Insekten als Nahrungsmittel: Grillen und Maden statt Rind- und Schweinefleisch
Nahrhaft und nachhaltig, aber nicht verlockend: Werden in Zukunft häufiger Insekten auf dem Speiseplan stehen? Bisher sind die Deutschen skeptisch.
Von Ausnahmen wie der Biene abgesehen, empfindet der Mensch das Insekt vorwiegend als lästig. Fliegenklatschen, Moskitonetze, Mottenpulver und Ameisengift zeugen von seinem Drang, sich die kleinen Viecher vom Leib zu halten. Milliarden Menschen auf dieser Erde verleiben sie sich allerdings auch regelmäßig ein. Rund 2000 Insekten-Spezies stehen auf der Liste der weltweit verzehrten Arten, die Eingang in wissenschaftliche Publikationen gefunden haben.
„Insekten haben als Lebensmittel eine große Zukunft“, prophezeit der Niederländer Arnold van Huis von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen . Was einst als „eigentümliche Angewohnheit der Angehörigen primitiver Stämme“ gegolten habe, hält er für sehr vernünftig. Aus ernährungsphysiologischen wie aus ökologischen Gründen, denn essbare Insekten in verschiedenen Entwicklungsstadien wie Grashüpfer oder Mehlwürmer enthalten reichlich Eiweiß und ungesättigte Fettsäuren.
Sie versorgen ihre Liebhaber zudem mit Mikronährstoffen wie Eisen, Kupfer, Magnesium, Selen und Zink. Ihre Umweltbilanz fällt im Vergleich zur beliebten Eiweißquelle Fleisch ausgesprochen günstig aus. Als wechselwarme Tiere verwerten sie Futter effizienter, zudem kommen organische „Abfälle“ dafür infrage. Für ein Kilo Heuschrecke müssen nur acht Liter Wasser verbraucht werden, für ein Kilo Rinderbraten sind es über 20 000, so rechnet van Huis vor.
Die Ernährung ändern - fürs Weltklima
Trotzdem wird auf der Erde von Jahr zu Jahr mehr Fleisch und Fisch konsumiert. „Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir unsere Ernährung ändern“, mahnte der UN-Experte. In seinem Heimatland wird mit einigen Produkten, etwa einem „Insekten-Burger“, der Anfang gemacht.
Theoretisch finden das auch die Deutschen gut, wie eine repräsentative Befragung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zeigt, deren Ergebnisse auf einer Fachtagung des Instituts zum Thema „Insekten als Lebens- und Futtermittel“ in Berlin vorgestellt wurden. „Die große Mehrheit kennt das Thema, der Meinungsbildungsprozess dazu ist noch nicht abgeschlossen“, resümierte dort Astrid Epp vom BfR. Ihren Einsatz als Futtermittel befürwortet die Mehrheit, bei der Frage, ob Insekten als Lebensmittel für den Menschen genutzt werden sollten, herrscht dagegen eine Pattsituation.
Fitnessriegel aus Larven des Mehlkäfers
Mindestens einmal probiert haben es 14 Prozent der Befragten, meist im Ausland. Die Befürworter führen wie van Huis den hohen Proteingehalt, das Problem ausreichender Ernährung für eine wachsende Weltbevölkerung und ökologische Gründe ins Feld. Sie sind also gut informiert. Wie eine zweite Untersuchung des BfR zeigt, haben die Medien daran einen Anteil, wurde doch 2015 häufig über Insekten als Nahrungsquelle berichtet. Ein Anlass für die Berichte war dabei die Nestlé-Studie „Wie is(s)t Deutschland 2030?“, ein anderer der Fitnessriegel aus Larven des Mehlkäfers, den ein Schweizer Student der Lebensmitteltechnik entwickelte.
Was vernünftig klingt, wirkt auf die Deutschen jedoch nicht verlockend. Sie ekeln sich. Eine Barriere, die allenfalls für eine Mutprobe übersprungen wird. „Die größte Bereitschaft dazu gibt es bei jungen, aufgeschlossenen und experimentierfreudigen Männern“, berichtete Epp.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind kompliziert
Ob Wüsten- und Wanderheuschrecken frittiert „der Hit überhaupt“ sind, wie Nils Grabowski von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover den Teilnehmern der Tagung vorschwärmte, können also nur die wenigsten Bundesbürger beurteilen. Zwar werden sie vereinzelt in Restaurants serviert, doch sind die rechtlichen Rahmenbedingungen kompliziert. Verarbeitete Teile von Insekten gelten in der EU als „neuartige Lebensmittel“. Erst 2018 soll mit einer neuen EU-Verordnung geregelt werden, dass auch ganze Tiere die für „Novel Food“ erforderlichen Zulassungsanforderungen erfüllen. Derweil haben in Belgien, Frankreich und den Niederlanden die Behörden mit Stellungnahmen zu Sicherheitsaspekten bei der Nutzung ganzer Insekten für mehr Klarheit gesorgt.
Akzeptanz für die hierzulande ungewohnte Nahrungsquelle erhoffen sich Befürworter von verarbeiteten Lebensmitteln, denen man ihren Ursprung nicht mehr ansieht. Reiner Wittkowski, Vizepräsident des BfR, malte dazu das Bild der „Insekten-Currywurst aus dem 3-D-Drucker“ an die Wand.
Als Quelle von viel Eiweiß sowie einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren könnte sie interessant sein. Werden Insekten wie die schwarze Soldatenfliege, der Mehlkäfer oder die Wanderheuschrecke gezüchtet, verarbeitet und vermarktet, dann reicht es hierzulande nicht mehr aus, dass sie seit Jahrhunderten in anderen Regionen der Erde verspeist werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat deshalb kürzlich ebenfalls eine Stellungnahme zu „Sicherheitsaspekten bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittel-Inhaltsstoffen aus Insekten“ veröffentlicht. Auch hier werden die Ernährungs- und Umweltvorzüge der Gliederfüßler gelobt. Offene Fragen gebe es wegen der Mikroben, die sich in ihrem Verdauungstrakt befinden.
Drohen mehr Allergien?
Ein weiteres Problem, das zu bedenken ist, sind Allergien, schon weil die Insekten enge Verwandte der Krebstiere sind, auf die viele überempfindlich reagieren. „Erste Studien zeigen, dass Garnelen-Allergiker auch allergische Reaktionen gegen Mehlwürmer hatten“, sagte Thomas Holzhauer vom Paul-Ehrlich-Institut. Direkte Sensibilisierungen gegen Insekten seien ebenfalls denkbar. Ein Grund zur Panik wären sie nicht. „Für Milliarden Menschen sind Insekten ein Lebensmittel wie jedes andere“, sagte Grabowski.
Geht man ins Detail, dann sind die Wissenslücken zum Nähr- und Nutzwert der kleinen Tiere allerdings beträchtlich. Wie verändern sich ihre wertvollen Fettsäuren durch Erhitzen und andere Formen der Bearbeitung? Wie wirken sich Enzyme wie die Thiaminase aus, die einzelne Vitamine ausschalten können?
Eine Frage der Ethik: Empfinden die Insekten einen Tötungsschmerz?
Für Vegetarier könnte sich die ethische Frage stellen, ob es unbedenklicher ist, „niedere“ Tiere zu verzehren. Tiere, die in der Landwirtschaft bisher als „Schädlinge“ wahrgenommen, in Zukunft aber möglicherweise gezüchtet werden. Und das noch dazu nach humanen Prinzipien, weil nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist, dass sie bei der Tötung Schmerz empfinden. Kann man, als Grundlage für die Züchtung, so etwas wie das „Wohl“ der Insekten ermitteln und andererseits zu Hause die Fliegenklatsche weiter nutzen? Eine Verlegenheit. Bei der Tagung war mehrfach vom „Ernten“ der Insekten die Rede: Stehen sie also doch irgendwo zwischen Pflanze und Schlachtvieh?
Wie die BfR-Befragung zeigt, befürwortet es die Mehrheit der Deutschen, aus Insekten gewonnene Produkte an Tiere zu verfüttern, als Alternative zu Soja oder Fischmehl. Das wirkt zunächst recht unproblematisch. Doch es wirft eine Frage auf, wie der Biologe und Philosoph Thomas Potthast vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen zeigte: „Denken wir über Insekten als Futtermittel nur nach, damit wir unsere westliche, fleischbetonte Lebensweise sichern können?“