Weltbevölkerungskonferenz: "Ich finde den Begriff 'Überbevölkerung' sehr fehlleitend"
Am Dienstag begann in Nairobi der UN-Weltbevölkerungsgipfel. Was bedeutet das zunehmende Bevölkerungswachstum? Ein Interview.
Renate Bähr ist seit 1995 bei der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) tätig, seit 2008 als Geschäftsführerin. Sie berät unter anderem das Entwicklungsministerium.
Frau Bähr, die Weltbevölkerung steigt rasant, 2050 könnte es 10 Milliarden Menschen auf der Welt geben. Was sind die größten Herausforderungen, die damit einhergehen?
Das Bevölkerungswachstum stellt erst einmal für die einzelnen Länder ein großes Hemmnis in der Armutsbekämpfung darf. Ganz einfach gesagt: Wenn es deutlich mehr Kinder gibt, braucht es zum Beispiel auch deutlich mehr Schulen und Lehrer. Doch in Ländern mit besonders starkem Wachstum haben besonders die Gesundheits- und Bildungssysteme bereits jetzt Schwierigkeiten, alle Menschen ausreichend zu versorgen. Deshalb braucht es hier verstärkte Investitionen und Unterstützung.
Das beschreibt zunächst regionale Probleme. Kann man auch global von einer „Überbevölkerung“ sprechen ?
Ich finde den Begriff „Überbevölkerung“ sehr fehlleitend, denn er suggeriert, dass es auf der Welt ein objektives Platzproblem gibt. Es ist aber nicht nur die Frage, wie viele Menschen auf der Erde leben, sondern eben auch wie sie leben. Das heißt, das Problem des Ressourcenverbrauchs liegt heute weniger bei den geburtenstarken Entwicklungsländern, als bei den eher geburtenschwachen Industrieländern.
Wenn es um Klimawandel geht, spielt das Thema Bevölkerungswachstum eher eine untergeordnete Rolle, woran liegt das?
Ich denke ein Grund ist, dass die Antwort auf die Frage nicht so intuitiv ist, wie manche es gerne hätten. Denn während auf die Industrieländer der weitaus größte Anteil am vom Menschen verursachten Klimawandel entfällt, sind die Menschen in armen Ländern einem sehr viel höheren Risiko ausgesetzt, unter den Folgen des Klimawandels zu leiden. Ihnen fehlt es häufig an Mitteln, um Auswirkungen wie Flutkatastrophen, Dürren und sinkende landwirtschaftliche Erträge zu bewältigen.
Muss sich das derzeitige Weltbevölkerungswachstum verlangsamen – oder braucht es einfach Innovationen und Strukturwandel?
Es geht um ein sowohl-als-auch, um eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Um die anstehenden globalen Herausforderungen zu bewältigen, gibt es nicht nur eine Antwort. Sicher ist aber, dass alles unternommen werden muss, damit Frauen eine echte Entscheidungsmöglichkeit über die Zahl ihrer Kinder erhalten. Denn wir wissen, wenn Frauen entscheiden können, bekommen sie weniger Kinder.
Was muss dafür getan werden?
Hierfür muss in Familienplanung, Bildung und in die Stärkung von Frauen zu investiert werden. Nachhaltige Bevölkerungsentwicklung bedeutet eben, dass die freie Entscheidung des Menschen im Mittelpunkt steht – darum geht es mir persönlich, darum ging es bei der Weltbevölkerungskonferenz und darum geht es aktuell bei dem Nairobi Summit.
Der Nairobi Summit ist am Dienstag in Kenias Hauptstadt Nairobi gestartet, tausende Experten aus mehr als 160 Ländern kommen zusammen. Was muss die internationale Staatengemeinschaft tun, um insbesondere die Länder Afrikas zu unterstützen?
Die 179 Staaten haben sich vor 25 Jahren auf ein Aktionsprogramm für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte geeinigt. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht. Noch immer haben mehr als 200 Millionen Frauen nicht die Möglichkeit zu verhüten, obwohl sie das möchten. Dies gilt es in den nächsten Jahren umzusetzen.
Liegt auch eine Chance in einer wachsenden Weltbevölkerung, gibt es positive Aspekte?
Die gibt es mit Sicherheit. Eine junge Bevölkerung ist innovativer, sie entwickelt mehr und birgt viel Potenzial. Der Punkt ist nur: Damit dieses Potenzial auch genutzt werden kann, müssen diese Jugendlichen gesund und gebildet aufwachsen können. Dann entwickelt sich die große Jugendgeneration zu einem enormen Motor für Entwicklung.
Das Interview führte Tilman Schröter.
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