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Umwelt: Gesundheitscheck für die Weltmeere

Eine umfassende Analyse zeigt, wie es um die Küstengewässer bestellt ist. Deutschland schafft es dabei in die Spitzengruppe.

Erderwärmung bedroht Korallenriffe, industrieller Fischfang reduziert Artenvielfalt, Schiffsverkehr bringt Schadstoffe in sensible Küstengebiete – solche Schlagzeilen machen deutlich: Der Zustand der Weltmeere verschlechtert sich. Doch wie schlecht ist es genau um sie bestellt, gibt es womöglich auch positive Veränderungen? Und lassen sich die einzelnen Regionen miteinander vergleichen? Eine Antwort auf diese Fragen soll der „Ozean-Gesundheits-Index“ liefern, den Wissenschaftler jetzt im Fachmagazin „Nature“ vorstellen.

„Fast die Hälfte der sieben Milliarden Menschen auf der Erde lebt am Meer und profitiert davon – von der Ernährung über Tourismus bis hin als Ort zum Leben“, argumentiert das Team um Benjamin Halpern von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara. „Wir brauchen Analysemethoden, die den Zustand der Gewässer gut beschreiben und helfen, eine Balance zwischen den einzelnen Nutzungsformen zu finden.“ Erste Ansätze dazu seien vorhanden, doch nach Ansicht der Autoren konzentrieren sich diese oftmals nur auf den negativen Einfluss des Menschen auf die Natur.

Halpern und Kollegen wollten einen umfassenden Überblick gewinnen. Dazu haben sie aus zahlreichen Daten – von der Fischerei über Touristenzahlen bis zur Aufnahmefähigkeit des Wassers von Kohlendioxid – für jedes Land einen Wert errechnet, der angibt, wie gut es um die Beziehung zwischen Menschheit und Meer bestellt ist.

Auf einer Skala von 0 (sehr schlecht) bis 100 (sehr gut) kamen demnach alle begutachteten Küstengebiete auf einen Wert zwischen 36 (Sierra Leone) und 86 (Jarvis Island, eine unbewohnte Insel im Südpazifik). Der Durchschnitt liegt bei 60 Punkten, wobei Deutschland mit 73 in der Spitzengruppe zu finden ist. Die Werte ergeben sich durch komplexe Berechnungen, in die zehn verschiedene „Einzeldisziplinen“ eingehen, die die Forscher als wichtige Funktionen der Meere erachten. Dazu zählen etwa Artenvielfalt, sauberes Wasser, Nahrungsmittelproduktion, Küstenschutz und Erholungswert. Für diese Untergruppen wurde jeweils der Ist-Zustand ermittelt und zudem bewertet, wie sich dieser in Zukunft wahrscheinlich entwickeln wird.

Fischfang spielt bei der Nutzung der Meere eine maßgebliche Rolle.
Fischfang spielt bei der Nutzung der Meere eine maßgebliche Rolle.
© Conservation International

Basis für die Berechnungen sind amtliche Daten und Statistiken. Die Wissenschaftler konzentrieren sich dabei auf die 200-Seemeilen-Zone der jeweiligen Länder. Einerseits, weil es in dem 370 Kilometer breiten Streifen vor der Küste die meisten Überschneidungen zwischen Mensch und Meer gibt, wie Fischfang, Erholung oder Rohstoffgewinnung, die für Politik und Wirtschaft relevant sind. Andererseits haben die Staaten in der 200-Seemeilen-Zone, anders als in internationalen Gewässern weiter draußen, gewisse Rechte – sie kümmern sich mehr darum und daher gibt es mehr Informationen, die für Halperns Team wichtig sind.

Gleichwohl gibt es noch große Lücken oder Unsicherheiten bei den Daten, berichten die Forscher. In Sachen „Tourismus“ geben beispielsweise Anreisen aus dem Ausland nur ungefähre Hinweise, zumal in Ländern mit hohem Urlauberaufkommen aus dem Inland. Auch bei bedeutenden Stressfaktoren wie illegalem Fischfang oder lokal begrenzter Umweltverschmutzung gebe es kaum Informationen, berichten die Forscher. Sie hoffen, dass die jetzt zutage tretenden Lücken in den Daten die Verantwortlichen motivieren, diese zukünftig zu schließen.

Das hofft auch Martin Visbeck, Ozeanforscher am Geomar in Kiel, der an der Studie nicht beteiligt ist. „Eine weltweite Analyse, die so detailliert ist, hat es bisher nicht gegeben“, sagt er. „Zumindest für die Küstengewässer gibt es nun einen Rahmen, mit dem man einzelne Gebiete vergleichen und langfristig auch Verbesserungen sehen kann.“ Denn neben den vielen Schreckensnachrichten gibt es auch positive Veränderungen, wie Visbeck berichtet. „Die Wasserqualität in Nord- und Ostsee ist heute viel besser als noch vor wenigen Jahrzehnten.“

Eine weitere wichtige Funktion: Wasser als Transportweg.
Eine weitere wichtige Funktion: Wasser als Transportweg.
© REUTERS

Das trug zur guten Bewertung Deutschlands in der aktuellen Analyse bei. Vor allem beim Küstenschutz, der Aufnahmefähigkeit von Kohlendioxid und der Biodiversität konnten die deutschen Meeresgebiete punkten. Abzug gab es in den Feldern Tourismus und Verfügbarkeit von Nahrung aus dem Wasser.

In der Gesamtwertung fällt auf, dass vor allem Entwicklungsländer oft nur wenige Punkte erreichen. „Das ist kaum verwunderlich“, sagt Visbeck. „Diese Länder benötigen einen Großteil ihrer Ressourcen, um die Bevölkerung mit dem Wichtigsten zu versorgen.“ Nachhaltigkeit, wie Fangquoten für Fische, sei in den ersten Jahren zunächst teurer als ein Weiter-so und habe es daher schwer.

Was dem „Meeres-Check“ aus seiner Sicht fehlt, sind Angaben zum offenen Ozean. „Die 200-Seemeilen-Zone ist nicht isoliert, Temperaturänderungen oder eine Versauerung des Wassers wirken von außen in diese Gebiete hinein“, erläutert Visbeck. Im Kieler Forschungsschwerpunkt „Ozean der Zukunft“ soll zumindest für einige Teile der Weltmeere nun eine ähnliche Analyse entstehen.

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