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Blutspur. Kondom geplatzt, ungeschützter One-Night-Stand – gegen die Sorge um eine HIV-Infektion gibt es in Großbritannien und Frankreich Heimtests. Allerdings ist die Methode nicht perfekt. In Deutschland steht eine Zulassung daher noch aus.
© Britta Pedersen/p-a, dpa

Selbstdiagnose: HIV-Test allein zu Haus

Heimtests, die eine HIV-Infektion anzeigen, sind anderswo längst üblich. In Deutschland wird noch diskutiert.

Was sich in dem kleinen Schächtelchen befindet, wirkt fast wie das Test-Kit für einen Schwangerschaftstest. Die illustrierte Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache zeigt, wie einfach sich die Sache handhaben lässt: Mit der Sicherheitslanzette in die Fingerkuppe stechen, einen Tropfen Blut gewinnen und auf das Stäbchen streichen, das anschließend in das Testgerät hineingeschoben wird. Schon nach einer Viertelstunde ist das Ergebnis auf dessen Oberfläche abzulesen. Mit dem „immunchromatografischen“ Verfahren von „autotest VIH“ kann jeder und jede selbst ermitteln, ob sich im eigenen Blut Antikörper gegen das Aidsvirus HIV gebildet haben – ob man HIV-positiv ist.

Bundesgesundheitsministerium prüft Zulassung

Dieses und ähnliche Testkits zur Untersuchung von Blut oder Speichel sind in Frankreich, Großbritannien oder Belgien in der Apotheke ohne ärztliches Rezept käuflich zu erwerben. In Deutschland verbietet heute die Medizinprodukte-Abgabeverordnung, dass sie an Privatpersonen abgegeben werden. Das könnte sich jedoch bald ändern. „Derzeit prüft das Bundesgesundheitsministerium gemeinsam mit den zuständigen Behörden, Fachgesellschaften und Herstellern, ob es gegebenenfalls zu einer Änderung der bestehenden Regelungen kommen sollte“, sagt Doris Berve-Schucht von der Presseabteilung des Ministeriums.

Die Deutsche Aids-Hilfe, noch vor kurzem skeptisch gegenüber Heimtests dieser Art, würde das inzwischen begrüßen. Der Sinneswandel sei einerseits dem medizinischen Fortschritt geschuldet, der immer frühere und bessere medikamentöse Behandlungen ermöglicht hat, andererseits aber auch der technischen Verbesserung der Selbsttests. Das sagt Michael Tappe, der die Debatte vonseiten der Organisation seit Jahren verfolgt. Tappe verweist auf die Erfahrungen in vielen Ländern, die in diesem Punkt schneller waren als Deutschland. „Gerade auch einige afrikanische Länder haben hier ein gutes Beispiel gegeben.“

Diskret und anonym

Der aus Frankreich stammende, für die Selbsttestung entwickelte „autotest VIH“ habe ihn dann vor zwei Jahren überzeugt. „Es gibt mittlerweile sehr zuverlässige HIV-Selbsttests, die auch einfach anzuwenden sind. Man erkennt sie in der Regel am europäischen CE-Prüfsiegel. Sie sind in sehr vielen Ländern erhältlich und werden von vielen Menschen ohne Probleme genutzt.“

Die Heimtests machen es möglich, einen Test sehr diskret und anonym durchzuführen, ohne mit jemandem darüber sprechen zu müssen. „Sie sind also eine bequeme und sichere Alternative für diejenigen, die bisher nicht zum Test gegangen sind.“ Eine Studie von der Universität New South Wales in Sydney, deren Ergebnisse im letzten Jahr im Fachblatt „The Lancet HIV“ publiziert wurden, belegt, dass sie diesen Zweck erfüllen: Untersucht wurden hier homo- und bisexuelle Männer, die Sex ohne Kondom mit wechselnden Partnern hatten, aber bisher nur selten oder noch nie ihren HIV-Status hatten überprüfen lassen. Die (zufällig ausgewählten) Teilnehmer der Gruppe, die vier Test-Kits für zuhause mitgegeben bekam, machten im Untersuchungszeitraum viermal so viele Tests wie die Vergleichsgruppe.

14 Prozent der HIV-Positiven wissen nichts von ihrer Infektion

Ein Ergebnis, das auch für Deutschland relevant ist: Nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts sind hier von den etwa 88.400 HIV-Positiven rund 12.700 Menschen unwissentlich infiziert. Rund 14 Prozent der HIV-Positiven sind also ahnungslos. Sie werden oft erst aufmerksam, wenn sie an Aids erkranken, wenn also aus Infektionen, mit denen ein gesundes Immunsystem spielend fertig wird, schwere Krankheiten werden. Das WHO-Ziel, dass weltweit bis zum Jahr 2020 90 Prozent der Betroffenen von ihrer Infektion wissen sollen, ist also auch in unserem hoch entwickelten Land längst noch nicht erreicht.

„Je früher eine Person von ihrer Infektion weiß, desto besser für sie“, sagt Tappe. „Die Diagnose eröffnet die Möglichkeit, sich behandeln zu lassen, und bietet so die Sicherheit, nicht an Aids zu erkranken.“ Dazu kommt: Wer erfolgreich behandelt wird, kann die Infektion nicht weitergeben und lebt in einer festen Beziehung auch ohne Kondom „safe“. Auch einschlägige medizinische Fachgesellschaften befürworten deshalb die Möglichkeit zum diskreten Selbsttesten. Psychologisch sehen die Experten längst nicht mehr so große Hürden wie früher: „Eine HIV-Diagnose muss heute kein Schock mehr sein, und sie ist es anscheinend immer häufiger auch nicht“, sagt Tappe. Der Umgang mit HIV ist durch die verbesserten Behandlungsmöglichkeiten unverkrampfter geworden – ohne dadurch sorglos zu sein.

Schneller Test, der aber erst drei Monate nach Infektion eindeutig ist

Gänzlich kann einem der Heimtest die Angst vor einer HIV-Infektion ohnehin nicht nehmen. Zwar ist die Methode selbst schnell. Doch sie basiert auf Antikörpern gegen die Viren, die sich in ausreichender, mit diesen Tests nachweisbarer Menge erst Wochen nach der Ansteckung im Blut bilden. Daher gelten die Tests erst drei Monate nach einer möglichen Infektion als aussagekräftig. Ein negativer Test kann in diesem Zeitraum also nicht sicher als Entwarnung interpretiert werden. Dazu kommt, dass HIV-Tests in einigen Fällen zu Unrecht Alarm schlagen. Bei einem positiven Ergebnis muss daher ein Bestätigungstest mit einem anderen Verfahren durchgeführt werden. Beim Labortest geschieht das automatisch mit derselben Blutprobe, die aus der Vene entnommen wurde. Bei den Selbsttests muss man dagegen ein paar Tage Ungewissheit aushalten. Bei den heute in Arztpraxen und Beratungsstellen üblichen Labortests wird neben den Antikörpern auch nach dem vom Virus stammenden Protein p24 gefahndet. Hier ist das Ergebnis bereits sechs Wochen nach einer möglichen Infektion sicher. Beim Verdacht auf eine akute Infektion wird das Virus-Erbgut in einem noch schnelleren aber aufwändigeren Verfahren (PCR) direkt nachgewiesen.

Das letzte Land in der EU?

Sobald die Heimtests in der Apotheke zu haben sein werden, könnten vermehrt Patienten in die Hausarzt-Praxen kommen, die sich schon zuhause selbst getestet haben und nun Beratung und weitere Untersuchungen brauchen. Mit einer Broschüre für Hausärzte will die Deutsche Aids-Hilfe die Mediziner dabei unterstützen, etwa bei ihren Patienten frühe Hinweise für eine mögliche HIV-Infektion zu erkennen und Tests anzubieten. Denn bislang denke der Hausarzt zu selten an eine mögliche Infektion.

Nun fehlt nur noch die Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums, das sich schon unter der vorherigen Regierung mit dem Thema beschäftigt hat. „Aber wie so oft dauern solche Prozesse leider, wenn alles gründlich bedacht wird“, sagt Tappe. „Ich hoffe, dass es bald soweit ist und Deutschland nicht das letzte Land in der EU sein wird, das die HIV-Selbsttests erlaubt.“

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