Müdigkeit am Arbeitsplatz: Gegen die innere Uhr arbeiten
Chronobiologen erforschen, ob der Mensch zu jeder Tages- und Nachtzeit gleich gute Leistungen erzielen kann. Das eigene Müdigkeitsempfinden spielt dabei keine Rolle.
Wenn junge Männer ein paar Nächte durchmachen, halten sie sich dabei selten mit Schreibübungen auf. Für die zwölf Freiwilligen, die im Schlaflabor der Berliner Uniklinik Charité und in einem Bunker im niederländischen Groningen 40 Stunden am Stück wach bleiben mussten, sah die Sache anders aus.
Alle drei Stunden mussten sie sich an ein an den PC angeschlossenes graphisches Tablett setzen, den Stift zücken und ein und denselben Satz aufschreiben. Am Rechner wurde ermittelt, wie viel Druck sie dabei ausübten und wie schnell sie schrieben. Anschließend begutachteten unabhängige Helfer, wie leserlich die Handschriften waren. Die Schreiber schlugen sich die Nächte nämlich im Dienst der Wissenschaft um die Ohren. „Tagesschwankungen der Feinmotorik“ wollten Joachim Hermsdörfer von der Entwicklungsgruppe Klinische Neuropsychologie am Städtischen Krankenhaus in München-Bogenhausen und seine Mitarbeiter mit ihrer Hilfe untersuchen.
Es gibt diese Tagesschwankungen anscheinend. Jedenfalls schrieben die übernächtigten Versuchspersonen zwischen drei und sechs Uhr am frühen Morgen deutlich langsamer und auch unleserlicher als mitten am Tag. „Die Funktion der Hand ist in der Nacht am schlechtesten“, folgert Hermsdörfer. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich, wenn es um die Kraft der Hand und um die Geschicklichkeit ging, mit der die Testpersonen am Rechner eine Linie nachzeichneten.
Dabei ließen sie sich zudem nur nachts durch eine zweite Anforderung, eine Merkaufgabe, richtig aus dem Konzept bringen. Tagsüber war das „Multitasking“ wesentlich leichter. „Im Minimum reduziert sich die Leistung um 20 Prozent, in Einzelfällen aber noch massiver“, berichtet Hermsdörfer. Ähnliche Ergebnisse brachten auch Tests, die seine Arbeitsgruppe bei Schichtarbeitern von Siemens in Berlin machte. Hier waren die feinmotorischen Fähigkeiten der Mitarbeiter in der Frühschicht erkennbar geringer.
Nacht- und Schichtarbeit hat in Deutschland in den letzten Jahrzehnten nach Angaben des Arbeitsministeriums weiter zugenommen. Pflegekräfte, Wachleute, Busfahrer und Piloten sind nicht die einzigen, die regelmäßig arbeiten müssen, wenn andere schlafen. „Zu einem Zeitpunkt, an dem körperliche und geistige Funktionen auf Ruhe eingestellt sind, wird von Mitarbeitern Konzentration und Leistung gefordert“, sagt der Psychologe und Neurobiologe Till Rönneberg von der Uni München. „Wie beim Reisejetlag schlafen und essen Schichtarbeiter zu den falschen ‚Innenzeiten’.“ Rönnebergs Forschungsinteresse gilt diesen ‚Innenzeiten' von Mensch und Tier.
Die innere Uhr ist ausgesprochen zuverlässig. Experimente, in denen Versuchspersonen ohne Möglichkeit zur zeitlichen Orientierung einige Zeit in Bunkern lebten, haben schon vor Jahren gezeigt, dass der geregelte Tagesrhythmus darunter nicht gravierend leidet.
Sind Menschen derart von den Zeitgebern aus der Außenwelt abgeschnitten, dann dauert eine Einheit aus Tag und Nacht bei den meisten allerdings eine Stunde länger, sie haben einen 25-Stunden-Takt. Weil der nur ungefähr einem Tag entspricht, sprechen Wissenschaftler vom „circadianen“ Rhythmus. Er wird von einem stecknadelgroßen Gebiet im Gehirn gesteuert. Wenn wir nicht gerade im Bunker leben müssen, hilft der Wechsel von Licht und Dunkelheit beim präziseren Stellen der inneren Uhr. Dazu gesellen sich als mächtige äußere Zeitgeber die sozialen Gepflogenheiten der Gesellschaft, in der wir leben.
Doch was passiert, wenn der Job es Menschen über längere Zeit verbietet, sich nach beidem zu richten? Die Gottfried Daimler- und Karl Benz-Stiftung hat vor fünf Jahren ein Forschungsprogramm ins Leben gerufen, das sich mit den Beziehungen zwischen „innerer Uhr“ und Schichtarbeit beschäftigt und den beziehungsreichen Namen „ClockWork“ trägt. Bei einer Konferenz wurden in der letzten Woche in Berlin Ergebnisse vorgestellt, die Anstöße für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für moderne Schichtarbeiter sein könnten. „Vom Labor zum Arbeitsplatz“ lautete der Titel der Konferenz.
Der Psychologe Daniel Bratzke von der Uni Tübingen stellte seine Untersuchungen vor, die belegen, dass die meisten von uns nachts nicht nur schlechter schreiben, sondern auch schlechter denken können als etwa am frühen Abend. Oder zumindest langsamer. Auch harmlose kleine Computeraufgaben werden von Versuchspersonen, die über 24 Stunden bei gleichbleibenden Luxzahlen wach und unbeweglich im Bett liegen müssen, tief in der Nacht schleppender gelöst. Besonders Doppelaufgaben und schnelle Aufgabenwechsel führen dann bei den meisten zu längeren Reaktionszeiten. Joachim Hermsdörfer, der seine Ergebnisse ebenfalls bei der Tagung vorstellte, sieht zwei mögliche Konsequenzen für die Organisation von Schichtarbeit: Einerseits könne man versuchen, den individuellen „Chronotyp“ des Arbeitnehmers zu ermitteln und die Zuordnung der Mitarbeiter zu den Schichten darauf abzustimmen.
„Eulen“ eignen sich schlechter für die Frühschicht als „Lerchen“, die auch um sechs Uhr morgens im vollen Besitz ihrer feinmotorischen Fähigkeiten sein können. Wenn die Anforderungen des jeweiligen Jobs das erlauben, könnte man andererseits auch Tätigkeiten bestimmten Tageszeiten zuordnen. „Dafür hätten wir inzwischen Kriterien“, sagt Joachim Hermsdörfer.
Das Müdigkeitsgefühl ist allerdings vermutlich kein solches Kriterium. „In Studien fällt die subjektive Beurteilung der Müdigkeit nicht mit der Häufung von Fehlern zusammen“, sagte die Baseler Psychiaterin Anna Wirz-Justice. Dazu passt, dass sich die Geschicklichkeit der Versuchspersonen in den Studien von Hermsdörfer und Bratzke ein paar Stunden nach dem nächtlichen Performancetief wieder deutlich erholte. Ihre innere Uhr zeigte dann wieder Tag an. Obwohl sie sich nach der durchwachten Nacht hundemüde fühlten.