.
„Ich nehme meine Bewerbung an der FU sehr ernst“, sagt Brühl. „Ich würde mir sehr wünschen, dass das klappt.“ Glaubt sie selbst, dass es klappt? „Ich hoffe, dass die FU diejenige Person wählt, die sie am besten in die Zukunft führt“, sagt Brühl. Und sollte sie gegen Ziegler unterliegen: Die FU würde sie bestimmt in guter Erinnerung behalten.