Kolumne "Was Wissen schafft": Goldfieber am Meeresgrund
Der Rohstoffabbau im Ozean rückt in greifbare Nähe. Über die Folgen für die Umwelt ist wenig bekannt. Umso wichtiger ist es, klare Regeln für den marinen Bergbau zu schaffen.
Noch ruht das Monster friedlich an Land. Es hat die Ausmaße eines Doppelstockbusses, wobei es statt auf Gummireifen mit Raupenfahrwerken vorankommt. Vorne ist keine Panoramascheibe zu sehen, sondern eine gut zwei Meter große Walze, die mit armlangen Hartmetallmeißeln besetzt ist. Schon bald soll die Walze Erz aus dem Boden reißen, hoffen die Ingenieure von Nautilus Minerals, die ihre Fräse unlängst vorgestellt haben. Und zwar aus dem Meeresboden, in anderthalb Kilometern Tiefe.
Extreme Anforderungen an die Technik
Dass die Tiefsee Metalle in großer Menge birgt, die für Stahl- und Hightech-Industrie wichtig sind, ist lange bekannt. Fast ebenso lange erschien der Abbau illusorisch. Welche Maschine würde dem gewaltigen Druck widerstehen, würde zuverlässig in der Kälte und ewigen Finsternis ihren Dienst tun?
Doch steigende Rohstoffpreise haben die Entwickler angetrieben. Wenn das Monster von Nautilus Minerals die technischen Tests besteht, könnte 2016 vor Papua-Neuguinea die erste Tiefseemine eröffnen. Und nicht nur dort, in Küstennähe: Die ersten Erkundungslizenzen für Manganknollen im offenen Ozean, ausgegeben von der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) mit Sitz in Kingston, Jamaika, laufen ebenfalls 2016 aus und können in Abbaulizenzen umgewandelt werden.
Auch Deutschland erkundet die Vorkommen
„Wer dann mit der Förderung beginnen will, muss bereits jetzt handeln“, sagt Christian Reichert von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und Mitglied der Meeresbodenbehörde. „Das Umweltmonitoring muss gestartet werden, der Nachweis der technischen Machbarkeit, die Wirtschaftlichkeitsprüfung – all das will die ISA sehen, bevor sie eine Erlaubnis erteilt.“
Auch Deutschland ist vorn dabei. 2006 hatte das Land für eine halbe Million Dollar im Pazifik eine Erkundungslizenz auf Manganknollen erworben: kartoffelgroße schwarze Klumpen, die neben Mangan und Eisen Kupfer, Nickel, Titan und einige der begehrten Seltenen Erden enthalten. Regelmäßig fuhren Forscher der BGR und anderer Institute in das Revier, schickten Messgeräte in die Tiefe, kartierten den Meeresboden. Nun interessiert sich die Industrie für die erhobenen Daten und hofft, beim Tiefseegeschäft mitmischen zu können – mit Unterstützung durch die Bundesregierung.
Eine richtige Entscheidung angesichts der knappen Rohstoffe in Deutschland und wenn man in Betracht zieht, unter welchen Bedingungen bestimmte Metalle anderswo gewonnen werden, wie etwa Coltan im Kongo. Recycling allein wird das Problem jedenfalls nicht lösen.
Es drohen erhebliche Gefahren für die Umwelt
Dennoch birgt der Tiefseebergbau erhebliche Gefahren. Keiner kann vorhersagen, welche Folgen die submarinen Kartoffelsammler und Erzfräsen für die Umwelt haben. Sie werden die sensible Lebewelt am Boden regelrecht umpflügen. Es gibt nur wenige Untersuchungen dazu, wie lange es dauert, bis der vorherige Zustand wiederhergestellt ist. Sie sind zudem eher kleinräumig und lassen sich nur bedingt auf den großflächigen Abbau übertragen. Gleichwohl mussten die Forscher bereits dort sieben Jahre warten, bis sie wieder die ursprüngliche Menge an Bodenlebewesen zählten. Einige Arten blieben dennoch verschwunden, das Ökosystem war ärmer. Hinzu kommt, dass die tiefen Stockwerke der Ozeane vergleichsweise wenig erforscht sind. Viele Tierarten könnten für immer verloren gehen, ehe sie überhaupt entdeckt werden, fürchten Biologen.
Noch besteht die Chance, klare Regeln aufzustellen, bevor die Abbaumaschinen vom Haken gelassen werden. Die ISA hat daher zahlreiche Organisationen um entsprechende Vorschläge gebeten. Nächste Woche ist Einsendeschluss.
Internationale Regeln gelten nur im offenen Ozean - nicht in der 200-Seemeilen-Zone
Gerade weil noch wenig bekannt ist über die Auswirkungen, muss es eine enge Überwachung des Bergbaus in der Tiefe geben. Hinzu kommen ausreichend große Flächen, die bewusst vom Abbau ausgenommen bleiben, um als Refugien und Quellen für die erneute Besiedlung zu dienen. Lärm und Sedimentwirbel, die ebenfalls schwerwiegende Folgen haben können, müssen so gut es geht vermieden werden.
Selbst wenn es gelingt, in Kingston vernünftige Regeln zu beschließen, so gelten diese nur für internationale Gewässer. Innerhalb der 200-Seemeilen-Zone um das Festland bestimmen die Küstenstaaten, wie die Unterwasserwelt zu schützen ist. Oder auch nicht.
Ralf Nestler