Physik und Theologie: Gott als Anfang von allem?
Noch kann die Wissenschaft den Urknall nicht erklären. Aber heißt das, dass er einen göttlichen Ursprung hat? Ein Kommentar.
Es ist wie bei einem ungelösten Kriminalfall. Was genau geschah beim Urknall? Für den ersten Moment im Leben des Universums, den Augenblick, in dem Materie, Zeit und Raum entstanden, gibt es naturgemäß keine Zeugen. Nur sein Echo. Wir sind auf die Wissenschaft angewiesen, um ihn zu rekonstruieren. Die tut sich bislang schwer damit. Herkömmliche physikalische Theorien setzen bereits Raum und Zeit voraus, sind also auf den ganz kurzen Zeitraum vor ihrer „Erschaffung“ nicht anwendbar.
Dieser „ersten Nanosekunde“ (in Wahrheit wohl ein noch sehr viel kürzerer Zeitraum, Planck-Ära genannt) wohnt etwas Geheimnisvolles inne. Was, wenn der große Knall am Beginn von allem in Wahrheit ein Akt der Schöpfung war, gewissermaßen ein Schuss aus der Pistole Gottes?
Der Gedanke ist verlockend. Dort, wo die Wissenschaft am Ende ihrer Weisheit ist, kommt der Glaube wieder zum Zug. Mehr noch: Beide arbeiten Hand in Hand. Der allererste Atemzug des Alls gehört Gott, die Ära danach der Wissenschaft. Zeit ist ein dehnbarer Begriff. Was uns unglaublich kurz erscheint, könnte in den Augen des Ewigen sehr lange währen. Genug Gelegenheit, um in aller Seelenruhe ein Universum zu schöpfen. So werden aus dem kleinsten Zeit-Atom Zehntausende von kreativen Jahren, bevor dann wirklich der Morgen des Universums heraufdämmert und das erste Sandkorn durchs Stundenglas rinnt.
Vor Darwin musste man an Gott glauben
Und doch vermag diese Idee nicht wirklich zu überzeugen. Das liegt in erster Linie daran, dass in diesem Gedankenmodell Gott zu einer Art Lückenbüßer degradiert wird. Er tritt immer dann in Erscheinung, wenn die Wissenschaft einen Sachverhalt nicht verstanden hat, (noch) nicht weiterweiß. Keine Erklärung, ergo Gott. So war es auch mit der Vielfalt des Lebens auf der Erde. Vor Charles Darwin, dem Begründer der Evolutionstheorie, war es so gut wie unmöglich, nicht an Gott zu glauben, hat der Evolutionsbiologe und erklärte Atheist Richard Dawkins einmal gesagt. Zu überzeugend waren die Belege in der Natur, dass hier ein genialer Designer am Werk gewesen war. Wohin man blickte, wahre Wunderwerke!
Erst Darwin ermöglichte mit seiner Idee der natürlichen Auslese ein neues Verständnis des Naturgeschehens – und schloss die Wissenslücke, in der sich bis dahin Gott befunden hatte. Es gibt neben dem Urknall viele solcher „Nischen“. Doch immer mehr werden mit schlüssigen Theorien gefüllt. Gottes Territorium schrumpft.
Die Rolle, die ihm als erstem Uhrmacher des Universums zugedacht ist, wird einen Gläubigen ohnehin nicht zufriedenstellen, grenzt sie doch an Atheismus. Schließlich ist der Urknall knapp 14 Milliarden Jahre her. Die Vorstellung liegt nahe, dass das kosmische Uhrwerk seitdem so unablässig wie unerbittlich abläuft. Es mag sein, dass Gott selbst den Prozess gestartet hat. Doch sein Werk ist getan, er selbst ist nicht mehr sichtbar. Sind wir ihm egal?
Stirbt Gott, wenn der Urknall erklärt ist?
Schließlich: Was bedeutet es, wenn der Urknall eines Tages zufriedenstellend naturwissenschaftlich „begriffen“ ist? Ist dies das Todesurteil für den Schöpfergott?
Wissenschaftliche Hypothesen über die Entstehung des Universums sind vielfältig. Sie gehen inzwischen weit über die (weitgehend akzeptierte) Annahme eines Urknalls hinaus und postulieren etwa die Existenz vieler verschiedener Multiversen. Wie auch immer man zu diesen teilweise spekulativen Ideen stehen mag, sie gründen auf wissenschaftlichen Methoden und bereits bekanntem Wissen.
Gott kommt in den Gleichungen der Kosmologen nicht vor. Er ist nicht erforderlich und wird nicht vermisst. Würde ein theoretischer Physiker einen „Gottesfaktor“ in eine seiner Gleichungen einfügen, wäre das in etwa so, als ob in der Geschichte von Peter Pan plötzlich Robinson Crusoe auftauchen würde. Schön für Robinson, nicht mehr allein auf seiner Insel zu hocken. Aber Verwendung gäbe es für ihn in der Welt von Peter Pan nicht.
Wer Gott auf den unerklärlichen Rest beschränkt, lässt sein Territorium mit jedem wissenschaftlichen Fortschritt weiter schrumpfen. Dem Religiösen bleibt in dieser Situation der Rückzug auf die innere Gewissheit, dass Gott existiert. Sie ist es, die bei den meisten Menschen den Glauben begründet. Ihr Vorteil ist, dass ein solcher geglaubter Gott letztlich nicht von außen infrage gestellt werden kann. Er ist nicht zu widerlegen. Aber bewiesen werden – außerhalb der eigenen Gewissheit – kann er auch nicht. Das ist der Preis, den der Gläubige zahlen muss. Seine Religion ist taub für das Echo des Urknalls.
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