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Lehrkräfte und Schulkinder in Sportbekleidung sitzen in einer Turnhalle in einem Kreis und sprechen miteinander. Ein Kind sitzt im Rollstuhl.
© dpa

Inklusion: Im Team unterrichten, auch wenn es schwer ist

Inklusion in der Schule braucht viele kompetente Kräfte. Doch zur optimalen Zusammensetzung und Qualifizierung der Teams führen viele Wege. Ein Gastbeitrag.

Die Inklusions-Debatte ist oft so schwierig, weil verschiedene Diskussionsebenen durcheinandergehen: die Forderung nach mehr Unterstützung im Unterrichtsalltag und die Überlegung, welche besonderen Kompetenzen in spezifischen Situationen hilfreich sind. Sicher: Die Mitarbeit eines Studenten, einer Lesepatin oder einer persönlichen Assistenz können die Lehrperson entlasten und den Unterricht bereichern. Aber die Anleitung der Neulinge und die Abstimmung der Rollen sind oft aufwendig – und bei fünf oder mehr wechselnden Erwachsenen oft auch für die Kinder nicht einfach. Insofern gilt schon nicht „je mehr, desto besser“.

Da erscheint die immer wieder eingeklagte „Doppelbesetzung“ attraktiver. Aber auch sie hat oft ihre Tücken, etwa wenn die Kolleg*innen persönlich nicht auf einer Wellenlänge sind oder wenn ihre Rollenvorstellungen, pädagogischen Ansprüche oder fachdidaktischen Ansätze in Konflikt miteinander geraten: offener Unterricht versus kleinschrittiger Lehrgang.

Viele Gründe, um die Kooperation im Team nicht missen zu wollen

Heute ist viel von „multiprofessionellen Teams“ die Rede. Aber müssen es wirklich immer unterschiedliche Professionen sein, damit die Zusammenarbeit für die Kinder ertragreich wird? Komplementarität kann in verschiedener Hinsicht produktiv sein und ermöglicht immer einen unterschiedlichen Blick auf die Kinder. Erfahrene Kollegin und engagierter Berufsanfänger; sprachlicher oder musisch-ästhetischer Schwerpunkt einerseits, mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen andererseits; Wechsel zwischen Beobachten und Handeln – es gibt viele Gründe, warum Kolleg*innen die Zusammenarbeit im Team nicht mehr missen wollen. Dabei kann auch die Herkunft aus einer anderen Profession hilfreich sein, etwa wenn eine Kollegin besondere Erfahrungen in der individuellen Förderung bei Beeinträchtigungen mitbringt.

Aber braucht die inklusive Schule generell „sonderpädagogische Kompetenz“, wie man immer wieder lesen kann? Ja, ist dieser Satz nicht schon ein Widerspruch in sich? Dass es „die“ sonderpädagogische Kompetenz nicht gibt, wird schon deutlich, wenn eine Lehrerin mit dem Schwerpunkt „geistige Behinderung“ bei Verhaltensauffälligkeiten genauso überlegen und probieren muss wie ihr Grundschulkollege oder wenn der Sprachheilpädagoge einem Kind mit Problemen bei der Mengen-Erfassung nicht besser helfen kann als die Grundschullehrerin mit den Fächern Deutsch und Sachunterricht.

Sind Grundschullehrkräfte die mit dem "Klassenblick"

Zwar heißt es oft: Grundschullehrer*innen haben einen „Klassen“-Blick, Sonderpädagog*innen sehen das einzelne Kind. Aber sind nicht gerade viele Grundschullehrer*innen dabei, ihren Unterricht für individuelle Lernwege zu öffnen? Gleichzeitig gibt es immer wieder Sonderpädagog*innen, die Schüler*innen vorrangig als „geistig behindert“ oder „gehörlos“ wahrnehmen, unabhängig von ihren individuellen Besonderheiten und mit dem Blick auf den „sonderpädagogischen Förderbedarf“. Solche Klassifikationen wiederum führen oft zu einem Defizitblick, der unterfordert oder persönliche Stärken und Ressourcen übersieht.

Auf der anderen Seite gibt es solche Kurzschlüsse auch unter Grundschullehrer*innen. Umgekehrt arbeiten auch viele Sonderpädagog*innen erfolgreich mit gemischten Lerngruppen. Die entscheidenden Haltungs- und Kompetenzunterschiede liegen eben nicht zwischen, sondern in den Professionen – je nach pädagogischem Ansatz und didaktischem Konzept –, etwa bei der Entwicklung einer Kompetenz „im Gebrauch“ oder der Übung isolierter Teilleistungen.

Für eine gemeinsame Ausbildung für alle Lehrkräfte

Umso wichtiger ist der Austausch im Team. Denn im unterschiedlichen Verständnis von Lernschwierigkeiten, ihrer Gründe und dem, was „Förderung“ bedeutet, liegt das eigentliche Problem. Und da haben Aus- und Fortbildung für die inklusive Schule einen erheblichen Klärungsbedarf. Mit einem zusätzlichen Modul „Inklusive Pädagogik“ ist dieser nicht zu befriedigen, wenn sich nicht auch die Fachdidaktiken auf einen produktiven Umgang mit Heterogenität einlassen. Und zwar in einer gemeinsamen Ausbildung aller Lehrkräfte, in deren Rahmen dann vielfältige Spezialisierungen möglich sind. Diese müssen nicht alle in jeder Schule personell repräsentiert sein, sollten aber über Beratungs- und Unterstützungszentren wie in Bremen und Schleswig-Holstein bei Bedarf angefordert werden können.

Allerdings ist diese Unterstützung je nach Situation und persönlicher Kompetenz unterschiedlich zu organisieren: als gemeinsame Leitung der Lerngruppe und mit Zuständigkeit für alle Kinder; als Arbeit mit einzelnen Kindern, die (phasenweise) eine besondere fachliche Unterstützung brauchen, etwa beim Erlernen der Braille-Schrift; oder als Beratung des ganzen Kollegiums, beispielsweise im Umgang mit Kindern, die in und mit der Gruppe nicht klarkommen.

Der Autor war Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität Siegen und ist Fachreferent für Qualitätsentwicklung im Grundschulverband.

Hans Brügelmann

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