Konservativer Thinktank offenbar vom Tisch: Gesellschaftlicher Zusammenhalt soll im Verbund erforscht werden
Der Streit um das mit Bundesmitteln geplante "Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt" könnte beigelegt werden - mit einer Verbundlösung, an der mehrere Institut beteiligt werden.
Was geschieht mit den 37 Millionen Euro, die der Bundestag im November für ein „Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ freigegeben hat? Nach Interventionen von Bundestagsabgeordneten der SPD, der Grünen und der Linken scheint es mittlerweile ausgeschlossen, dass mit dem Geld ein rechtskonservativer Thinktank an der Technischen Universität Dresden entsteht.
Davor hatte etwa die sächsische SPD-Abgeordnete Simone Raatz gewarnt. Stattdessen könnte ein großer Forschungsverbund mit Projekten mehrerer Einrichtungen gefördert werden. Diese Wende im Streit um die von dem CDU-Abgeordneten Michael Kretschmer, Generalsekretär der CDU in Sachsen, angestoßene Initiative soll sich am Mittwoch im Haushaltsausschuss abgezeichnet haben.
Ein Forschungsverbund - koordiniert von einem Institut in Sachsen?
Die Grünen hatten eine Aussprache dazu anberaumt, geäußert haben sich der Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Thomas Rachel, und ein Abteilungsleiter. Sie hätten bekräftigt, dass weder Ort noch Institution für die Förderung der künftigen Forschung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt feststünden, berichtet die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz aus dem Ausschuss. Es werde aber über die öffentliche Ausschreibung eines Forschungsverbunds durch das BMBF nachgedacht. Zu hören ist auch, dass gleichwohl ein Institut in Sachsen beauftragt werden könnte, den Verbund zu koordinieren.
Das soll ein Ergebnis eines Expertengesprächs am vergangenen Freitag sein, zu dem das Ministerium ursprünglich 37 Wissenschaftler und drei Wissenschaftlerinnen aus dem In- und Ausland nach Bonn gebeten hatte. Zum Kreis der Eingeladenen gehörten Prominente wie der Historiker Timothy Garton Ash (Oxford), der Philosoph Hermann Lübbe (Zürich) und der Soziologe Wilhelm Heitmeyer (Bielefeld) sowie Historiker, Politikwissenschaftlerinnen und Soziologen aus dem ganzen Bundesgebiet, aber auch aus Budapest und Athen. Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden, der zuvor mit der geplanten Institutsgründung in Verbindung gebracht wurde, war nicht dabei.
Parallel zur Instituts-Planung entstand ein "Zentrum" für Zusammenhalt
Der Eindruck, es solle ein konservativer Thinktank entstehen, beruhte zum einen darauf, dass Initiator Kretschmer im September 2016 in seinem „Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur“ eine „wirkungsvolle Integrationspolitik“ gefordert hatte, „die Fliehkräften entgegenwirkt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt“. Zum anderen wurde in Dresden im Dezember, kurz nach der Mittel-Freigabe für ein „Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ ein „Zentrum für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration“ gegründet. Es ist eng mit der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Dresden verbunden und soll nach einem Bericht der „Sächsischen Zeitung“ dem „Auseinanderdriften der Gesellschaft“ als Folge des Flüchtlingszustroms entgegenwirken. An beiden Initiativen war Patzelt beteiligt.
Aus dem Fachgespräch gab das BMBF am Donnerstag auf Anfrage bekannt, „dass eine thematische Beschränkung nur auf die Aspekte Integration und Migration dem Forschungsgegenstand nicht ausreichend gerecht werde“. Zudem bedürfe der Begriff „gesellschaftlicher Zusammenhalt“ einer wissenschaftlichen Klärung.
Wilhelm Heitmeyer: Thema wegen Rechtspopulismus auf der Agenda
Welche der eingeladenen Experten nach Bonn kamen, wurde nicht bekannt gegeben. Fest steht aber, dass Wilhelm Heitmeyer abgesagt hat – wegen Bedenken, „ob es schon politische Festlegungen über Standort, Leitung und Ausrichtung des Instituts gebe“, wie dieser auf Anfrage bestätigte. Der Soziologe, der von 2002 bis 2006 einen vom BMBF geförderten Forschungsverbund zu „Sozialen Desintegrationsprozessen“ geleitet hat, befürwortet aber das Modell eines neuen groß angelegten Forschungsvorhabens mit mehreren Teilprojekten. Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts beziehungsweise der sozialen Desintegration – Heitmeyer bevorzugt den zweiten, „wissenschaftlich fundierteren“ Begriff – stünden heute „durch rabiaten Rechtspopulismus in internationaler Ausbreitung ganz neu auf der Tagesordnung“. Davon, ein neu zu gründendes Institut gleichzeitig einen so großen Forschungsverbund organisieren zu lassen, rate er allerdings ab, sagt Heitmeyer. „Das wäre eine Überforderung.“
Die Abgeordnete Deligöz appellierte an das BMBF, die Idee eines öffentlich ausgeschriebenen Forschungsverbunds weiterzuverfolgen. „Das Ministerium darf das Vertrauen der anerkannten Wissenschaftler nicht verspielen. Es ist nicht der Auftrag der Politik, die Ausrichtung zu bestimmen – dafür haben wir die wissenschaftliche Freiheit.“