Medizin: Guter Keim besiegt bösen Keim
Gewöhnungsbedürftig, aber heilsam: Eine Stuhlverpflanzung hilft, gefährlichen Durchfall nach einer Therapie mit Antibiotika zu behandeln und die Darmflora wieder ins Lot zu bringen.
Eine 73-Jährige kommt mit Herzproblemen ins Krankenhaus. Sie erkrankt dort an einer Lungenentzündung und muss mit Antibiotika behandelt werden. Die haben zwar die erwünschte Wirkung, bringen aber das natürliche Gleichgewicht ihrer Darmbakterien durcheinander. Die Folge ist eine Infektion mit dem gefürchteten Keim Clostridium difficile, schlimme Durchfälle und eine Entzündung der Darmschleimhaut, gegen die wiederum nur andere Antibiotika helfen. Zweimal wird sie als geheilt entlassen, bekommt jedoch jedes Mal einen schweren Rückfall und landet prompt wieder in der Klinik, wo die Ärzte das Arsenal der verfügbaren Antibiotika ausreizen.
Eine recht gewöhnliche Geschichte soweit, denn Clostridium difficile ist inzwischen ein häufiger Störenfried im Körper schwerkranker Patienten, lässt sich von Attacken mit verschiedenen Antibiotika nur schwer beeindrucken und kehrt in 30 bis 50 Prozent der Fälle kurz nach der Behandlung zurück. Schätzungen aus den USA gehen davon aus, dass der Problemkeim das Gesundheitssystem dort jährlich mehrere Milliarden Dollar kostet.
Bei der älteren Dame aus Ulm hat die Geschichte jedoch eine Wendung genommen, die bisher noch sehr ungewöhnlich ist. Sie ist eine von weltweit rund 400 Erkrankten, in deren Verdauungstrakt die Darmflora eines anderen Menschen „eingepflanzt“wurde, um ihren Durchfall zu heilen. Sie ist der erste deutsche Fall, über den in einer Fachzeitschrift berichtet wurde.
Der Name des Verfahrens und dessen Beschreibung dürften bei den meisten spontan Widerwillen erregen. Grundlage dieser Stuhl- oder Fäkal-Transplantation ist schließlich die Ausscheidung eines „Spenders“. Sie wird in Kochsalzlösung aufgeschwemmt, mehrfach gefiltert und anschließend in den Verdauungstrakt des Erkrankten verfrachtet. Per Einlauf, mittels eines Koloskops, wie es für die Darmspiegelung üblich ist, oder auch über eine Nasensonde.
Gründliche Teste vor der "Spende"
Das Team um den Infektions-Spezialisten Georg Härter von der Uniklinik in Ulm weiß um den Ekelfaktor, der mit dieser Vorstellung einhergeht, und schlägt im „Deutschen Ärzteblatt“ die Bezeichnung „Bakterientherapie zum Wiederaufbau der physiologischen Darmflora“ vor. Sauber ist sie schon deshalb, weil der Spender, im Ulmer Fall die 25-jährige Enkelin der erkrankten Dame, zuvor ausführlich getestet wird, auf Infektionen wie HIV oder Hepatitis B und C, aber auch auf Wurmeier, Parasiten oder krank machende Bakterien im Darm. Außerdem sollte der Spender in den letzten Jahren keine Antibiotika genommen haben.
Der Patientin aus Ulm hat die Behandlung gutgetan, sie war auch ein halbes Jahr nach der Neubesiedlungs-Aktion ohne Beschwerden. Große Studien fehlen zwar noch, doch ist die Heilung kein Einzelfall. Vor kurzem etwa erschien im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ eine Studie niederländischer Forscher um Els van Nood von der Universität Amsterdam.
Die Wissenschaftler teilten leidgeplagte Opfer einer wiederholt aufflammenden Infektion mit Clostridium difficile nach dem Zufallsprinzip in drei Gruppen auf. Alle wurden vier Tage lang mit dem Antibiotikum Vancomycin behandelt, anschließend bekamen die einen nach einer Darmreinigung durch eine Nasensonde eine Infusion, die Spenderstuhl enthielt, die zweite Gruppe nur das Medikament, die dritte zum Vergleich das Medikament und eine Darmreinigung. 13 der 16 Studienteilnehmer, denen Stuhl transplantiert worden war, hatten auch zehn Wochen später keinen Durchfall und den Problemkeim nicht wieder im Stuhl, bei zwei weiteren klappte es zumindest im zweiten Anlauf, mit der Probe eines anderen Spenders. Nur vier von 13 Patienten, die ausschließlich mit Antibiotika behandelt worden waren und sogar nur drei aus der Gruppe, die zusätzlich eine Darmreinigung bekommen hatte, waren genauso gut dran. Ihnen wurde die Infusionsbehandlung deshalb ebenfalls angeboten.
Nach der Spende lebte sich im Darm der Patienten eine Vielfalt von Bakterien ein, die der von Gesunden vergleichbar war. Charakteristisch war vor allem, dass sich dort die verschiedenen Bacteroides-Spezies vermehrten, die im gesunden Darm die Oberhand haben. Billionen Bakterien tummeln sich dort, eine bis zu zwei Kilogramm schwere Masse, von Wissenschaftlern als Mikrobiom bezeichnet. Versuche, mit der Gabe von Probiotika die „richtigen“ Bakterien zur dauerhaften Ansiedlung zu bewegen und damit den Selektionsvorteil zunichte zu machen, den krank machende Keime durch die Antibiotika bekommen, zeigten bisher keinen durchschlagenden Erfolg.
Noch ist die Stuhltherapie nicht Bestandteil der Behandlungs-Leitlinien, sondern gilt als individueller Heilversuch. „In ähnlich gelagerten Fällen werden wir sie in Zukunft wieder einsetzen“, sagt Härter. Bestechend sei nicht zuletzt, dass bis auf das geringe Risiko, das mit jeder Darmspiegelung verbunden ist, keine Nebenwirkungen drohen. Bisher beziehen sich die ermutigenden Ergebnisse fast ausschließlich auf die Behandlung der wiederkehrenden Entzündungen und schweren Durchfälle bei Clostridium difficile-Infektionen.
Ein Mittel auch bei chronischer Darmentzündung und Diabetes?
In der „Zeitschrift für Gastroenterologie“ stellte eine Arbeitsgruppe von der Uniklinik in Graz 2012 aber eine Studie vor, in der sechs Patienten mit einer schweren Ausprägung der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa von der Stuhltransplantation profitierten. Sie alle hatten so schwere Entzündungen, dass eine Entfernung des gesamten Dickdarms erwogen wurde. Bei zwei der Patienten schlug die Behandlung an, die Besserung blieb auch drei Monate nach Therapie erhalten.
Der Einfluss des veränderten Mikrobioms fesselt die Forscher. In der Ferne winkt die Idee, die Behandlung mit Fremdstuhl zu nutzen, um krankhafte Fettsucht und Diabetes vom Typ 2 (Alterszucker) zu beeinflussen. Mäuse-Studien haben zunächst gezeigt, dass das Umgekehrte möglich ist. Keimfrei gehaltene Versuchstiere, denen die Darmbakterien übergewichtiger Artgenossen eingepflanzt wurden, setzten vermehrt Fett an.
In der Zeitschrift „Science Translational Medicine“ berichteten Forscher vom Massachusetts General Hospital von einem anderen Experiment mit Mäusen, die einen Magen-Bypass bekommen hatten, eine Operation, die hilft, extremes Übergewicht abzubauen. Schon länger wird vermutet, dass diese Eingriffe auch deshalb wirken, weil sie Stoffwechselveränderungen anstoßen. Die Studie zeigt, dass die Tiere auch dünner werden, wenn man Kot von operierten in nicht operierte Versuchstiere verpflanzt. Hier könnte sich ein Weg abzeichnen, krankhafte Fettsucht eines Tages ohne chirurgische Eingriffe zu behandeln.
Noch ist das spekulativ. Auch zu dem eng eingegrenzten Gebiet der Behandlung schwerer wiederkehrender Durchfälle nach Clostridien-Infektionen fehlen noch große Studien und langfristige Ergebnisse. Immerhin zeigt eine Untersuchung aus dem letzten Jahr, dass eine Mehrheit eine solche Behandlung grundsätzlich akzeptieren würde, falls Arzt oder Ärztin dazu raten. Die Zustimmung war deutlich höher für den Fall, dass die Spende vom Partner oder von einem Verwandten käme, wie bei der Frau aus Ulm.