Krebs-Forschung: Günstige Prognose
Wie werden wir im Jahr 2020 mit Krebs leben? In Berlin wagten Mediziner einen Blick in die Zukunft.
Jedes Jahr werden in Deutschland 425 000 neue Fälle von Krebs festgestellt. In Zukunft werden es, weil Krebs vor allem ein Altersleiden ist, deutlich mehr sein. Das wurde auf dem 28. Deutschen Krebskongress in der letzten Woche in Berlin immer wieder hervorgehoben. Zum Abschluss stellten sich Vertreter verschiedener Fachgebiete die Frage, wie die Behandlung von Krebserkrankungen im Jahr 2020 aussehen wird.
„Wir werden dann viel mehr Frauen mit Brustkrebs am Leben erhalten können“, versicherte Walter Jonat, Gynäkologe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Diese Hoffnung auf Verbesserungen beim häufigsten Krebsleiden der Frauen gründet sich einerseits darauf, dass noch mehr Tumoren als heute in frühen, günstigen Stadien entdeckt werden.
Jonat sieht aber auch Anzeichen dafür, dass die Behandlungen effektiver werden. „Die Chemotherapie mit Zellgiften wird bleiben, als alleinige medikamentöse Behandlungsform wird sie jedoch bald ausgedient haben“, prognostizierte der Internist Hans-Joachim Schmoll von der Universität Halle. Antikörper wie das Brustkrebsmittel Trastuzumab und kleine Moleküle wie das beim Nierenzellkarzinom wirksame Sunitinib, die gezielt Andockstellen für bestimmte Substanzen blockieren oder dem Krebs die Versorgungsleitungen kappen, werden ihren Siegeszug fortsetzen.
Aus anderen bisher bescheidenen Ansätzen könnten nach Schmolls Ansicht Erfolgsgeschichten werden: Immuntherapien, die die körpereigene Abwehr der veränderten Zellen stärken, Mittel, die Krebszellen auflösen oder für eine Chemotherapie empfindlicher machen, Ausschaltung bestimmter Genprodukte. Weil viele dieser neuen Therapieansätze nur heilsam sein werden, wenn das Profil des Tumors dazu passt, werden Pharmafirmen in Zukunft diese zielgenauen Therapien gleich zusammen mit dem jeweiligen Testsystem vermarkten, meint Schmoll.
Eine Schlüsselrolle bei der Therapieentscheidung wird nach übereinstimmender Meinung der Pathologe spielen, auch wenn er am Krankenbett nie zu sehen ist. „Die Pathologen werden bestimmen, wie eine Frau mit Brustkrebs zu behandeln ist“, sagte Krebskongress-Präsident Manfred Kaufmann, Gynäkologe an der Uni Frankfurt am Main. Sie werden das entnommene Gewebe dafür unter ihren Mikroskopen untersuchen, aufgrund von Computerberechnungen auch Aussagen über den Anteil von Zellen mit gefährlichen Veränderungen machen und mit molekularbiologischen Methoden genetischen Veränderungen auf die Spur kommen. „Von der Hälfte aller Tumoren werden wir im Jahr 2020 ein genaues Profil erstellen können“, versicherte Charité-Pathologe Manfred Dietel.
Dieses Profil wird Art und Ausmaß der Therapie entscheidend mitbestimmen. „Chirurgische Verfahren werden dann oft ins zweite Glied treten“, prognostizierte der Charité-Chirurg Peter Schlag. Ob und wie operiert werde, das werde in Zukunft nicht mehr allein von der Lage der Krebsgeschwulst und ihrer Größe abhängen.
Werden „Stahl und Strahl“, Operateur und Strahlenarzt, in Zukunft also an Bedeutung verlieren? Nicht unbedingt, denn beide Fachgruppen werden auch verfeinerte Verfahren zu bieten haben, zum Teil in Zusammenarbeit mit Ärzten aus anderen Fachgebieten. Und sie werden, je häufiger Krebs für eine große Gruppe von Patienten zur langjährigen Erkrankung wird, in die Behandlung von Tochtergeschwulsten eingebunden sein.
Der Tübinger Strahlentherapeut Claus Belka glaubt deshalb, dass mit jeder Verbesserung der medikamentösen Behandlung zugleich auch die örtliche Kontrolle des Tumors an Bedeutung gewinnen wird. Mittels Bildgebung werde man es schaffen, diese „bewegten Ziele“ immer genauer zu treffen, und Erkenntnisse der Zellbiologie könnten in Zukunft genutzt werden, um das gesunde Gewebe darum herum besser vor den Strahlen zu schützen.
Die Vertreter der verschiedenen Fachdisziplinen in der Krebsmedizin sehen sich schon heute als Teil eines Entscheidungs- und Behandlungsnetzwerkes. Der Teamwork-Gedanke wird mittlerweile in 163 zertifizierten Brustkrebszentren umgesetzt, und auch die Anzahl der Tumorzentren, die sich auf die Organe Lunge, Prostata und Darm spezialisiert haben, wächst. Erklärtes Ziel ist die verbesserte Versorgung von Krebspatienten durch angemessene Diagnostik und sinnvolle Auswahl und Reihenfolge der Behandlungen. Die Fachgrenzen sind also längst gesprengt. Dasselbe könnte eines nicht zu fernen Tages durch wissenschaftlichen Erkenntniszuwachs, aber auch mit den Tumorzentren geschehen.
„Heute sind auf bestimmte Organe spezialisierte Organtumorzentren ohne Zweifel eine Errungenschaft, in zehn bis 20 Jahren könnten sie schon Schnee von gestern sein“, sagte Schlag. Bei der Deutschen Krebsgesellschaft wird ohnehin die Bildung von Onkologischen Zentren favorisiert, die sich jeweils aus mehreren Organtumorzentren zusammensetzen. Im Jahr 2020 werden die Krebsmediziner erste Erfahrungen mit diesen großen Zentren austauschen können – dazwischen liegen jedoch noch fünf weitere der im zweijährigen Rhythmus stattfindenden Kongresse.
Adelheid Müller-Lissner