Erdbeben: Haiti: Unter Spannung
Jahrhundertelang blieb Haitis Hauptstadt Port-au-Prince von schweren Beben verschont. Jetzt erreichten die Erdstöße eine Stärke von 7,0. Warum waren sie so stark?
Gerade die lange Pause seit dem letzten großen Beben hat dazu beigetragen, dass die Erde um Port-au-Prince nun so stark erschüttert wurde. Erdbeben treten häufig an Grenzen von Erdplatten auf, die sich in der Regel nur wenige Zentimeter pro Jahr über den Globus schieben. Die riesigen Gesteinsblöcke verhaken sich oft. An der Plattengrenze stoppt dann die Bewegung, während das Gestein von hinten weiterschiebt. Die Spannung steigt. Ist der Zusammenhalt der Erdschichten gering, können sie dem Druck nicht lange standhalten und reißen bald auf. Die Folge sind relativ schwache Beben. „Unter Port-au-Prince waren die Gesteine offenbar sehr stabil, so dass sie viel Spannung aufnehmen konnten, bevor es zum Bruch kam“, sagt Heiko Woith vom Geoforschungzentrum Potsdam.
1751 hatte es in der Gegend zuletzt ein schweres Beben gegeben. Seitdem ruhte die Plattengrenze und wurde „aufgeladen“, wie es Seismologen nennen. Die jetzt freigesetzte Energie war so groß, dass die Schichten auf einer Länge von rund 100 Kilometern aufrissen und um bis zu zwei Meter gegeneinander versetzt wurden, berichtet Woith. Setzt man diese Daten in eine Formel ein, ergibt sich eine Stärke von etwa 7. Weltweit erreichen pro Jahr ein Dutzend Beben diese Wucht. Die Magnitude 8, bei der noch 30 Mal mehr Energie frei wird, wird im Schnitt einmal jährlich überschritten.
Eine Ursache für die verheerenden Schäden auf Haiti ist, neben dem schlechten Zustand der Gebäude, die geringe Tiefe des Erdbebens von nur 17 Kilometern. In anderen seismisch aktiven Gebieten sind es 100 Kilometer und mehr. Je näher die Oberfläche ist, desto weniger Erdschichten gibt es, die die Wellen des Bebens dämpfen. Umso mehr Bewegungsenergie erreicht Häuser, Straßen oder steile Hänge, die dann abrutschen können.
Nach den heftigen Erschütterungen in Haiti lösten Gerüchte über einen Tsunami neue Ängste aus. „Diese Gefahr ist bei dem beobachteten Erdbebentyp aber gering“, sagt der Geologe Woith. „Die Gesteine wurden horizontal aneinander vorbeigeschoben.“ Damit die gefürchteten Wellen entstehen, muss sich der Meeresboden vertikal bewegen.
Doch den Menschen droht eine andere Gefahr, die Nachbeben. Der Großteil der über Jahrzehnte aufgestauten Energie wurde zwar mit dem Hauptbeben freigesetzt. Das plötzliche Verschieben der Gesteinspakete erhöht aber an anderen Stellen die Spannung. Mehrere Erschütterungen bis Stärke 6 wurden bereits registriert. Es wird Monate dauern, bis sich der Untergrund beruhigt hat.