Bildungsgipfel: Gesucht: Die „Bildungsrepublik“
Vor drei Jahren verabredeten Bund und Länder ehrgeizige Ziele - wie mehr Geld für Bildung oder weniger Schulabbrecher. Doch die meisten dürften kaum erreicht werden, ist das Ergebnis einer DGB-Studie.
Ein kleiner „Bildungsgipfel“ steht bevor. Heute trifft sich Bundeskanzlerin Merkel mit den Kultusministern, um über „Integration“ zu sprechen. Vermutlich wird auch eine Zwischenbilanz zum großen „Bildungsgipfel“ im Oktober vor drei Jahren gezogen. Damals verabredete Merkel mit den Ministerpräsidenten in Dresden ehrgeizige Ziele, mit denen Deutschland zur „Bildungsrepublik“ werden sollte.
Was ist bislang daraus geworden? Das hat der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm im Auftrag des DGB untersucht. Sein Ergebnis ist pessimistisch: Die Umsetzung läuft „entweder schleppend oder nur mit kaum wahrnehmbaren Fortschritten“, erklärte Klemm am gestrigen Mittwoch in Berlin. Ingrid Sehrbrock, die stellvertretende Vorsitzende des DGB, spricht von „ökonomischem und sozialem Sprengstoff“. Die „Bildungsrepublik“ sei eine „Fata Morgana“.
Bildungsgipfel Ziel 1: Mehr Geld
Die öffentlichen und privaten Ausgaben für Bildung und Forschung sollten bis zum Jahr 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen: In der Bildung von 6,2 Prozent auf sieben Prozent, in der Forschung von 2,4 Prozent auf drei Prozent.
Klemm kritisiert zunächst die von der Politik offenbar gewollte Unschärfe bei der Definition dieses Ziels. Denn um welche Summe die Ausgaben steigen müssen, um den Aufwuchs zu erreichen, wurde nie festgesetzt. Blickt man nur auf Prozentanteile am BIP, sind die Steigerungen in der Bildungsfinanzierung schon bei stagnierenden Ausgaben schnell erreicht, nämlich wenn die Wirtschaft schrumpft. Das war im Zuge der Finanzkrise der Fall: von 2481 Milliarden im Jahr 2008 auf 2397 Milliarden in 2009. Auch hätten die Politiker nie festgelegt, welchen Anteil am Aufwuchs Bund, Länder, Kommunen und Private jeweils finanzieren sollen. Und Kommunen und Private, die die Politik bei ihrem Ziel in die Pflicht nehmen, seien an dessen Formulierung nicht einmal beteiligt gewesen.
Hinzu kommt nach Klemm, dass die Statistik vorübergehend durch Ausgaben für Bildung im Konjunkturprogramm II (6,5 Milliarden Euro) aufgebessert werde, die aber nur befristet fließen. Zieht man die Einmalausgabe im Konjunkturprogramm ab, ist das Budget für Bildung und Forschung von 2008 auf 2009 (dem letzten Jahr, für das das Statistische Bundesamt schon Zahlen geliefert hat) um rund sechs Milliarden Euro gewachsen. Bis 2015 müssten aber 34 Milliarden zusätzlich fließen, hat Klemm errechnet. Diese Summe würde sich jedenfalls ergeben, wenn das BIP im Jahr 2015 auf dem Niveau von 2008 liegt, dem Jahr des „Bildungsgipfels“.
Ziel 2: Krippenausbau
Bis 2013 sollen bundesweit im Schnitt 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren ein Betreuungsangebot bekommen. Die dazu nötigen 80 000 Erzieher und Tagespflegekräfte sollten qualifiziert werden.
Im März 2010 lag die Betreuungsquote aber erst bei 23 Prozent, wie Klemm feststellt. Da die neuen Länder und Berlin das 35-Prozent-Ziel bei Weitem überschritten haben (Berlin: 42 Prozent, Sachsen-Anhalt: 56 Prozent), müssen die fehlenden 273 000 Plätze vor allem im Westen aufgebaut werden. Schon bis 2013 würden laut Klemm jedoch 8800 Beschäftigte in Kitas und 32 400 in der Kindertagespflege fehlen. Bleibe das Tempo im Aufbau so wie bislang, seien im Jahr 2013 gut 30 Prozent der Dreijährigen versorgt, nicht aber 35 Prozent.
Ziel 3: Weniger Abbrecher
Die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss sollte von acht auf vier Prozent halbiert werden.
Klemm ist „alles andere als optimistisch“, dass das „in absehbarer Zeit" gelingen kann. Im Schuljahr 2010/2011 habe die Quote in Deutschland noch bei sieben Prozent gelegen. Die alten Länder liegen dabei deutlich unter zehn Prozent, die neuen Länder darüber: In Baden-Württemberg und Bayern verließen 2009 nur rund sechs Prozent die Schule ohne Hauptschulabschluss, in Mecklenburg-Vorpommern hingegen 14 Prozent. An den allgemeinbildenden Schulen sank die Quote der Abgänger ohne Abschluss in zehn Jahren bis 2009 nur von 9,4 auf sieben Prozent. Von diesen Abgängern war mehr als die Hälfte auf einer Förderschule. Die Förderschulen schaffen es bislang aber nur, ein Viertel ihrer Schüler zum Hauptschulabschluss zu führen. Mit einer drastischen Verbesserung der Quote rechnet Klemm aber nicht: „Ein Maßnahmebündel ist nicht erkennbar, schon gar nicht für die Förderschulen.“
Ziel 4: Weniger Jugendliche ohne Berufsabschluss
Die Zahl der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss sollte von 17 auf 8,5 Prozent halbiert werden. Das sei bis 2015 „ausgeschlossen“, meint Klemm. Noch im Jahr 2010 habe die Quote bei 17,2 Prozent gelegen. Besonders hoch ist sie in Bremen (24 Prozent), am niedrigsten in Sachsen (9,7 Prozent). Schon weil die Zahl der Schulabbrecher konstant bleibe, werde sich die Lage kaum verbessern.
Ziel 5: Mehr Studierende
Die Studienanfängerquote soll 40 Prozent eines Jahrgangs steigen.
Hier erkennt Klemm ausnahmsweise einen „bildungspolitischen Erfolg“. Das Ziel war bereits im Jahr des Bildungsgipfels, 2008, erreicht worden. Inzwischen wurde es mit 46 Prozent sogar übertroffen. In dieser Quote sind allerdings auch Erstsemester ohne deutsches Abitur enthalten. Blicke man nur auf Erstsemester mit deutschem Abitur, liege die Quote vermutlich bei 40 Prozent – Zahlen vom Statistischen Bundesamt liegen noch nicht vor. Klemm geht davon aus, dass die wachsende Studierneigung von der Politik nicht erwartet wurde, weshalb schon zwischen 2011 und 2015 massenhaft Studienplätze fehlen würden.
Ziel 6: Mehr Weiterbildung
Gemeinsam mit den Sozialpartnern wollen Bund und Ländern bis 2015 die Beteiligung an der Weiterbildung von 43 Prozent (2006) auf 50 Prozent der Erwerbsbevölkerung steigern.
Wieder hat Klemm Zweifel, ob das zu schaffen ist. Allerdings fehlten aktuelle Daten. Der Umfrage des TNS Infratest Sozialforschung nach habe die Quote im Jahr 2007 weiter bei 43 Prozent gelegen.
Frank Bsirske, der Vorsitzende von Verdi, führt den von Klemm beschriebenen langsamen Fortschritt in der Bildung auf eine „verfehlte Steuerpolitik“ zurück. Es fehle den öffentlichen Haushalten an Handlungsspielräumen: „Allein eine Vermögensteuer von nur einem Prozent würde dem Staat 20 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen bringen.“ Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Sehrbrock hält die Länder mit der Bildungsfinanzierung für „schlicht überfordert“: „Dieser Trend wird sich durch die Schuldenbremse noch verschärfen.“
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