Raumsonde Hayabusa 2: Hüpfemännchen Mascot landet auf Asteroid Ryugu
Landung geglückt: Das Messgerät Mascot ist auf dem Asteroiden Ryugu angekommen. Mascot soll mindestens 16 Stunden lang Daten über Ryugu sammeln.
300 Millionen Kilometer von der Erde entfernt hat sich etwas höchst Außergewöhnliches ereignet: Erstmals in der Geschichte der Raumfahrt ist ein kleiner Roboter nicht nur auf einem Asteroiden gelandet. Im Laufe des Tages wird er sich sogar auf ihm fortbewegen, an verschiedenen Stellen Bilder der Oberfläche schießen und Messungen durchführen, um damit unser Verständnis von der Entstehung der Erde und all der anderen Planeten voranzubringen. Berliner Forscher fiebern mit dem kleinen Kerl namens Mascot mit. Denn sie waren an seinem Bau beteiligt.
In den frühen Morgenstunden näherte sich Mascots Mutterschiff, die japanische Raumsonde Hayabusa 2, dem Asteroiden Ryugu auf 50 Meter an, um das kuriose Manöver zu starten. Schon vor einigen Tagen hatte sie zwei noch kleinere Kameraden Mascots – die Minerva II-Landeeinheiten, die über Kameras und Thermometer verfügen – abgeworfen, um den Vorgang zu testen und erste Bilder und Messungen zu machen. Alles verlief nach Plan.
Und so hat Hayabusa 2 am Mittwoch Mascot, einem in ihr steckenden, etwa schuhkartonförmigen Apparat, einen Schubs hinaus ins All gegeben. Am frühen Morgen deutscher Zeit löste sich Mascot, um wenige Minuten später die Oberfläche des Asteroiden Ryugu zu erreichen. Gegen 8 Uhr deutscher Zeit hatten die Forscher im Kontrollzentrum am Deutschen Raumfahrtzentrum DLR in Köln dann die Bestätigung der Landung.
Auftitschen wie ein Flummi
Trotz der immerhin knapp zehn Kilo, die Mascot auf irdische Waagen bringt, segelt er sanft wie eine Feder auf den rabenschwarzen Asteroiden hinab. Rund eine Viertelstunde dauert es, bis er mit nicht einmal einem Kilometer pro Stunde landet. Denn lediglich die geringe Schwerkraft des rund 900 Meter durchmessenden Ryugu zieht Mascot zu ihm hin; sie ist 60.000 Mal schwächer als die der Erde. Auf Ryugu wiegt Mascot also nicht einmal ein Gramm, und sein Sturz erfolgt quasi in Superzeitlupe.
Auf dem staubigen Gesteinsboden titscht Mascot mehrfach auf wie ein Flummi, bis er endlich zum Liegen kommt. „Darin, dass er vielleicht zu schnell ist und beim Zurückspringen im All verloren geht, liegt eine der größten Gefahren“, sagt Ralf Jaumann, Abteilungsleiter des Instituts für Planetenforschung am Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) in Berlin-Adlershof. Sein Institut hat Mascot zusammen mit den DLR-Standorten Bremen, Oberpfaffenhofen und Braunschweig sowie der französischen Raumfahrtagentur CNES entwickelt.
Was nun folgt, hat es so noch nie gegeben. Zunächst orientiert sich der Roboter mithilfe seiner Sensoren und Kameras. Steht er aufrecht? Wenn nicht, kommt ein raffinierter Mechanismus zum Einsatz: Im Inneren seines Gehäuses aus leichtem, karbonfaserverstärktem Kunststoff trägt Mascot einen motorbetriebenen Schwungarm aus dem Metall Wolfram. Dessen Hand ist relativ schwer. Bewegt Mascot dieses Gewicht nur ganz langsam, verlagert er seinen Schwerpunkt und kann sich aufrichten. Schwingt er es etwas schneller, so hüpft der kastenförmige Roboter regelrecht in die Höhe, dreht sich dabei ein wenig und landet mehrere Meter weiter erst wieder auf dem Boden. Das alles macht er vollautomatisch. Weil Funksignale von der Erde bis zu Ryugu eine gute Viertelstunde bräuchten, wäre der Versuch, das ganze fernzusteuern, sinnlos.
Der Schwungarm bietet also eine kuriose und einfache Art sich fortzubewegen. „Auf Ryugu aber die sinnvollste“, sagt Jaumann. Denn bei dessen geringer Schwerkraft würden Räder oder Ketten, wie sie etwa Mars- oder Mondrover verwenden, nicht funktionieren. Die Traktion und Reibung wäre zu gering, das Gefährt „hätte keinen Grip“ – wie Formel Eins-Experten das nennen.
Darum hüpft Mascot wie ein Frosch durch die Gegend, mit einem Schwung bis zu 70 Meter weit. So kann er Daten von verschiedenen Orten des Asteroiden gewinnen. „Es ist davon auszugehen, dass seine Oberfläche nicht überall gleich aussieht und zusammengesetzt ist“, sagt Jaumann. „Wir wollen uns ein umfassendes Bild machen.“
Datenübermittlung per Funk
Mascot verfügt über vier Instrumente: Eine Weitwinkelkamera macht hochauflösende Fotos von der Landschaft und einzelnen Oberflächenstrukturen wie etwa Felsbrocken. Ein Radiometer misst die Oberflächentemperatur im Wechsel von Tag und Nacht und die thermischen Eigenschaften des Bodens, die viel über seine Zusammensetzung verraten. Ein Tag auf Ryugu dauert siebeneinhalb Stunden, und während bei Sonnenschein bis zu 47 Grad herrschen, fallen die Temperaturen bei Nacht auf bis zu minus 63 Grad. Den mineralogischen Aufbau des Bodenmaterials ermittelt Mascot außerdem mit einem Infrarotspektralmikroskop, und mit einem Magnetometer ermittelt er die Eigenschaften von Ryugus Magnetfeld.
Die Daten übermittelt der Roboter per Funk an Hayabusa 2, die den Bodeneinsatz aus etwa drei Kilometern Höhe überwacht. Für etwa 16 Stunden Arbeit reicht die Energie von Mascots Lithium-Ionen-Batterie, dann fällt die kleine High-Tech-Kiste stumm und bleibt für immer auf Ryugu liegen.
Doch die Mission ist dann noch längst nicht vorbei. Erst jetzt schlägt die große Stunde der Muttersonde. Zunächst steigt Hayabusa 2 in eine Höhe von rund 20 Kilometer und richtet ihre Antennen zur Erde, um Mascots Bilder und Messergebnisse zum Kontrollzentrum in Japan und von dort zu den Projektpartnern in Deutschland und Frankreich zu übertragen. „Bis dahin bekommen wir auf der Erde von Mascot nur rudimentäre Infos über seinen Zustand geschickt“, sagt Jaumann. „Wir wissen also im Laufe des Tages nur, ob es ihm gut geht, erst Tage später bekommen wir die umfangreichen Messdaten und können sie analysieren. Darum ist mit ersten Ergebnissen nicht vor nächster Woche zu rechnen.“
Derweil nimmt Hayabusa 2 weitere tollkühne Manöver in Angriff, die Mascot durch seine Analyse des Bodenmaterials mit vorbereitet: Im Verlauf der nächsten Monate soll sich die Sonde dem Asteroiden mindestens zwei Mal bis auf wenige Meter nähern. Dann senkt sie eine Art Rüssel auf dessen Boden, bei Kontakt feuert sie innerhalb dieses Instruments ein Projektil auf die Oberfläche, um das davon herausgeschleuderte Bodenmaterial einzusaugen wie ein Elefant sein Futter. Das Material verstaut die Sonde in einer keksdosengroßen Kapsel. Ende nächsten Jahres dann wird Hayabusa 2 zur Erde zurückfliegen, jedoch nicht selbst auf ihr landen, sondern nur den Probenbehälter abwerfen. Er besteht aus hitzebeständiger Keramik, so dass er den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre übersteht und laut Plan Ende 2020 in der Wüste Australiens wohlbehalten aufschlägt. Dann wird das Asteroidenmaterial geborgen und in Labors genau untersucht.
"Noch viele Fragen offen"
Hayabusa 2 wird nicht die erste Raumsonde sein, die uns Material von einem Asteroiden bringt. Schon mit der Vorgängerin Hayabusa 1 war das den Japanern 2010 gelungen. Und auch die NASA-Sonde Osiris Rex ist aktuell unterwegs, um Material des Asteroiden Bennu einzusammeln und zur Erde zu bringen. Die Missionen dienen dazu, die Entstehungsgeschichte des Sonnensystems und speziell der Erde besser zu verstehen. „Da sind noch viele Fragen offen“, sagt Jaumann. Vor allem, weil es auf der Erde und anderen Planeten kein Material gebe, das seit den Anfängen des Sonnensystems vor viereinhalb Milliarden Jahren unverändert geblieben wäre. Ursprünglich aus einer Staubscheibe rund um die Sonne entstanden, sind die Planeten so groß geworden, dass sie ihre Substanz stark verändert haben. „Durch ihre starke Gravitation haben sie sich innerlich aufgeheizt und ihr Gestein thermisch umgewandelt“, erklärt Jaumann. „Die kleinen Asteroiden dagegen blieben unverändert.“ Sie können uns also heute noch die Grundbausteine der Planeten zeigen.
Allerdings gibt es verschiedene Klassen von Asteroiden – manche bestehen fast nur aus solidem Metall, andere aus lose zusammenhängendem Staub, fluffig wie Pulverschnee. Neben verschiedenen Gesteinen enthalten viele auch organische Tonminerale und Kohlenwasserstoffe, die schon im Urnebel der Sonne existiert haben müssen. „Vor allem auf diese Substanzen und Hinweise, wie sie das Leben auf der Erde begünstigt haben könnten, sind wir scharf“, sagt Jaumann. „Und wir vermuten sie auch auf Ryugu.“
Jedenfalls brauchen die Forscher für ein klares Bild Material von möglichst vielen verschiedenen Asteroiden. Zumal es da noch eine andere Motivation gibt, sie möglichst gut kennenzulernen: die Möglichkeit, dass ein großes Exemplar auf die Erde stürzen und eine Apokalypse auslösen könnte. Auf diesen Fall bereiten sich die Raumfahrtagenturen weltweit konkret vor, indem sie den Himmel nach Kandidaten absuchen, die den Weg der Erde kreuzen könnten – und Möglichkeiten erforschen, sie von ihrem Kurs abzubringen. Man könnte sie zum Beispiel sanft zur Seite schieben, durch ein gezieltes Projektil leicht abbremsen oder auch regelrecht bombardieren. „Je mehr wir über die Struktur und Zusammensetzung der verschiedenen Asteroiden wissen, desto besser können wir im Notfall Abwehrmaßnahmen planen“, sagt Ralf Jaumann.
In gewisser Hinsicht könnte also der kleine, hüpfende Mascot auch zu einer möglichen Rettung der Menschheit beitragen. Wer hätte ihm das zugetraut?
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