Naturschutz: Hoffnung für Gänsegeier
Geier sind eine Art Gesundheitspolizei der Natur, die Kadaver verwerten und so für Hygiene sorgen. Doch ausgerechnet die Hygieneverordnung der Europäischen Union schuf ein Problem für die Geier.
Wie ein Segelflugzeug schraubt sich über der Hochebene des Kantabrischen Gebirges in Spanien ein Vogel nach oben. Es dauert nicht lange, bis aus einiger Entfernung ein Begleiter heranschwebt. Die beiden Gänsegeier signalisieren mit ihrem auffälligen Tanz am Himmel allen Artgenossen: „Dort unten liegt ein Kadaver, kommt schnell zum Festessen!“ Heute folgen oft etliche Dutzend Gänsegeier der Einladung zum Leichenschmaus an einem verendeten Pferd.
„Das war noch vor 30 Jahren anders“, erinnert sich Roberto Hartasánchez. 1980 gab es im Kantabrischen Gebirge nur noch 20 Brutpaare der großen Vögel, die mit einer Spannweite von 250 Zentimetern die Maße einer Doppeltür deutlich übertreffen. Ein einziges Küken zogen die Gänsegeier in jenem Jahr dort groß. Vermutlich wären die Aasfresser aus dieser Region verschwunden, wenn nicht Hartasánchez damals die Naturschutzorganisation „Fapas“ gegründet hätte, die sich seither um das Schicksal der Tiere kümmert.
Der Hintergrund des Geiersterbens war klar: „Die Bauern versuchten in Asturien, Wölfe mit Strychnin auszurotten. Oft genug bedienten sich dann auch die Geier an den vergifteten Ködern.“ Auf der Balkanhalbinsel und in anderen Regionen im Süden Europas ist das Gift nach wie vor ein Riesenproblem nicht nur für Wölfe, sondern auch für Gänsegeier.
Im Kantabrischen Gebirge aber konnte „Fapas“ die Situation mit einer Medienkampagne ändern. Die Geier sind eine Art Gesundheitspolizei der Natur, die Kadaver verwerten und so für Hygiene sorgen, erfuhren die Bauern. Der Einsatz von Strychnin wurde verboten und bereits 1983 freute sich Hartasánchez über einen Babyboom bei den Aasfressern: Acht Gänsegeierpaare brüteten damals erfolgreich. Seither geht es mit dem Gänsegeier wieder bergauf, 2010 zählte Fapas im Kantabrischen Gebirge mehr als 300 Brutpaare von Gyps vulvus.
Ausgerechnet die Hygieneverordnung der Europäischen Union schuf dann das nächste Problem für die Geier. Seit der BSE-Krise verbietet die EU Bauern, verendete Nutztiere liegen zu lassen. Seither müssen abgestürzte Kühe und Schafe mit Helikoptern aus entlegenen Tälern geborgen werden. Gleichzeitig fehlt den Geiern das Grundnahrungsmittel, denn in weiten Teilen Europas hängen sie längst von verendeten Nutztieren ab.
Daraufhin schaltete sich die Naturschutzorganisation „Euronatur“ in Radolfzell am Bodensee ein. Mit einer großen Studie konnte sie 2009 der Europäischen Kommission beweisen, dass die Hygieneverordnung in einigen Punkten ohne Risiko für Mensch und Tier gelockert werden kann. „Die Verordnung wurde im Sinne des Artenschutzes überarbeitet“, freut sich „Euronatur“-Geschäftsführer Gabriel Schwaderer, als er im Jahr 2010 im Kantabrischen Gebirge einen Pferdekadaver zeigt, den Fapas-Mitarbeiter in einem umzäunten Gelände ausgelegt haben. Über diesem Festmahl für Aasfresser schrauben sich die Gänsegeier in die Höhe und zeigen so den Artgenossen den Weg zum Futterplatz.
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