Kosmischer Crash: Hochzeit mit der übergewichtigen Nachbarin
Unsere Milchstraße wird dereinst mit Andromeda verschmelzen. Doch jetzt zeigt sich, dass es mit einer anderen Galaxie deutlich früher krachen wird.
Astrophysiker sind eigentlich Historiker. Wann immer sie in den Weltraum schauen, schauen sie in die Vergangenheit. Schon jede Phase einer Sonneneruption, die sie gerade sehen, ist bereits acht Minuten her. Wenn sie eine große Nachbargalaxie unserer Milchstraße beobachten, ist jedes Bild im Teleskop ein 2,5 Millionen Jahre zurückliegendes Ereignis. Selbst Blicke mehr als zehn Milliarden Jahre zurück sind möglich. Astrophysiker sind allerdings auch oft besser als andere Forscher in der Lage, die Zukunft vorherzusagen. Dass jene Nachbargalaxie namens Andromeda ihren Abstand zu unserer dereinst auf null Lichtjahre verringert haben wird, ist eine solche Prognose. Ein kosmischer Crash galaktischen Ausmaßes.
Herrn Hubbles Fernrohr auf dem hohen Berg
Derzeit ist jener „Andromeda-Nebel“ noch ein kaum mit bloßem Auge in klaren Herbst- und Winternächten sichtbares Lichtwölkchen. Vor knapp einem Jahrhundert schenkte dieser diffuse Lichtfleck den Astronomen eine erste Ahnung von den wahren Weiten des Weltalls. Mit dem damals größten Fernrohr der Welt auf dem Mount Wilson in Kalifornien erkannte Edwin Hubble 1923, dass der Andromeda-Nebel aus Hunderten von Milliarden Sternen besteht. Aus der geringen Helligkeit, mit der das Licht dieser Sterne bei uns ankommt, konnte Hubble sogar schon die Entfernung abschätzen, jene schon erwähnten rund 2,5 Millionen Lichtjahre. Bald fand er auch heraus, dass diese Sternwolke nur eine unter vielen ist. Immer mehr ähnliche „Nebel“, über deren Natur die Astronomen schon lange gerätselt hatten, entpuppten sich als Wolken, in denen jeweils Hunderte von Milliarden Sternen leuchten. Heute heißen diese Sternwolken „Galaxien“ – ein aus dem Griechischen abgeleitetes Wort für Milchstraße, denn viele von ihnen ähneln unserer eigenen Milchstraße sehr.
Einer der rund 200 Milliarden Sterne dieser unserer Heimatgalaxie ist die Sonne. Von der Erde aus sind ein paar Tausend Nachbarsterne der Sonne als diejenigen Einzelsterne sichtbar, aus denen schon unsere fernen Vorfahren die auch heute noch bekannten Sternbilder ableiteten. Die meisten ihrer Sterne aber sind so weit entfernt, dass sie zu dem schwach schimmernden Lichtband verschmelzen, das von alters her Milchstraße heißt – mythisch entstanden aus der verspritzten Muttermilch der griechischen Göttin Hera.
Kollisionskurs mit 400.000 km/h
Bereits zu Hubbles Zeiten lasen Astronomen aus dem Licht ferner Galaxien eine weitere erstaunliche Eigenschaft des Kosmos heraus: Die riesigen Abstände zwischen den Galaxien weiten sich immer noch weiter aus. Der Kosmos expandiert. Diese Aufblähung macht sich jedoch nur zwischen weit voneinander entfernten Galaxien deutlich bemerkbar. Innerhalb des im kosmischen Maßstab geringen Abstands zwischen der Milchstraße und der Andromeda-Galaxie überwiegt dagegen die Anziehungskraft zwischen den Sternwolken. Diese Gravitation bindet die benachbarten Galaxien sogar so stark aneinander, dass der Abstand zwischen ihnen schrumpft. Die Andromeda-Galaxie nähert sich uns mit einer Geschwindigkeit von rund 120 Kilometern pro Sekunde beziehungsweise 400 000 Kilometern pro Stunde. Würde der Mond mit dieser Geschwindigkeit auf die Erde zufallen, wäre er in einer Stunde da.
Andromeda braucht aufgrund ihres Abstands deutlich länger. Aber sie kommt. Bis vor Kurzem sagten Berechnungen der Astronomen voraus, dass in etwa vier bis fünf Milliarden Jahren die Vereinigung beider Milchstraßen beginnen würde.
Eine Forschergruppe um Marius Cautun von der Durham University in England hat nun aber berechnet, dass schon lange vorher ein dritter Galaxienpartner in das Geschehen eingreifen und alles verändern wird: die „Große Magellansche Wolke“, abgekürzt GMW. Mit ihren vergleichsweise wenigen 15 Milliarden Sternen ist sie eine Zwerggalaxie. Da sie nur von der südlichen Erdhalbkugel aus zu sehen ist, wurde ihre Existenz in Europa erst aus Reiseberichten über die erste Weltumsegelung von Fernando Magellan am Beginn des 16. Jahrhunderts bekannt. Zurzeit driftet die GMW in einem relativ geringen Abstand von knapp 170 000 Lichtjahren an der Milchstraße vorbei. Ihre zukünftige Bahn wird bestimmt von dem Spiel der Gravitationskräfte zwischen ihren eigenen Sternen und den Sternen der Milchstraße sowie zwischen allen weiteren vorhandenen Materieformen. Bisher hatten die Astronomen angenommen, dass die GMW weiterhin im Bann der Gravitation als Satellitengalaxie die Milchstraße umrunden würde. Aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit wollten sie aber auch die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die GMW früher oder später der Gravitation der Milchstraße entfliehen und ins Weltall hinaustreiben könnte.
Die dunkle Kraft
Doch sie hatten ihre Rechnung ohne die sogenannte „Dunkle Materie“ gemacht. Woraus diese besteht, ist nach wie vor rätselhaft. Bislang zeigt sie sich nur durch ihre Gravitation. Und offenbar mischt sie sich deutlich in das Gravitationsgeschehen in unserer kosmischen Nachbarschaft ein. Denn wie neuere Untersuchungen vermuten lassen, hat die GMW doppelt so viel Dunkle Materie wie bisher angenommen.
Also korrigierten Cautun und seine Mitforscher die Gesamtmasse der GMW entsprechend den neuen Daten und schickten die Zwerggalaxie damit in ihren Computern auf ihre rechnerische Reise um die Milchstraße herum. Heraus kam eine faustdicke Überraschung: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die GMW sich in rund 1,9 Milliarden Jahren wieder der Milchstraße nähern. Dann aber wird sie in einem Abstand von nur noch 40 000 Lichtjahren an ihr vorbeifliegen. Nicht zuletzt durch die wechselwirkende Gravitation ihrer Dunklen Materie mit den Sternen der Milchstraße wird diese Annäherung sie weiter abbremsen. Schon 600 Millionen Jahre später – also von heute aus gesehen in etwa 2,4 Milliarden Jahren – dürfte die GMW deshalb erneut zurückkehren, in die Milchstraße eindringen und mit ihr verschmelzen.
Die wechselwirkenden Gravitationskräfte werden auch die Milchstraße selber etwas aus ihrer ursprünglichen Bahn bringen. Dadurch wird zwar die große kosmische Kollision zwischen Andromeda-Galaxie und Milchstraße vermutlich nicht vermieden werden. Aber sie wird deutlich später beginnen als ursprünglich berechnet. Die Andromeda-Galaxie wird wohl erst in über fünf Milliarden Jahren allmählich in die Nähe unserer Heimatgalaxie geraten und zunehmend größer und heller das Firmament der Erde füllen. Dieses Himmelsschauspiel aber wird kein menschliches Auge mehr sehen können – zumindest nicht von der Erde aus. Denn die Sonne wird sich aufgebläht haben zu einem Roten Riesenstern. Dieser Sternengreis wird dann unseren Heimatplaneten längst aufgeheizt haben zu einer toten Gesteinskugel, auf der alles Wasser verdampft ist.
Exit Sonnensystem?
Schon die Verschmelzung mit der Zwerggalaxie GMW wird aber – sozusagen als kleiner Vorgeschmack auf die große Kollision mit der Andromeda-Galaxie viele Milliarden Jahre später – die Sterne der Milchstraße gehörig durcheinanderwirbeln. Direkte Sternkarambolagen sind zwar kaum zu erwarten. Die Verschmelzung der Sternwolken gleicht vielmehr der Vereinigung zweier Mückenschwärme – wobei der Vergleich etwas hinkt, denn die einzelnen Mücken wären hier nicht Zentimeter, sondern jeweils Hunderte von Kilometern voneinander entfernt. Im Unterschied zu den Mücken wirken aber zwischen Sternen gewaltige Gravitationskräfte. Und wie sich diese Kräfte auswirken, das lassen die Bilder erahnen, die aktuell Galaxien im Zusammenstoß irgendwo in den Tiefen des Weltalls zeigen: Schon lange vor der endgültigen Galaxienverschmelzung werfen die Gravitationskräfte Sterne sowie Gas- und Staubwolken in ihren jeweiligen Heimatgalaxien aus der Bahn und verbiegen und verformen dadurch die Galaxiengestalten insgesamt. Und, nicht konkret vorhergesagt, aber möglich: Vielleicht wird schon bei der kleinen Kollision der Milchstraße mit der Großen Magellanschen Wolke in 2,4 Milliarden Jahren unser Sonnensystem hinausgetrieben aus seiner Heimatgalaxie. Vielleicht wird das irgendjemanden interessieren. Einen Erdbewohner aber sicher nicht. Denn außer vielleicht ein paar Mikroben, die hie und da unterirdisch oder in Seen in großer Höhe noch vor der zunehmenden Sonnenhitze geschützt sind, wird es schon dann hier niemanden mehr geben.