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Das Erbgut im Blick. Das Blut von Schwangeren wird regelmäßig untersucht. Darin sind auch DNS-Schnipsel des ungeborenen Kindes enthalten. Mit zusätzlichen Analysen lässt sich neuerdings feststellen, ob das Kind etwa eine Chromosomenstörung hat.
© picture alliance / ZB

Gentests: Genau hinsehen

Gendiagnostik sollte es nur mit besonders guter Aufklärung der Betroffenen geben, fordert der Ethikrat. Gerade bei den Erbguttests von Ungeborenen plädiert das Gremium für Einschränkungen.

Die Gene sind nicht unser Schicksal. Doch wir erfahren mehr und mehr darüber, wie sie Gesundheit und Krankheit beeinflussen. Drei Trends sind dafür verantwortlich, heißt es in einer Stellungnahme des Deutschen Ethikrats zur Zukunft der genetischen Diagnostik, die am Dienstag vorgestellt wurde: Mit den neuen Techniken wachsen die verfügbaren Datenmengen; weil die Auswertung besser wird, kommen mehr Informationen ans Licht, die für gesundheitliche Zukunft und Lebensführung des Einzelnen Konsequenzen haben können; und dank sinkender Kosten und Hürden können mehr Menschen darauf zugreifen, auch ohne Arzt. Eine Sequenzierung des Genoms ist heute innerhalb weniger Tage und für rund 10 000 Dollar möglich, bald könnte es ein Zehntel der Summe sein.

Der Ethikrat mahnt deshalb, „einem einseitigen genetisch-biologistischen Krankheitsverständnis entgegenzuwirken“. So könnte im Internet eine öffentlich getragene Plattform entstehen, die qualitätsgesichert und unabhängig über Gentests informiert. Nach Ansicht des Ethikrats gibt es auch rechtlich und politisch Handlungsbedarf, der über das Gendiagnostikgesetz von 2010 hinausgeht. Der Gesetzgeber müsse klarstellen, dass nur im persönlichen Gespräch über eine genetische Diagnose aufgeklärt werden darf. Das Gespräch könne ein Arzt oder ein genetischer Berater führen. Es lohne sich, die Erfahrungen anderer Länder auszuwerten: „Erklärt man die jetzige Form der ärztlichen Beratung für allein maßgeblich, lässt man die offensichtlich zunehmende Zahl von Menschen, die Gentests nachfragen, mit oftmals unseriösen Internetangeboten allein.“ Beim Neugeborenen-Screening sollten nach wie vor Hebammen oder Pfleger beraten, nur bei einem auffälligen Befund müsse ein Arzt dazukommen.

Die Mediziner ihrerseits sollten nur nötige Daten erheben und so vermeiden, dass in der Diagnostik über eine konkrete Fragestellung hinausgehende genetische „Überschussinformationen“ gewonnen werden, die für eine spätere Nutzung nur vorübergehend gesperrt sind. Die Mehrheit der Mitglieder empfiehlt zudem eine gesetzliche Regelung, die Gendiagnostik bei Minderjährigen nur erlaubt, wenn sie deren eigenem Wohl dient. Die Mehrheit votierte auch dafür, im Gendiagnostikgesetz eine verbindliche Aufklärung vor genetischen Untersuchungen festzuschreiben, wenn die Untersuchung nicht direkt medizinische Zwecke verfolgt wie etwa bei der Sequenzierung des gesamten Erbguts. Für den Umgang mit Tests für Risikofaktoren, wie sie vor allem im Internet vermarktet werden, wünscht sich das Gremium eine EU-Regelung.

Ein besonders sensibler Punkt ist die vorgeburtliche Diagnostik – zumal seit August 2012 mit dem „PraenaTest“ die Trisomien 21, 18 und 13 anhand von DNS-Schnipseln des Ungeborenen im mütterlichen Blut erkennbar sind. Der Anwendungsbereich solcher Tests dürfte in den nächsten Jahren größer werden: In einer Pilotstudie wird schon das gesamte Genom von Föten untersucht. Da Bluttests keine Fehlgeburten auslösen, könnten sich mehr Schwangere dafür entscheiden. Die Mehrheit der Ratsmitglieder will sie nur für Schwangerschaften zulassen, bei denen ein reguläres Screening ein erhöhtes Trisomierisiko gezeigt hat. Zudem müsse über ein Schutzkonzept nachgedacht werden, da der Test in anderen Ländern ab der zehnten Schwangerschaftswoche angeboten wird, also zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Abtreibung im Rahmen der Fristenlösung möglich ist.

Vier Mitglieder gaben zu einigen dieser Punkte Sondervoten ab. Sie wollen den Praenatest nicht durch öffentlich geförderte Forschung und Aufnahme in den Leistungskatalog der Krankenkassen unterstützen. Einer zweiten Gruppe von acht Mitgliedern um den Juristen Jochen Taupitz sind einige der von der Mehrheit vorgeschlagenen Einschränkungen zu weitgehend. In einem Punkt sind sich alle einig: Werdenden Eltern muss gesagt werden, dass sie die Diagnostik nicht in Anspruch nehmen müssen und auf Informationen verzichten können. „Der Bereitschaft von Eltern, einem Kind, das möglicherweise von körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen betroffen sein wird, Fürsorge, Geborgenheit und Liebe zu schenken, gebührt die Wertschätzung von Gesellschaft und Staat“, formuliert der Ethikrat.

Auch Erwachsene, die sich gesund fühlen, könnten in Zukunft infolge prognostischer Gentests in einen „Zustand zwischen Gesundheit und Krankheit“ geraten. Etwa, wenn sich herausstellt, dass sie ein erhöhtes Risiko für eine der Volkskrankheiten wie Diabetes tragen. Trotz der Belastungen, die solche Informationen mit sich bringen, könnten sie im besten Fall auch das Gefühl der Solidarität stärken, hofft der Ethikrat: Es wachse dadurch das Bewusstsein von der „konstitutiven Verletzlichkeit des Menschen“.

Adelheid Müller-Lissner

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