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Vietnam: Humboldt und Ho Chi Minh

Vietnam ist das neue Boomland Asiens. Deutsche Forscher helfen nun, die Universitäten aufzubauen. Die Kontakte reichen bis zur DDR zurück.

Vietnam und Deutschland haben einiges gemeinsam. Fläche und Bevölkerungszahl sind etwa gleich, beiden Staaten gelang nach jahrzehntelanger Teilung die Wiedervereinigung und beide können ein „Wirtschaftswunder“ reklamieren – das deutsche in den 1950er Jahren, das vietnamesische seit 1986. Damals entschloss sich die allein regierende kommunistische Partei zu „Doi Moi“, einem Weg zu sozialistischer Marktwirtschaft. Es folgte ein fulminanter Aufschwung mit jährlichen Wachstumsraten von meist mehr als acht Prozent. So wurde das ehemalige Mangelland zum weltweit zweitgrößten Reis-Exporteur und zudem äußerst attraktiv für Investitionen.

Auch im Bildungswesen holt Vietnam auf. Für Deutschland bieten sich hier interessante Perspektiven, schließlich haben etwa 100 000 Vietnamesen längere Zeit vor allem in der früheren DDR gearbeitet, studiert oder geforscht. In die Heimat zurückgekehrt, haben sie meist wichtige Positionen in Regierung, Unternehmen oder in der Wissenschaft inne.

Schwerpunkt der Zusammenarbeit ist die 2008 in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, gegründete „Vietnamese-German-University“ (VGU), die nach deutschem Vorbild strukturiert ist. Anders als sonst an vietnamesischen Unis üblich, soll an der VGU gemäß dem Humboldtschen Ideal nicht nur gelehrt, sondern auch geforscht werden. Das Studium ist zunächst auf Ingenieur-, Wirtschafts- und Gesundheitswissenschaften konzentriert. Die derzeit 200 Studierenden werden auf Englisch unterrichtet, Deutsch wird studienbegleitend gelehrt. Das Land Hessen und der Bund zahlen in den nächsten Jahren je 1,5 Millionen Euro. Mehr als 30 deutsche Unis unterstützen die VGU.

Doch um Studierende und Wissenschaftler aus Asien wird hart gekämpft. Britische, amerikanische und australische Unis gründen Niederlassungen in Boomländern wie Vietnam. Als jetzt die Humboldt-Stiftung – die große deutschen Austauschorganisationen für Spitzenforscher – zu einer Konferenz mit hundert ehemaligen Stipendiaten aus Südostasien nach Hanoi lud, mahnte Stiftungspräsident Helmut Schwarz, Deutschland dürfe beim Werben um Forscher aus der Region nicht nachlassen. So komme derzeit nur ein Prozent der Humboldt-Stipendiaten aus der Region. Er frage sich, wie Deutschland das Potenzial Südostasiens besser für Forschungskooperationen nutzen könne.

Der Sozialismus steht in Vietnam heute nur mehr auf dem Papier. An die alten Zeiten erinnert noch die vietnamesische Akademie der Wissenschaften. Gut versteckt liegt sie in einer Seitenstraße des Zentrums von Hanoi. Der Lärm der Altstadt mit dem endlosen Strom von Mopeds und das unentwegte Hupen sind hier kaum zu hören. Wie es in sozialistischen Ländern üblich war, ist in der Akademie die Forschung konzentriert. „Wir gliedern uns in 31 Institute mit etwa 3700 Mitarbeitern“, sagt Dung Ngoc Hai, Vizepräsident der Akademie.

Der Strömungsmechaniker steht für jene Forscher, die den Grundstein für ihre Karriere an einer deutschen Forschungseinrichtung gelegt haben – auch wenn er selber nicht in der DDR war. 1990 kam Dung Ngoc Hai mit einem Humboldt-Stipendium für ein Jahr ans Karlsruher Kernforschungszentrum, 1998 folgten weitere fünf Monate. Dort beschäftigte er sich mit Numerischer Simulation und dem Strömungsverhalten von Zwei-Phasen-Flüssigkeiten. „Es war eine sehr gute Erfahrung“, sagt Hai. Noch mehr vietnamesische Studierende und Forscher sollten nach Deutschland gehen, meint er.

In einigen Fächern gehören die Vietnamesen durchaus zur internationalen Spitze, zumindest in der Grundlagenforschung. Stolz verweisen Vietnams Wissenschaftler auf ihren Landsmann Ngô Bao Châu, der derzeit in Chicago forscht. Er gewann im vergangenen Jahr die Fields-Medaille. Die alle vier Jahre durch die Internationale Mathematische Union vergebene Auszeichnung kommt einem Nobelpreis gleich.

Hans Georg Bock, Leiter des Heidelberger Instituts für Wissenschaftliches Rechnen, arbeitet seit 1991 mit Mathematikern aus Hanoi zusammen. Als Bock 1995 erstmals nach Vietnam kam, fand er dort „eine qualitativ extrem hochwertige Mathematik“ vor, wie er erzählt. Allerdings gab es kaum Rechner und kaum Anwendungen. Heute sind Vietnams Mathematiker gut ausgestattet. Das geht nicht zuletzt auf die Initiative des Heidelberger Wissenschaftlers zurück. Mittlerweile gibt es Projekte mit der Industrie, etwa mit Daimler-Benz in Ho-Chi-Minh-Stadt.

Von fruchtbarer Kooperation berichtet auch Chemieprofessor Tran Van Song. Der 62-Jährige hat zu DDR-Zeiten in Halle studiert, promoviert und habilitiert. Später war er zwei Jahre lang Humboldt-Stipendiat in Bonn, seit 30 Jahren forscht er in Hanoi. Sein Institut sei mit modernen Geräten etwa zur Kernresonanz- und Massenspektroskopie das am besten ausgerüstete in Vietnam. Der Chemiker arbeitet seit langem mit dem Pharmakonzern Bayer zusammen. Er durchforstet Vietnams Pflanzenwelt, um bioaktive Stoffe für Medizin und Pflanzenschutz zu finden. Die gefundenen Naturstoffe werden teilweise chemisch modifiziert. So entstanden Wirkstoffe gegen Malaria oder Blattläuse.

Doch trotz des Aufschwungs liegt einiges im Argen. Vietnams Wissenschaftler müssen oft in mehreren Jobs arbeiten. Denn das Gehalt an Instituten und Unis ist gering. 300 Dollar verdiene ein Professor im Monat, sagt Akademie-Vizepräsident Hai. Zusätzliche Einnahmen bringt vor allem die Beratung von Unternehmen. Ein Spagat, der vielen Wissenschaftlern missfällt. Es bleibe keine Zeit fürs Forschen, lautet die Kritik. Zudem biete Vietnams Wirtschaft noch nicht genügend Möglichkeiten für wissenschaftliche Arbeit. Für eigene Entwicklungen fehle die Zeit. Stattdessen würde ausländische Technologie eingekauft. Paul Janositz, Hanoi

Paul Janositz[Hanoi]

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