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300 Jahre Erfahrung. Drei Frauen, die schon ihren „Hundertsten“ feiern konnten, beim Deutschen Seniorentag in Frankfurt am Main 2015.
© Arne Dedert/picture alliance / dpa

Immer mehr Langlebige: Generation 100 plus

Die Chancen auf ein sehr langes Leben steigen - und damit hoffentlich auch die Zahl der guten Jahre

Der Tod sei ihr nun ziemlich nah auf den Pelz gerückt, findet Sophie C. „Irgendwann kommt er zur Türe rein und sagt: ‚Nu komm.‘ Und dann gehe ich …“ Die ehemalige Erzieherin, die in einer Seniorenresidenz lebt, hat schon eine Grenze überschritten: Sie ist eine von 15 über Hundertjährigen, die der Psychologe Simon Eggert und seine Kollegen von der Berliner Charité und vom Zentrum für Qualität in der Pflege interviewt haben.

Die elf Frauen und vier Männer sind selbstverständlich nicht repräsentativ für ihre Altersgenossen. Sie waren zum Zeitpunkt der Untersuchung geistig besonders klar und beweglich, konnten sich gut ausdrücken und waren zumindest so weit belastbar, dass ihnen die Gespräche zugemutet werden konnten.

Dass Menschen so wach und weise in ihr zweites Lebensjahrhundert eintreten, erfüllt uns mit Ehrfurcht. Dass sie so alt werden, ist ja immer noch eine Ausnahme. 16.860 über Hundertjährige lebten 2014 in Deutschland.

In 40 Jahren sind Hundertjährige häufig

„Doch es wird damit gerechnet, dass es in 40 Jahren schon 60 000 sind, in 70 Jahren rund 120 000“, sagte Adelheid Kuhlmey vom Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité am Mittwoch bei der Tagung „Langlebige – Gesundheit und Teilhabe einer Bevölkerungsgruppe mit Zukunft“.

Forscher fokussieren ihre Arbeit längst auf die „Super-Centenarians“ der Altersgruppe 110+. Dazu passt, dass die kanadischen Biologen Bryan Hughes und Siegfried Hekimi im Fachblatt „Nature“ anzweifeln, dass eine biologische Obergrenze für das menschliche Leben bei rund 115 Jahren gezogen werden könne. Sie vermuten, die maximale Lebensspanne lasse sich ebenso gut weiter ausdehnen, wie die durchschnittliche Lebenserwartung es schon getan hat.

Ob das zutrifft, steht noch in den Sternen. Dafür ist klar vorauszusehen, dass die Langlebigen der nächsten Jahrzehnte die Babyboomer der geburtenstarken Jahrgänge 1955 bis 1965 sein werden. Das sind in Deutschland 13 Millionen Menschen. „Damit wir für diese Generation nicht das Falsche machen, brauchen wir gute Daten“, forderte Kulmey.

Daten, die demnächst im Fachblatt „Journal of Gerontology“ erscheinen werden, präsentierte der Charité-Psychologe Paul Gellert, Leiter des Projekts „Hundertjährigenforschung“. Für eine Kohortenstudie verwendeten die Forscher Routinedaten der Knappschafts-Krankenkasse von Versicherten, die mit über 80 Jahren verstorben waren. Sie verglichen rückblickend die Diagnosen und Therapien einer Gruppe von 398 Personen, die über 100 Jahre gelebt hatten, mit denen von Mitgliedern, die zwar auch alt wurden, aber bereits im neunten oder zehnten Lebensjahrzehnt verstarben.

80-Jährige sind kränker als 100-Jährige

Im letzten Vierteljahr vor ihrem Tod wurden für die über Hundertjährigen (darunter eine Person, die 110 Jahre alt wurde) 3,3 Erkrankungen dokumentiert, für die mit 80 Jahren Verstorbenen aber 4,6. Menschen, die mehr als 100 Jahre alt werden, leiden demnach seltener an Herzrhythmusstörungen, Funktionseinbußen der Nieren und Bluthochdruck. Sie haben nicht nur weniger Krankheiten, sondern in den letzten sechs Jahren vor ihrem Tod, die die Forscher unter die Lupe genommen hatten, auch einen flacheren Anstieg der Diagnosen.

Von zwei Problemen, die nicht direkt lebensbedrohlich sind, aber quälend sein können, sind Menschen, die über 100 Jahre alt werden, in ihren letzten Jahren allerdings stärker betroffen als Jüngere. Das sind Demenz und Probleme mit den Gelenken. Wie die Zweite Heidelberger Hundertjährigen-Studie 2013 zeigte, leiden 88 Prozent von ihnen auch an deutlichen Einschränkungen beim Hören und Sehen.

Die Kinder der 100-Jährigen sind selbst Senioren

Wer hochbetagt ist, hat Nachkommen, die selbst Senioren sind. Das älteste „Kind“, das die Charité-Alternsforscherin Dagmar Dräger zur Sicht der Angehörigen von Hundertjährigen interviewte, war 78 Jahre alt. Eine der befragten Töchter berichtete, ihr mache ein Gefühl der Parallelität des Alterns zu schaffen.

Die Hundertjährigen selbst gaben in der Studie von Eggert häufiger an, ihre Kinder gingen Gesprächen über das Lebensende aus dem Weg oder reagierten mit Beschwichtigungen. Der Sohn wolle das „dann immer gar net hören“, beklagte die 1914 geborene Caroline Q. Was ihr und anderen Hochbetagten fehlt, ist der Kontakt zu Gleichaltrigen.

Durch die pilzförmige Bevölkerungspyramide, die Forscher für die Zukunft erwarten, dürfte sich das positiv verändern. Die Hälfte der Mädchen, die heute geboren werden – und eine beträchtliche Anzahl ihrer männlichen Altersgenossen –, kann demnach damit rechnen, einst dreistellige Geburtstage zu feiern. Die Chancen, darauf gemeinsam mit alten Freunden anzustoßen, stehen also recht gut.

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